Angeblich lautete eine Maxime des britischen Schriftstellers George Orwell: "Für die richtige Seite kämpfen und dabei unbestechlich gegenüber deren Fehlern bleiben". An diesem Anspruch will sich unser neuer Kolumnist Cornelius W. M. Oettle messen, den wir in dieser Ausgabe willkommen heißen. Ab jetzt wird er uns und hoffentlich auch Sie im Abstand von vier Wochen mit einer neuen Folge von "Oettle über alles" erfreuen. Früher sei es das Privileg der Satire gewesen, sich über Regierende lustig zu machen, stellt er zum Auftakt fest. "Heute nimmt aber wirklich niemand mehr Menschen in deutschen Staatsämtern ernst."
Oettle tritt als Kolumnist die Nachfolge von Christian Prechtl an, der ab Februar 2020 der schmutzigen Welt des Sports und vor allem des Fußballs eine Heimat in unserer ansonsten eher sportfernen Zeitung gab. Nach insgesamt 88 Folgen schrieb er in Ausgabe 674 seinen Abschied. Wie bedanken uns noch einmal ganz herzlich bei dir, lieber Christian, für die immer sehr gute und verlässliche Zusammenarbeit über vier Jahre.
1,4 Millionen Menschen leben allein in Baden-Württemberg im Einzugsgebiet der Gäubahn, von Stuttgart nach Singen und weiter in die Schweiz. Die Gäubahn soll nach Plänen der Deutschen Bahn wegen Stuttgart 21 künftig gekappt werden, also den kostspieligen neuen Tiefbahnhof nicht anfahren, und stattdessen in Stuttgart-Vaihingen enden. Reisende sollen dort in die S-Bahn zum Hauptbahnhof Stuttgart umsteigen müssen. Über die Absurditäten der Gäubahn-Planungen hat Kontext schon so oft berichtet, dass es ein eigenes Dossier füllen könnte (unter anderem hier und hier), und gegen diese Pläne hat sich in verschiedenen Anrainergemeinden bereits seit Längerem Widerstand formiert. Am 9. März hat sich nun in Rottweil aus diversen Einzelbündnissen ein großes Bündnis Pro Gäubahn gegründet, unterstützt von Jürgen Resch, dem Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, der seit Juni 2023 gegen die Kappung der Gäubahn klagt. Das Bündnis will vor den anstehenden Kommunal- und Europawahlen den Druck auf die Politik erhöhen.
Das Umsteigen in Vaihingen kennt unsere Chefredakteurin Anna Hunger mittlerweile sehr gut. Aus der S-Bahn raus, zehn Minuten um den Bahnhof gewandert und schon steht man an der Haltestelle für den Schienenersatzverkehr nach Böblingen. Vergangenen Mittwoch baustellenbedingt mit etwa 200 anderen Fahrgästen, die im Regen und ohne Dach warteten (lange), sich in den ersten, zweiten oder auch den dritten vorbeikommenden und völlig überfüllten Ersatzbus zu quetschen. Aus 25 Minuten S-Bahn-Fahrzeit wurden – nicht nur an diesem Tag – mehr als anderthalb Stunden im ÖPNV für eine einfache Strecke. Welcher Pendler, welche Pendlerin hat bitte die Nerven, drei Stunden am Tag in Bus und Bahn zu sitzen? Was für eine Unverschämtheit.
Dabei sind wir bei Kontext nicht nur Freund:innen des ÖPNV, sondern auch des Streikrechts und grundsätzlich solidarisch sogar mit der GDL und ihren Bahnstreiks. Die sind zwar nervtötend – aber genau das ist der Sinn eines Streiks: Er muss stören. Vielleicht ist das bei der "Stuttgarter Zeitung" nicht angekommen? Die schrieb in ihrem Newsletter am Montag: "Nach der Pandemie kränkelt Deutschland an einer anderen Seuche: schier endlosen Arbeitskämpfen, welche die Wirtschaft lähmen." Arbeitskampf als Seuche? Euer Ernst, liebe StZ? "Das größere Problem scheinen mir die diversen CSU-Politiker zu sein, die sich in den vergangenen Jahrzehnten im Verkehrsministerium die Klinke in die Hand gegeben und Milliarden in den Autoverkehr geschoben haben", sagt die Seenotretterin und Linken-Politikerin Carola Rackete, angesprochen auf die Streiks, im Interview mit Susanne Stiefel.
3 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
am 19.03.2024