Das Geld für die zivile Seenotrettung von der Bundesregierung war von Anfang an nicht mehr als ein günstiger Ablassbrief. Geld für Seenotrettung auf der einen, Zustimmung zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) und dessen massiven Verschärfungen auf der anderen Seite – oder im Sprech der Grünen: "Humanität und Ordnung". Im Gegensatz zu den Millionen für Seenotrettung werden die weitreichenden, unabsehbaren Folgen dieser Entscheidungen der ehemaligen Ampel-Regierung weit in die Zukunft reichen. Nicht zuletzt haben sie der völlig enthemmten Merz-Regierung den Weg geebnet.
Dass die aktuelle Regierung die Gelder nun streicht, hat tödliche Konsequenzen. Es gibt nämlich eine simple Kausalität, die sogar wissenschaftlich erwiesen ist: Je weniger Seenotrettung betrieben wird, desto mehr Menschen kommen bei der Überfahrt ums Leben. Auch die Abhängigkeit der Seenotrettung von finanziellen Mitteln erschließt sich. Nicht seriös belegt ist hingegen die These vom angeblichen Pullfaktor, mit dem von Rom bis Berlin immer wieder rassistische und häufig rechtswidrige Maßnahmen, wie etwa Zurückweisungen Flüchtender an den Außen- oder Binnengrenzen, begründet werden. Auch jetzt wurde sie wieder aus der Mottenkiste geholt, um die Streichung der Gelder zu rechtfertigen. Im Gegenteil, dieser Pullshit ist sogar in mehreren Studien widerlegt. Die Notwendigkeit ausreichender Ressourcen für Seenotrettung dagegen ist unter seriösen Wissenschaftler:innen einigermaßen unumstritten, und dass eine Regierung das anerkennt und entsprechend handelt, ist tatsächlich erstmal sehr gut.
EU-Staaten sabotieren die Seenotrettung
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat ausnahmsweise Recht, wenn er von der ARD-Moderatorin Sandra Maischberger auf die Streichung angesprochen sagt, dass Seenotrettung keine privatwirtschaftliche Aufgabe ist. Selbstverständlich handelt es sich um eine staatliche! Diese an private Träger auszulagern ist jedoch vollkommen normal. Auch in Deutschland koordiniert die DGzRS, eine private Gesellschaft, die staatlichen Seenotrettungsaufgaben. Das Argument begründet also eigentlich eine Erhöhung, nicht die Streichung der Förderung.
Während sich die EU-Staaten fast komplett aus ihrer Verantwortung im Mittelmeer zurückgezogen haben und Seenotrettung teils sogar sabotieren, ist die zivile Rettungsflotte zu einem komplexen Gefüge aus einem guten Dutzend Rettungsschiffen unterschiedlicher Größen und Typen, Aufklärungsflugzeugen und sogar einer zivilen Rettungsleitstelle geworden. Das kostet natürlich Geld. Da die Organisationen aber chronisch knapp bei Kasse sind und im Gegensatz zu Jens Spahn (CDU, Maskenaffäre) einen verantwortungsbewussten Umgang mit Spenden und Steuergeldern pflegen, sind zwei Millionen Euro weniger jedes Jahr deutlich spürbar.
Sollte die Lücke nicht durch die aktuelle Spendenkampagne kompensiert werden, führt der Wegfall dieses Geldes dazu, dass mehrere Rettungsschiffe im Hafen bleiben müssen. Was das bedeutet, habe ich selbst oft genug aus dem Cockpit unserer Aufklärungsflugzeuge beobachten müssen. Sinkt ein Schlauchboot, läuft die Zeit. Es ist nicht schön, Menschen dabei zuzusehen, wie die Schwimmbewegungen zunächst immer langsamer werden und die Körper schließlich regungslos im Wasser treiben, weil das nächste Schiff zu weit entfernt ist. Für unsere Flugzeug-Crews sind solche Situationen Alltag. Durch zwei Millionen Euro weniger wird es mehr solcher Situationen geben, ganz einfach. Anstatt Pullshit zu verbreiten, sollte Merz sich lieber selbst ein Bild der Lage machen, das nötige Flugzeug steht ihm bekanntlich zur Verfügung.
Staatliches Geld? Oder soll man es lassen?
Dass eine Regierung ihre Verantwortung erkennt und entsprechend handelt, ist tatsächlich erstmal gut. Als die Gelder 2022 im Bundestag beschlossen wurden, entspann sich im internen Forum der Seenot-Rettungsorganisation Sea-Watch dennoch ein Pro und Contra rund um das Thema "staatliches Geld beantragen – oder soll man es lassen?"
