KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Landtagswahlen in Hessen und Bayern

Bayern zum Reihern, Hessen zum Vergessen

Landtagswahlen in Hessen und Bayern: Bayern zum Reihern, Hessen zum Vergessen
|

Datum:

In Bayern bebte das Bierzelt, in Hessen schämten sie sich sachlich für Berlin. Deutschlands wichtigster Wahlbeobachter Cornelius W. M. Oettle blickt auf die Landtagswahlen.

Die wichtigste Nachricht vorweg: Volker Bouffier ist nicht mehr Ministerpräsident in Hessen! Und zwar schon seit anderthalb Jahren nicht mehr! Hätten Sie's gewusst? Und die beste Nachricht gleich hinterher: Bei beiden Wahlen heißt der Sieger nicht AfD. Weder Weidels Ballermannbesuch noch der Vorfall um Tino Chrupalla haben geholfen, wobei ich persönlich die Häme gegen den AfD-Chef als unangebracht empfand, reagiere ich doch selbst meist auch etwas heftiger auf Mückenstiche.

Richtig übel wird das allerdings nächstes Jahr, wenn am 1. September in Thüringen, Brandenburg und Sachsen gewählt wird. In allen drei Bundesländern stehen die Rechtsextremisten bei etwa 33 Prozent, was ihnen im Landtag eine Sperrminorität bescheren würde, mit der antidemokratische Parteien allerhand anstellen können, etwa die Justiz blockieren. (Falls Sie mehr zu diesem leider realistischen Gruselszenario erfahren wollen: Der Verfassungsblog von Max Steinbeis hat dazu gerade das "Thüringen-Projekt" gestartet, gern mal informieren! Lesen Sie diesen Artikel hier aber bitte vorher noch zu Ende.)

In Bayern und Hessen blieben die Faschos derweil unter 20 Prozent. Darüber ist man dieser Tage ja froh. Vielleicht war in Bayern die Auswahl an rechten Scharfmachern aber auch einfach zu groß. An AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner lag's jedenfalls nicht. Die Dirndldemagogin hat mit Powersätzen wie "Söder ist der Samenspender dieser Ampelmissgeburt!" wirklich alles gegeben, aber ein Geheimnis ist‘s ja nun nicht: Nazis wollen eben doch einen starken Mann.

Dabei braucht man die AfD ohnehin nicht mehr, wenn mittlerweile schon Bundesuhu Steinmeier ihre Positionen übernimmt, sofern ich ihn da im Gespräch mit Caren Miosga richtig verstanden habe. Um die Stimmung in Bayern authentisch einzufangen, hatte ich mich dort am Wahlwochenende auf der Straße umgehört und folgende beunruhigende, aber auch beruhigende Auskunft erhalten: "Bei jedem, den i kenn, kommt die AfD beim Wahl-O-Mat auf Platz 1, aber klar: Wählen kann man die nicht!" Gut, manche konnten's dann wohl doch.

Ein "historischer Linksrutsch", vor dem Söder noch im Oktober 2021 auf dem CSU-Parteitag gewarnt hatte, scheint damit aber zum Glück vom Tisch. Zwar haben es Grüne und SPD beide über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft, weshalb man in Bayern langsam mal über ein Verbot nachdenken müsste, um die linke Lawine aufzuhalten, solange sie noch in der Schneekanone steckt. Doch CSU plus AfD plus Flugblatt-Hubsi, der ehemalige A-Jugend-Meister im Hitlerimitieren, sammelten in Bayern gut zwei Drittel der Wählerstimmen. Die Linken wiederum sammelten sich angesichts solcher Ergebnisse auf dem Kotzhügel hinter der Wiesn. Immerhin Aiwangers jugendlichen Antisemitismus bestrafte man in seinem Stimmkreis Landshut knallhart mit dem ersten Direktmandat in der Geschichte der Freien Wähler.

