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Vor Gericht und auf hoher See

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Was lange währt – wird noch eine ganze Weile dauern. Das ist zumindest zu erwarten, wenn wir in den kommenden zwei Wochen gleich zwei Gerichtsverhandlungen in eigener Sache besuchen. Zuerst sind wir in Hamburg vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht gegen Andreas Renner, den ehemaligen Inspekteur der Polizei und dessen Ehefrau, die uns untersagen haben lassen, einen bestimmten Begriff zu verwenden. Dagegen wehren wir uns. Eine Woche später stehen wir vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main, wo wir uns einmal mehr gegen einen Neonazi wehren, aus dessen Facebook-Chats wir im Jahr 2018 zitiert haben und der den Artikel seitdem am liebsten aus dem Netz haben will. Auch das wollen wir verhindern. Dass wir uns gegen beide Angriffe überhaupt erfolgreich wehren können, liegt in erster Linie an all den vielen Menschen, die uns Geld für die Kosten der beiden Verfahren gespendet haben. Vielen Dank dafür! Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Vor Gericht und auf hoher See, heißt es, sei man in Gottes Hand. Bedeutet: Manchmal läuft es anders, als man denkt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Prozess gegen Fabian Kienert, Kontext-Autor und Redakteur des linken Senders "Radio Dreyeckland" in Freiburg. Weil er einen Link gesetzt hatte, wurde Kienerts Wohnung durchsucht. Vor dem Landgericht Karlsruhe zerpflückte der Richter nicht den angeklagten Journalisten, sondern Polizisten, die die Hausdurchsuchungen gemacht hatten und als Zeugen geladen waren. Unser Autor Minh Schredle berichtet in dieser Ausgabe.

Und wir haben noch einen Gerichtssaal besucht: Vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt laufen momentan Prozesse gegen eritreische Regimegegner, die im September des vergangenen Jahres teils gewalttätig gegen eine Veranstaltung von Freunden des eritreischen Diktators Isayas Afewerki demonstriert hatten. Bundesweit waren die Ausschreitungen in den Medien, teils fassungslos, teils erschreckend rassistisch wurde der Vorfall kommentiert. Unsere Volontärin Franziska Mayr hat nach Antworten gesucht auf die Frage, warum die Demonstration so ausgeartet ist, und hat einen eritreischen Geflüchteten gefunden, der im September dabei war und berichten wollte. In der Kontext-Küche erzählte er ihr mehrere Stunden lang, wie er dem Regime im Osten Afrikas entkam und letztlich in einem Flüchtlingscamp auf Sizilien landete. Mayr: "Aus unserer Perspektive sind solche Camps unmenschlich und schlimm, aber er hat so viel unsagbar Schreckliches erlebt auf seiner Flucht, für ihn war dieses Lager wie ein Paradies. Das hat mich am meisten berührt."

Den Vortrag konnte Jürgen Stamm nicht mehr halten

Kurz vor seiner OP im Krankenhaus hat Jürgen Stamm der Rosa-Luxemburg-Stiftung noch zugesagt, im Mai einen Festvortrag zu halten. Und zwar zum 40. Geburtstag des langen Streiks für die 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie. Jürgen Stamm hätte es gerne getan, weil er sich der Stiftung verbunden fühlte – als linker Gewerkschafter, Antifaschist, Kunst- und Kulturkenner, der Sätze sagen konnte wie: "Die neoliberale Sucht, alles und jedes in den menschlichen Beziehungen den sogenannten freien Kräften des Marktes auszusetzen, bringt die Grundlagen jeglicher demokratischen Verfassung in Gefahr." Das war 2004 im Theaterhaus bei einer Gedenkfeier zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Stuttgart und ziemlich weitsichtig.

Ein Jahr später schied er als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Stuttgart aus, in der Gewissheit, die Organisation als eine der schlagkräftigsten in der Republik hinterlassen zu haben. Hart getroffen hat ihn der überraschende Tod seiner Frau Sybille. So pathetisch es klingt, aber sie waren ein Paar, beide in der Linken, das sich bis zum Ende für eine gerechte Gesellschaft eingesetzt hat. Sybille Stamm, die frühere Verdi-Chefin im Land, starb am 14. Dezember 2023 im Alter von 78 Jahren, ihr Mann am 14. April 2024. Er wurde 80 Jahre alt.

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