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Froue für Froue

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Was würde passieren in der eigenen Familie, im Beruf, an der Uni, im Verein, wenn alle Frauen keine Hand rührten? Es gäbe Stillstand allerorten, sagen die Organisatorinnen des Schweizer Frauenstreiks. Sie wollen unsichtbar geleistete Arbeit sichtbar machen. Wenigstens 24 Stunden lang.

Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Vorsitzende des Landesfrauenrats Baden-Württemberg (LFR), sendet anlässlich des 28. Schweizer Frauenstreiks solidarische Grüße nach Zürich oder Basel, Bern, St. Gallen oder Winterthur. Mehr allerdings ist nicht drin, denn der Dachverband von rund 40 Frauenorganisationen sei dazu weder personell noch finanziell in der Lage, so die frühere Grünen-Landtagsabgeordnete. 50 Jahre nach der Gründung sind die Mittel noch immer knapp bemessen. Lange Zeit musste der LFR mit 80 000 Euro Förderung im Jahr auskommen, inzwischen sind es rund 130 000. Eine konkrete Unterstützung der Schweizer Frauen, etwa für Fahrten zu den zahlreichen Großdemos, ist da nicht drin. „Weil wir noch immer einfach nicht genug Wertschätzung erfahren“, sagt Schneidewind-Hartnagel.

Dasselbe sagen die Schweizerinnen, seit 1991. Spät genug, aber immerhin, feierte die Einführung der Passage "Gleiche Rechte für Mann und Frau" in die eidgenössische Verfassung den zehnten Geburtstag. Hunderttausende gingen unter dem Motto "wenn frau will, steht alles still" auf die Straße, weil sich in der Realität zu wenig getan hatte. Hunderttausende sind es 2019, aus eben diesem Grund. Die ersten Streiks waren noch begleitet von massiven Drohungen, weil es für solche politische Manifestationen keine Rechtsgrundlage gebe. Inzwischen sind die Arbeitgeberverbände konzilianter in vielen Regionen des zivilgesellschaftlichen Lebens. Was aber noch lange nicht heißt, dass zentrale Forderungen erfüllt worden wären. Eher im Gegenteil.

"Wir sind laut, auch ganz ohne Jungfernhaut"

Also geht es wieder einmal um das Dauerthema Lohnungleichheit, um die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit, um sexuelle Belästigung. "Wir wollen deutlich zeigen, dass Frauen sich mit dem Stand der Dinge nicht länger zufrieden geben und dass es mit der Gleichstellung vorangehen muss", schreiben die OrganisatorInnen. Es gibt Turnbeutel oder Kaffeetassen oder T-Shirts mit dem diesjährigen Logo, einer Frau mit rotlackierten Fingernägeln, vor der Brust verschränkten Armen und vielen frechen Sprüchen:  "Wir sind hier, wir sind laut, auch ganz ohne Jungfernhaut."

Apropos: Vor 2430 (!) Jahren wurde Aristophanes‘ "Lysistrate" uraufgeführt. Hellenische Frauen, "im gelben Schal, geschminkt und schön geputzt", verweigern sich so lange ihren Männern, bis die ihren jahrzehntelangen Krieg einstellen. "Voll Ärger bin ich über uns – uns Weiber, daß wir beim Männervolk verrufen als nichtsnutzig", sagt die Titelheldin. Unter der Überschrift "Streiken lohnt sich" haben die Schweizerinnen eine Auswahl von Aufständen zusammengestellt: 1881, weniger als zwanzig Jahre nach Ende der Sklaverei, verweigerten tausende Wäscherinnen in Atlanta ihre Arbeit und forderten einen einheitlichen Lohn. Sie organisierten sich, wurden immer mehr, schwarze Hausangestellte solidarisierten sich, am Ende wurden ihre Forderungen erfüllt.

Angeführt von zwei Sozialdemokratinnen traten zwölf Jahre später 700 Textilarbeiterinnen in Wien in einen Streik. Das schließlich erreichte Ziel: die Verkürzung der Arbeitszeit von 13 auf zehn Stunden, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. In Kolumbien standen Frauen auf, in Finnland, in Island. 1970 legten in den USA 50 000 Frauen die Arbeit nieder, für eine kostenlose Kinderbetreuung und das Recht auf Abtreibung. Fünf Jahrzehnte danach sind diese beiden Forderungen ungebrochen aktuell, nicht nur in den Vereinigten Staaten. Spanien bot 2018 ein ganz besonderes Schauspiel. Einerseits legen zehntausende Frauen die Arbeit nieder, in einer Blitzumfrage nennen 82 Prozent die Aktion wichtig und richtig. Andererseits ist das Gleichstellungsgesetz schon elf Jahre alt, und im Familienalltag ist die Verteilung der Aufgaben traditionell geregelt, vor allem wenn es um Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen geht.

