Vielen gilt die Frau mit den Dreadlocks als Heldin, seit sie vor fünf Jahren als Kapitänin des Rettungsschiffs "Sea-Watch 3" Geflüchtete vorm Ertrinken rettete und dafür von Italiens damaligem Innenminister Matteo Salvini (Lega) vor Gericht gezerrt wurde. Eine italienische Philosophin bezeichnete die damals 31-Jährige gar als Verkörperung von Sophokles' Antigone. Das könnte Carola Rackete schmeicheln. Doch für Heldenverehrung hat die ernsthafte junge Frau keine Zeit. Klimakrise, soziale Ungerechtigkeit – die Folgen des Nichtstuns will sie nicht tragen müssen.
Frau Rackete, bei der Jubiläumsdemo am 18. März treten Sie gemeinsam auf mit Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe und dem Regisseur Volker Lösch. Was haben Sie mit Stuttgart 21 am Hut?
Ich sehe die bewusste Täuschung der Bevölkerung, das Paradebeispiel für die Verschwendung von Milliarden öffentlicher Gelder, die Weigerung, darüber Rechenschaft abzulegen, sprich Transparenz und Aufklärung zu schaffen. Staat und Behörden sind es den Bürgerinnen und Bürger schuldig, vernünftig mit ihrem Geld zu wirtschaften. Wie das bei Stuttgart 21 gehandhabt wurde, ist skandalös.
Ihr Spezialgebiet bleibt aber die Ökologie.
Es stellt sich immer die Frage, wie wir es schaffen, eine Verkehrsstruktur in Stadt und Land hinzukriegen, mit der die CO2-Emissionen drastisch reduziert werden können. Dafür brauchen wir natürlich die Bahn, und dafür brauchen wir weiterhin den oberirdischen Bahnhof in Stuttgart, damit genügend Gleise zur Verfügung stehen, um möglichst viel Transport auf die Schiene zu bekommen.
Den Protest gegen das Jahrhundertprojekt haben Sie aus der Ferne wahrgenommen.
Ich komme aus Niedersachsen, vom Land. Aber die Berichterstattung darüber ist ja nicht nur in der ganzen Bundesrepublik gelaufen, auch über Österreich und die Schweiz hinaus. Mir sind die Proteste, der zivile Ungehorsam, die Sitzblockaden von den unterschiedlichsten Menschen noch gut in Erinnerung. Junge, Alte, Konservative, Linke, alle waren auf der Straße.
Für viele war der "Schwarze Donnerstag" im September 2010 der Auslöser. Damals spritzte die Polizei Schüler:innen mit Wasserwerfern von den Bäumen.
Mit diesen Bildern verbinde ich Stuttgart 21. Die Polizeigewalt war so eklatant, aber auch so gut dokumentiert, dass das bei mir immer damit verbunden sein wird. Und nicht nur bei mir. Viele Menschen haben sich deswegen mit dem Protest solidarisiert, weil die Bilder gezeigt haben, wie brutal die Polizei gegen friedliche Demonstranten vorgegangen ist.
Der "Spiegel" schrieb damals von "Bürgerkrieg im Schlossgarten".
Es ist kein Einzelfall, dass die Polizei sehr hart gegen Demonstranten vorgeht. Das haben wir ganz krass im Hambacher Forst und beim G-20-Gipfel in Hamburg gesehen. Verglichen mit der Vielzahl der Fälle geschieht es noch viel zu selten, dass Übergriffe der Polizei sauber verfolgt und aufgeklärt werden. In anderen europäischen Ländern gibt es dafür unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsbehörden. Hier hinken wir in Deutschland dem europäischen Standard mal wieder hinterher.
Kommen wir zum Bahnstreik. GDL-Chef Weselsky ist für die einen ein Held, der für gerechte Löhne kämpft, für die anderen der Klimakiller, der die Leute zum Umstieg aufs Auto zwingt. Was ist er für Sie?
Das größere Problem scheinen mir die diversen CSU-Politiker zu sein, die sich in den vergangenen Jahrzehnten im Verkehrsministerium die Klinke in die Hand gegeben und Milliarden in den Autoverkehr geschoben haben.
4 Kommentare verfügbar
Jupp
am 13.03.2024"....
Es gab einen Brandanschlag. Gewalt gegen Sachen?
Es gibt keine Gewalt gegen Sachen. Es gibt nur Gewalt gegen Menschen.
Ein legitimes Mittel also?
Ich hätte es nicht gemacht. Aber man muss die Kirche auch im Dorf lassen. Es geht hier um Sachbeschädigung und nicht um Gewalt.
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