Zum heimlichen Highlight dieser Wahl avancierte im Übrigen ein anderer Hubert. Der von der Bayernpartei, den Bavariaseparatisten. Generalsekretär und Schnauzbartmodel Hubert Dorn wetterte im Trachtenjanker in der Wahlarena des Bayerischen Rundfunks so zünftig gegen das "bayernfeindliche und bayernschädliche" Berlin, dass ich ihn zunächst für einen unfassbar präzisen Kabarettisten vom Kaliber eines Gerhard Polt hielt. Als er dem nur anderthalb Meter entfernt stehenden Moderatorenduo voller Verve entgegenbrüllte, "Die CSU können Sie als Küchenquirl verwenden, die schlägt Schaum!", war ich erstmal humoristisch überzeugt: Bayxit now! Bis mir dämmerte: Der meint das ernst. Von seiner Partei stammt auch diese besonders komplexe Wahlprognose: "Wer Freie Wähler wählt, der bekommt: Schwarz-Grün!" Hä?! Egal. Hat's leider nicht in den Landtag geschafft, hätte man "gern" mehr von gesehen.

Die Wolfspartei: "Wir fressen Hessen"

Weitaus weniger hoch her ging's in Hessen. "Wahlkampf ohne viel Kampf", monierte die Tagesschau. Zu Recht. Hessenwahl 2023 – wer sich nicht erinnert, war dabei. Mein Vorschlag für mehr Pepp: Analog zur Bayernpartei braucht's eine Hessenpartei! Das wär's doch! Der Vorsitzende beim Interview mit einem Glas Ebbelwoi in der Hessenschau: "Miä müssä raus aus diesä vermaledeitä Bundesrepublisch!" oder wie die da halt babbeln.

Weil es aber noch keine Hessenpartei und damit keinen richtigen Wahlkampf gab, ist der größte Verlierer dieser Landtagswahl auch einer, der gar nicht angetreten ist: der Wolf. Alle Parteien wollen ihn totschießen. Die CDU mit Karacho, die SPD mit Augenmaß, die Grünen mit Bauchschmerzen. Denn der Wolf dringt in unsere Gesellschaft ein, macht die Lande unsicher, schnappt sich unsere Kinder. Oder war das der Migrant? Das Wording im Wahlkampf glich sich jedenfalls aufs Fell. Um eine politische Gegenstimme zu bilden und zusätzlichen Schwung in den Wahlkampf zu bringen, sollten auch die Wölfe bis zur nächsten Wahl eine eigene Partei gründen. Slogan: "Wir fressen Hessen!"

Zu bekämpfen hätte Hessen aber durchaus etwas. Das verrät der Wahl-O-Mat. (Sie wissen schon: dieses Umfrage-Tool, wo man mehreren Thesen zustimmen oder widersprechen muss und am Ende sagt einem das Gerät, dass man die Linke wählen müsste und dann wählt man CDU.) In Hessen lautete These 8: Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen soll aufgelöst werden. These 27: Das Land Hessen soll Projekte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus verstärkt fördern. These 37: Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen soll die NSU-Akten vollständig der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Da merkt man schon, was eigentlich abgeht in einem zwischen Bembel und Handkäs mit Musik zunächst so gemütlich daherkommenden Bundesland. Aber jetzt ist halt erstmal der Wolf dran.

Im kampflosen Wahlkampf kämpften die Hessen ausschließlich gegen sich selbst. Zuvörderst die Ampel-Parteien. Unentwegt distanzierten sie sich von ihren peinlichen Streitgeiern in Berlin. Mit Klarstellungen wie "Der Landtag steht in Wiesbaden und nicht in Berlin!" bewies etwa der grüne Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir seine Geographiekenntnisse, wohingegen FDP-Frontmann Stefan Naas das Großflächenplakat mit seinem Konterfei fälschlicherweise außerhalb Hessens hingepappt hatte, nämlich in Poing bei München, mehr als 300 Kilometer daneben. Am schwersten beim Ampel-Bashing hatte es indes SPD-Ministerinnenpräsidentinnenamtsanwärterin Nancy Faeser, der es nicht gelang, sich glaubwürdig von der Politik der Bundesinnenministerin abzugrenzen. (Na, wie lange haben Sie für das Wort "Ministerinnenpräsidentinnenamtsanwärterin" gebraucht?)