Frauenprotest auf Schweizerisch: „Mitenang si mir fürenang starch“

Care-Arbeit ist auch eines der Stichworte am Schweizer Frauenstreiktag 2019. Die SozialistInnen in der Eidgenossenschaft stellen sich gegen die „geschlechterspezifische Arbeitsteilung“. Die "Gewerkschaften im service public" wollen unsichtbare Arbeit sichtbar machen. In Aargau findet ein Sitzstreik der Landfrauen und des Katholischen Frauenbunds auf dem Schlossplatz "und in (Liege-)Stühlen" statt. In Bern verlassen die Frauen um Punkt 15:24 Uhr ihren Arbeitsplatz, denn "bei durchschnittlich 20 Prozent weniger Lohn arbeiten wir ab jetzt gratis", in Thun ist für den ganzen Tag ein "kostenloser Kinderhütedienst" organisiert, damit die Mütter beim Arbeitskampf mitmachen können. In Wohlen im Kanton Bern regiert Schwyzerdütsch: "Froue für Froue. Nume mitenang si mir fürenang starch." In vielen Orten tagen Frauenparlamente.

In der Schweiz liegt das Jahresstundenvolumen der unbezahlten Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege bei 7697 Stunden, die bezahlte Arbeitszeit wird mit weniger, nämlich 6974 Stunden ermittelt. Das Statistische Bundesamt hat die eine und die andere Form der Arbeit für Deutschland erhoben: Mit einem noch deutlich höheren Faktor von 1,7 übersteigt die unbezahlte die bezahlte Arbeit. Die Rechnung wird mit Rentenantritt präsentiert: Schweizerinnen verfügen im Alter um durchschnittlich 37 Prozent weniger Rente als Schweizer.

Frauen leben länger – aber wovon?

Der Landesfrauenrat ist schon vor zwei Jahren dem Bündnis gegen Altersarmut beigetreten. Verlangt wird ein "Kurswechsel in der Rentenpolitik", weil für Arbeitnehmerinnen mit der Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent "die strukturellen Probleme nicht einmal ansatzweise gelöst werden". Der alte Spruch "Frauen leben länger – aber wovon?" werde immer aktueller. Das Jahresprogramm zum 50. Jubiläum des LFR liest sich wie ein Kaleidoskop unerfüllter Ansprüche, die endlich zu ihrem Recht kommen müssen. Zur Europawahl – "Frei Gleich Gerecht" – wurde nicht nur die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen verlangt, sondern auch darauf hingewiesen, wie gerade populistische und nationalistischen Bewegungen Solidarität und Gleichberechtigung bedrohen.

Auch das Wahlrechtsthema bleibt auf der baden-württembergischen Agenda. Erst recht, weil sich bei der Kommunalwahl zum x-ten Mal bestätigt hat, was Fachleute ohnehin längst wissen: freiwillig schmilzt der Männerüberhang nicht. Es ist die Messlatte für Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, sich nicht dem Druck der Arbeitgeber zu beugen, sondern an der Bildungszeit für Weiterbildung, Demokratie und Ehrenamt festzuhalten, denn diese fünf Tage, so Schneidewind-Hartnagel, "sind unverhandelbar".

Und noch eine Latte liegt für die grün-schwarze Koalition: Auf der Delegiertenversammlung im April wurde eine Erhöhung der Fördermittel durch das Land auf 200 000 Euro verlangt. Es sei "wichtiger denn je, dass der Landesfrauenrat seiner gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gerecht werden und aktuelle Entwicklungen zeitnah aufgreifen kann", heißt es in dem Beschluss. Und weiter: "Die unverzichtbare gesellschaftliche Arbeit des Landesfrauenrates muss mit seiner Gender-Expertise in Legislative und Exekutive professionell vertreten sein."

Außerdem könnte sich – Froue für Froue – 2020 doch ein Bus voll UnterstützerInnen in die Schweiz aufmachen. Oder gleich mehrere. Und am Steuer müssen Fahrer sitzen, weil die Frauen streiken. Wenigstens 24 Stunden lang.


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6 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 17.06.2019
    Antworten
    Baden-Württemberg liebt Dachverbände und Mitgliederverbände mit 2 Millionen Mitgliedern (so der Hinweis im Netz zum Landesfrauenrat) - und dann das größtmögliche Bedauern, dass man nicht teilnehmen konnte an der Veranstaltung - weil? Ja warum eigentlich nicht. Das Baden-Württemberg-Ticket der Bahn…
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