Das Argument, dass es gefährlich wäre, sich von staatlichen Mitteln abhängig zu machen, bedarf im Zuge der Streichung selbiger heute keiner weiteren Erläuterung mehr. Vor allem aber ging es darum, dass zwei Millionen Euro im Jahr ein viel zu geringer Preis für den Ablassbrief sind, dem diese Förderung ohne Zweifel entspricht.
Selbstverständlich war allen Beteiligten bewusst, dass an diesem Geld Menschenleben hängen. Menschenleben hängen aber auch an den zahlreichen anderen Entscheidungen, die die Ampel-Regierung mit grüner Beteiligung getroffen hat, und gegen die nennenswerter interner Widerstand, ob aus falsch verstandener "Staatspolitischer Verantwortung" oder aus Angst um den Listenplatz, ausgeblieben ist. Mit fatalen Konsequenzen, denn diese Entscheidungen werden im Gegensatz zu den Fördergeldern nun Bestand haben.
Etwa Zustimmung der grünen ehemaligen Außenministerin Annalena Baerbock zur GEAS-Reform, oder dem sogenannten "Rückführungsverbesserungsgesetz", das besser "Ausländerschnellerrausgesetz" oder "Noch-perfidedere-Abschiebemethoden-Legalisierungsgesetz" heißen sollte. Wir mussten immer wieder feststellen, dass das Rückgrat der rot-grünen Abgeordneten, in Regierungsverantwortung angekommen, mehrheitlich instabiler wurde als die überladenen Schlauchboote, die wir auf dem Mittelmeer antreffen.
Von schwarz angehauchten Grünen enttäuscht
Meine Politisierung fällt in die Zeit der Stuttgart-21-Proteste, von schwarz angehauchten Grünen enttäuscht zu werden, war also keine Überraschung. Auch bei der SPD hat der Klassenverrat eine gewisse Tradition. Und von Olaf Scholz, der bereits in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister den tödlichen Einsatz von Brechmitteln im Polizeigewahrsam angeordnet hatte, war ohnehin nicht viel zu erwarten. Dass aber ausgerechnet ein SPD-Kanzler "in großem Stil abschieben möchte" und eine grüne Außenministerin die Grundlage für ein gemeinsames europäisches Asylhaft-System legt, mit dem das individuelle Asylrecht de facto ausgehebelt wird, hätte ich mir nach der Wahl 2021 nicht vorstellen können. Schon gar nicht, dass Deutschland als allererstes EU-Land ernsthaft zu den Taliban abschiebt.
Dahinter steckt der Irrglaube der Grünen, man könne der gesellschaftlichen Spaltung und dem Rechtsruck mit einem Kompromiss beikommen: Humanität und Ordnung, Seenotrettungsmillionen und Abschiebeoffensive, vermitteln statt spalten.
Vielleicht werden Historiker:innen einmal analysieren, dass es die Ampelzeit war, in der faschistische Ideen salonfähig wurden. Weil der Übergang von einem Olaf Scholz, der halt in großem Stil abschieben möchte, zu einem rechtspopulistischen Friedrich Merz, zur völkischen AfD fließend war. Weil auch Grüne und SPD sich das Ziel, Migration zu begrenzen, nicht nur zu eigen gemacht, sondern zentral in ihrem Regierungshandeln verankert haben, anstatt es als Nebelkerze zu enttarnen.
Dass Merz die AfD nicht wie versprochen halbiert, sondern verdoppelt hat, ist kein Zufall: In Zeiten von Klimakrise, Teuerung und der Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter aufgeht, hat eine Partei, die Klientelpolitik für Reiche macht, wenig anzubieten und ist deshalb auf Nebelkerzen angewiesen. Egal ob Gender oder eben Migration: Flood the zone with shit! Kein Kompromiss hätte diese Rhetorik der Union verändert, egal wie viele Asylpakete die Ampel angeboten hätte.
Realisiert Baerbock die Katastrophe überhaupt?
Ich will nicht behaupten, die Ampel hätte es leicht gehabt, zumal Grüne und SPD für Mehrheiten auf die FDP angewiesen waren. Aber ich frage mich, ob Annalena Baerbock realisiert, wie katastrophal ihre Zustimmung war, wenn das GEAS-Anpassungsfolgegesetz nun statt von den Grünen von der Merz-Regierung formuliert wird. Anders als von Baerbock versprochen, plant die neue Groko nämlich neben den Grenzverfahren sogenannte Zentren für Sekundärmigration, um einfach alle einzusperren: Schwangere, Kinder, Familien, queere Personen, Junge, Alte.
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