Hussein saugt sein Zimmer mit einer Inbrunst, als gelte es, sich mitten ins Herz der Meßstettener Hausfrauen zu arbeiten. An seine Tür hat er in holprigen Buchstaben geschrieben, dass der Zutritt nur in Socken erlaubt ist. Ein Bild von ihm gebe es nur mit Staubsauger, bedeutet er dem Fotografen, als müsste dieser Augenblick für immer festgehalten werden. Der 13-jährige Junge hat eine mehrwöchige Flucht hinter sich, weg vom syrischen Afrin, über die Türkei, Griechenland, den Balkan bis nach Meßstetten, wo er zum ersten Mal ein eigenes Zimmer hat. In einem frisch herausgeputzten Haus, im ersten Stock, in dem ein Schild die "Care-Woche" anmahnt.
Seit Mai lebt Hussein im Waldhorn, in der sich einst Rechte und Linke, Rocker und Liebhaber großer Schnitzel getroffen haben und zuletzt, wie mehrfach berichtet, die NPD eine Heimstatt finden wollte. Der Tresen, von dem aus Hektoliter Bier ausgeschenkt wurden, steht noch, nur der Zapfhahn ist weg. Statt des Gläserarsenals blinkt ein kleiner Pokal vor der Wand, den Hussein gemeinsam mit Isam, Mohamed, Reda, Omar, Mohamad, Ali, Ismael und Sadegh gewonnen hat. Beim Fußballturnier des Diasporahauses Bietenhausen, dem neuen Eigentümer des Waldhorns. Die karitative Einrichtung vertritt eine "Pädagogik des sicheren Orts", in Meßstetten soll er es für die neun unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) sein, wie sie im Amtsdeutsch heißen.
Isam ist auch ein UMF. Der 14-Jährige kommt aus Qamischli, einer 200 000-Einwohner-Stadt im Nordosten Syriens, wo er in einer Dönerbude gearbeitet hat. Sein Vater hat Schuhe geflickt. Für die Schule war nur wenig Zeit, sagt er, was bedeutet, dass er Lesen und Schreiben erst lernen muss. Das wenige, was er erzählen kann, ist, dass er mit 2050 Euro losgelaufen und mit einem 100-Lira-Schein angekommen ist. Ihn hält er hoch, zerknittertes Papier, wenige Cent wert, wenn überhaupt, der letzte Gegenstand aus der Heimat. Sein Kreuz, das er um den Hals getragen hat, habe er auf der Flucht verloren, berichtet er. Isam ist Christ.
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