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Zeit für Klartext

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Was muss eigentlich noch passieren, dass Staat und Volksvertreter die Gefahr von rechts ernster nehmen? NSU-Morde, bewaffnete Reichsbürger, Chemnitz oder jetzt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Immerhin: Thomas Strobl fühlte sich herausgefordert. Am vergangenen Donnerstag gab der CDU-Innenminister zu Protokoll: "In der AfD sind Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu Hause", der Rechtsextremismus sei eine "unterschätzte Gefahr" und es sei notwendig, "rechtsextremistischen Fanatismus und Gewaltbereitschaft nicht zu unterschätzen und nicht zu verharmlosen". Womöglich hat der Vize-MP auch den neuen Verfassungsschutzbericht gelesen, der eine gestiegene Zahl von gewaltbereiten Rechtsextremisten und ihrer Taten notiert. Wie viele Waffen in diesem Milieu in Umlauf sind, dokumentiert Kontext-Autor Anton Maegerle in seinem Artikel "Reichsbürger mit Kalaschnikow".

In der CDU sind Strobls Worte neue Töne, denn bisher sind weder der Schäuble-Schwiegersohn noch der Landesverband durch eine entschlossene Haltung gegen rechtsaußen aufgefallen. Im Gegenteil. Bei den Debatten über innere Sicherheit, Abschiebungen, auch in der Flüchtlingspolitik ganz allgemein, fiel eher die Nähe zur AfD auf. Und der Rechtsextremismus wurde hurtig mit dem Verweis auf ebenso gefährliche Ausreißer auf der linken oder der islamistischen Seite relativiert. Eine Tendenz, die offenbar auch bei der hessischen CDU besonders ausgeprägt ist – dort auch unter williger Duldung des grünen Koalitionspartners. Und das, obwohl der NSU-Untersuchungsausschuss des Wiesbadener Landtags ganz andere Lehren parat hätte, wie Johanna Henkel-Waidhofer in der neuen Kontext-Ausgabe darlegt.

Apropos Lehren: Die hat Joe Bauer aus der Anfrage gezogen, die die AfD kürzlich gestellt hat. Die Landtagstruppe will wissen, wie viele MigrantInnen in den Kultureinrichtungen des Landes beschäftigt sind – und Bauer hat sofort geantwortet. Mit der Kundgebung "Schützt die Kultur vor den Rechten" am vergangenen Samstag im Stuttgarter Schlossgarten. Eine durchaus beeindruckende Veranstaltung, auch wegen des Opernchors und der Sängerin Fola Dada, aber auch wegen der Klarheit im Wort. Deshalb haben wir uns entschlossen, mehrere der Redebeiträge vollständig zu dokumentieren – die von Martina Grohmann, Hans D. Christ und Joe Bauer als Dreierbinde in dieser Ausgabe, die von Werner Schretzmeier hier zum Download. Christ, Geschäftsführer des Württembergischen Kunstvereins, sieht die Anfrage als Teil der Jagd, die der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland schon 2017 angekündigt hatte. Weshalb es umso wichtiger sei, jetzt "klare antifaschistische Kante zu zeigen". Und Schretzmeier macht einen Vorschlag, der sofort einleuchtet. Die AfD möge doch Sorge dafür tragen, so der Theaterhaus-Chef, dass ein bio-deutscher Junge, der Tänzer werden will, nicht sofort als "schwul" diskriminiert werde. Sonst werde es in dieser Sparte immer ein Defizit geben.

Und noch eine Demo: Letzten Montag ging’s gegen den 12. Immobilien-Dialog im Stuttgarter Rathaus, auf dem Thomas Strobl – wo ist der eigentlich nicht? – ebenfalls ein Hauptredner war. Während drunten auf ein "Recht auf Wohnen" gepocht wurde, sprach Strobl im dritten Stock  über 5 G. Er erläuterte, dass dafür ganz viele Sendemasten notwendig seien, wobei man nicht für jeden einzelnen eine Bürgerbefragung durchführen könne. In China gehe das schneller. Auf dem Weg zur Smart City ist das natürlich auch für die Immo-Branche wichtig, deren Vertreter im Ratssaal sich versichern ließen, dass die Landesregierung auch hier "voll auf dem Gaspedal" stehe. Schade, dass doch einige der Angemeldeten, die immerhin 470 Euro berappen mussten, Strobl nicht folgen konnten. Die Demonstranten hatten die Türen blockiert, worauf, wie sie später meldeten, Dutzende Dialogbesucher "um das Rathaus herumirrten".

Wellness für die Seele

Überall also nur Dunkelheit? Mitnichten, wie vergangenes Wochenende neben der Anti-AfD-Demo auch das Zirkus-Mutter-Erde-Festival in Stuttgart zeigte. Auch Kontext war dort – mit einer Pinnwand, zu füllen von BesucherInnen mit allerlei Wünschen für die Presse-Zukunft. "Wachstum durch Liebe statt durch Angst" hat jemand draufgeschrieben – wie schön! Ganz wunderbar auch dieses Festival in Gesamtheit, zwei Tage positive Menschen, die Positives tun, ein Hoffnungsschimmer in all dem Schrecken der Welt, zwischen bewaffneten Neonazi-Gruppen und einem dahinschmelzenden Grönland. Wellness für die geschundene Seele, zwei Tage lang.

Die Wohn-Initiative Adapter sammelte Ideen für nachhaltiges und gemeinschaftliches Wohnen, das Bolivianische Kinderhilfswerk hat Muffins verteilt, Ende Gelände rief zum Kohleausstieg (jetzt!) auf, Kinder konnten im Grusel-Gewusel zum ökologischen Fürchten abgegeben werden, die Feministinnen vom FF*GZ boten den anwesenden Frauen die nahezu einmalige Möglichkeit, ihre Vulva in Gips oder mit Farbe auf Papier zu verewigen, und Stadtrat Putte alias Thorsten Puttenat von den Stadtisten brachte mit seinem Duo Putte & Edgar das Zelt zum Tanzen. Essen gab’s umsonst, Musik auch – und das Gefühl gratis obendrauf, dass unser Planet vielleicht doch noch nicht ganz verloren ist.


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3 Kommentare verfügbar

  • Wendezeiten
    am 08.07.2019
    Antworten
    Nur zwei kleine Anmerkungen bzw. Korrekturen :
    1. Zur Montagsdemo vor dem "Immobilien-Dialog" im Rathaus haben nicht die Demonstranten gegen Wohnungsspekulation bzw. fürs "Recht auf Wohnen" zu
    spät gekommene, zahlende Gäste blockiert, sondern das Rathaus wurde sehr
    frühzeitig für "die Elite"…
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