Die ganze Sache begann im Januar. Da berichtete die "Stuttgarter Zeitung" über einen Streit bei der Straßenzeitung "Trottwar". Der Chef sei laut, ja cholerisch, habe seine ganze Familie im Verein angestellt. Es geht um finanziell lukrative Corona-Jahre. Und um die Immobilien. Die Häuser des gemeinnützigen und mildtätigen Vereins, der die Straßenzeitung herausgibt, sollen armen Leuten für kleines Geld Obdach geben, sagt "Trottwar"-Geschäftsführer Helmut Schmid. Drei Zimmer, 500 Euro, unschlagbar in Stuttgart. Die "Stuttgarter Zeitung" bezichtigt er der Lüge, gegen den Autoren des Artikels will er Straßenzeitungen international in Stellung bringen.
Schmid ist so etwas wie eine Institution in Stuttgart. Er ist das Gesicht von "Trottwar". Stadtbildprägend sind die Verkäufer:innen mit den roten Leibchen, die für 1 Euro 40 "Trottwar"-Ausgaben einkaufen, um sie für 2 Euro 80 auf der Straße wieder zu verkaufen. Die Differenz ist ihr Lohn, sofern sie freie Verkaufende sind, manche sind auch fest angestellt. Helfen soll das dem Selbstbewusstsein und der Selbstständigkeit, eine Aufgabe gibt Halt. Zugleich sollen Nichtbenachteiligte Zugang zu den Problemen derer bekommen, die man zwar sieht, aber selten kennt und die in den großen Debatten kaum Gehör finden. Das ist das Prinzip der Straßenzeitungen, seit Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre die ersten beiden – "Streetnews" in New York und kurz darauf "The Big Issue" in London – an den Start gingen.
Heute gibt es in allen größeren Städten in Deutschland mindestens eine: "Motz" in Berlin, "Abseits" in Osnabrück, "Biss" in München, eine der größten ist "Hinz und Kunzt", angegliedert an die Diakonie in Hamburg. In den Redaktionen sitzen oft Journalist:innen, nur wenige Straßenzeitungen werden von Obdachlosen selbst geschrieben. Dennoch tun Straßenzeitungen etwas für Menschen, für die sonst kaum eine:r was tut. Sie sind etwas Gutes. Und das macht es schwierig, über die Querelen bei "Trottwar" zu berichten.
Er sei falsch verstanden worden, sagt Schmid
Die Zeitung existiert seit 1994 in Stuttgart, lange mit Sitz an der Hauptstätter Straße, zweite Reihe. Vor ein paar Jahren hat sich der Verein ein eigenes Haus in einer ruhigen Ecke des Stuttgarter Westens gekauft. Geschäftsführer, Herausgeber und Chefredakteur Helmut Schmid gibt gerne Interviews, in denen er von sich selbst erzählt und davon, was er seit fast 30 Jahren alles für sozial Benachteiligte tue – gerne mit vielen Sätzen. Zwei davon sind ihm jetzt um die Ohren geflogen: Dass er es erotisch findet, wenn Frauen in kurzen Röcken den Paternoster, einen offenen Aufzug, im Stuttgarter Rathaus nutzen, hat ihm eine Nominierung für den goldenen Gaul eingebracht, einen Negativpreis Stuttgarter Feministinnen. Zudem wird der Satz "Geld ist nicht alles, sagte der alte Jude, man braucht auch Immobilien und Edelsteine", geäußert auch in einem Interview mit Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, als antisemitisch gewertet.
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Bernd Gebauer
am 07.10.2023