Doch nicht nur die Ampelmännchen und -weibchen, auch Ministerpräsident Boris Rhein hatte Berliner Blödsinn auszubaden. Immer wieder versicherte der CDU-Mann, der in Hessen übrigens zusammen mit dem grünen Hauptgegner regiert, die dentalmedizinischen Thesen von Friedrich Merz nicht zu teilen.

Dass es zu keinem echten Wahlkampf kam, kam Rhein entgegen: Obzwar amtierender Regierungschef, hat er noch nie in seinem Leben eine Wahl gewonnen. Beim Frankfurter Bürgermeisterduell anno 2012 unterlag er sogar Peter "Europapokal" Feldmann. Ministerpräsident wurde er nur, weil die CDU nach dem Rücktritt Volker Bouffiers eine möglichst blutarme Figur für den Posten gesucht hat, mit der im Idealfall gar nicht auffällt, dass der alte Landesvater nicht mehr da ist. Diese Herausforderung hat Rhein bravourös gemeistert. Seine Partei hofft, dass er das auch die nächsten fünf Jahre bis zur nächsten Wahl durchziehen kann.

Die FDP dreht jetzt frei

Auswirkungen haben die beiden Wahlen aber bedauerlicherweise nicht nur für Bayern und Hessen, sondern auf uns alle. Wegen der Loser-Partei FDP. Deren abermals miserables Abschneiden bedeutet: Lindner dreht jetzt richtig durch! Denkbar sind Forderungen wie "Kinderarbeit statt Kinderarmut: Arbeitsrecht reformieren!" oder "Kinderarmut senken: Flaschenpfand auf 50 Cent erhöhen!" – zu lesen waren diese in den letzten Wochen zumindest schon auf satirischen Fake-FDP-Plakaten in Frankfurt.

Während also in Bayern die Bierzelte bebten und Hessen schlafwandelte, sind die Resultate beiderorts doch erstaunlich ähnlich: Die amtierenden Regierungen können weitermachen. Markus "Mister 40% minus X" Söder bereitet sich nun auf die nächste Kanzlerkandidatur vor, Nancy Faeser tuckert zurück zu ihrem Halbtagsjob nach Berlin und die Linke ist und bleibt tot. Sie hat es nicht durch den Sperrklauselfilter des demokratischen Klärbeckens geschafft, findet damit genauso wie gut zehn Prozent der sonstigen Stimmen keine parlamentarische Repräsentation. Aber sei's drum: Wenn's so weitergeht, sehnen wir uns sowieso bald nach diesen Zeiten zurück, in denen man noch wählen durfte.


Cornelius W. M. Oettle schreibt fürs "Wahrheit"-Ressort der taz, das Faktenmagazin "Titanic", "Die Anstalt" im ZDF und den Mikroblogging-Dienst X (Twitter). Außerdem arbeitet er für den EU-Abgeordneten Martin Sonneborn und veröffentlicht im November sein neues Buch "Meine Witze sind alle nur gecloud", das er zusammen mit einer Künstlichen Intelligenz geschrieben hat.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Peter Kurtenacker
    am 15.10.2023
    Antworten
    Einfach süß.
    Das Thema scheint niemanden zu interessieren. Noch nicht einmal die üblichen Verdächtigen melden sich.
    Die Wende in andere politische Richtungen macht einige anscheinend sprachlos.
    Na ja, als alter Herr merke ich auch lieber eine ordentliche Bockwurst, als eine linke Emanze die mich…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!