Mannheim hat schon viel erlebt. Die dortige Union erst recht und keineswegs erst seit dem unrühmlichen Abgang des Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel wegen sinistrer Maskengeschäfte. Wie in einem Brennglas lässt sich in Baden-Württembergs zweitgrößter Stadt mitverfolgen, dass Misserfolge parteiinternes Vertrauen ruinieren. Immer wieder war der Stadtverband von Affären geschüttelt. "Das Prinzip der CDU Mannheim scheint derzeit zu lauten: Aug' um Aug', Zahn um Zahn", urteilte schon 2005 der damalige Wissenschaftsminister Peter Frankenberg, "wir sind eine alt- und keine neutestamentliche Partei, eigentlich keine CDU, sondern eine alttestamentliche KUAP, eine Kain-und-Abel-Partei." Und Ministerpräsident Günther Oettinger bat fast flehentlich, die Auseinandersetzungen und Grabenkämpfe vor Ort zu beenden, denn der Landesverband brauche auch in Mannheim eine starke CDU.
16 Jahre später braucht die CDU deutlich mehr. Landeschef Thomas Strobl, der am Wochenende im Mannheimer Rosengarten seine Wiederwahl anstrebt, sagt dem "Südkurier", dass er Kontinuität will – angesichts der "vier Personen im Bundesvorsitz in nur fünf Jahren". Seinen Favoriten für Armin Laschets Nachfolge verschweigt er allerdings und tappt wie viele Führungsfiguren in der Vergangenheit in die vor Mitgliederentscheiden selbst aufgestellte Falle. Jetzt habe die Basis das Wort, heißt es allenthalben. "Da will ich nicht vorgreifen", sagt Strobl, als wäre diese Basis nicht daran interessiert, was die eigenen Parteigranden über diese wichtigste Personalie denken.
Anfängerfehler der SPD
Die SPD machte 1993, als zum ersten Mal die damals noch 870.000 GenossInnen die Kartoffeln aus dem Feuer holen sollten, noch einen Anfängerfehler. Denn bei drei KandidatInnen – Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul – wurde auf eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten des ersten Wahlgangs verzichtet. Stattdessen reichten dem Sieger Scharping, damals Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, magere vierzig Prozent, bei einer Beteiligung von weniger als einer halben Million Mitgliedern. Überraschend war es schon, aber ein Wunder nicht, dass nur zwei Jahre später Oskar Lafontaine mit einer einzigen Rede – wiederum im Mannheimer Rosengarten – die Autorität des Parteichefs endgültig zertrümmerte. Ungeplant, entgegen all den Gerüchten und Mutmaßungen, die sich bis heute halten, aber mit nachhaltiger Wirkung, von der sich die SPD lange nicht erholen sollte.
"Basisdemokratie ist ein Krisensymptom", schrieb die FAZ in einer der Analysen, weil für den Kurs der Partei bestimmende Richtungswechsel, allen voran Schröders Hartz-IV-Politik, natürlich nie und nimmer zur Abstimmung gestellt würden. Eines der wenigen Gegenbeispiele lieferte die FDP, die ihre endgültige Haltung zum "Großen Lauschangriff" in einer Urwahl bestimmen ließ. Auch das führte allerdings nicht zur Befriedung, sondern zu erheblicher parteiinterner Unruhe über mehrere Jahre hinweg, bis sich die Spitze gegen den linksliberalen Flügel zu einem Ja durchrang.
Strobl steht nicht mehr als Vize zur Verfügung
CDU-Landeschef Strobl hat sich aktuell zumindest zu einer klaren Stellenbeschreibung für den neuen Bundesvorsitzenden entschlossen, dem er selbst – Stichwort: Erneuerung – nicht mehr als Vize zur Verfügung stehen will: "Er muss dafür sorgen, dass die Union die Oppositionsrolle annimmt und kraftvoll ausfüllt." Noch eine Blaupause, die sein eigener Landesverband nicht liefern kann. Denn der kämpfte 2011, als Grün-Rot an die Macht kam, noch immer mit den Folgen des Mitgliederentscheids sechs Jahre zuvor um die Nachfolge von Ministerpräsident Erwin Teufel. Der spaltete die Südwest-CDU in die so oft beschriebenen beiden Lager. 60 Prozent hatten sich für Günther Oettinger ausgesprochen, 40 Prozent für Annette Schavan, wenigstens bei einer Beteiligung von fast drei Viertel der Mitglieder.
Der Zwist war damit zementiert, der Niedergang nicht aufzuhalten, weil die Oppositionsrolle eben nicht kraftvoll, sondern beleidigt, gedemütigt, von manchen fast hasserfüllt angenommen wurde. 2014, beim nächsten Versuch, die Verantwortung an die Basis abzudrücken, kam es noch dicker: Strobl, inzwischen als Oettingers früherer Generalsekretär zum Landesvorsitzenden aufgestiegen, konnte in der Auseinandersetzung um die Spitzenkandidatur nur rund 16.000 der 69.000 ParteifreundInnen für sich mobilisieren. Er unterlag Guido Wolf, der aber den grünen Regenten Winfried Kretschmann bei der Landtagswahl 2016 auch nicht bezwingen konnte.
Über "das Märchen vom guten Mitgliederentscheid" schreibt dieser Tag der "Spiegel". Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hat sich mit den Mechanismen befasst, in mehreren Diplom- oder Masterarbeiten sind die Widerhaken durchleuchtet. Schon 1999 wurde an der Uni Potsdam zum Beispiel die Gefahr der Apathie von zu vielen Parteibuchbesitzern erörtert, die ihre Beiträge zahlen, darüber hinaus aber Entscheidungen gern auf die Ebenen vor Ort, im Land oder im Bund delegieren. Und im Übrigen nicht weiter behelligt werden wollen. Klar müsse eines sein, heißt es auch in der Aufarbeitung der sozialdemokratischen Bundestagswahlniederlage von 2017, Basisdemokratie sei kein Rezept für die sozialdemokratische Zukunft, denn: "Eine Partei braucht Führung."
Böblingen 2018: Ort des schwebenden CDU-Herzens
Das ist aber schwierig, wenn wie jetzt in der Bundes-CDU eine Vielzahl ziemlich unterschiedlicher Kronprinzen nach dem Thron greifen, und keiner von ihnen so viel Autorität und Strahlkraft besitzt, eine deutliche Mehrheit des Parteivolks für sich zu mobilisieren. Erst recht wird die Lage dann heikel, wenn im Durcheinander der Aspiranten gerade noch hochgelobte Beteiligungsformate auf einmal schlecht geredet werden.
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