KONTEXT:Wochenzeitung
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Besitzstand oder Mangel

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Insgesamt 28 Privathochschulen sind im Südwesten staatlich anerkannt. Nur sechs davon erhalten institutionelle Förderung, darunter die Stuttgarter Merz Akademie. Ungerecht? Kontext hat mit Markus Merz, dem Gründer der Medienhochschule, gesprochen.

Die Merz Akademie in Stuttgart ist eine Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien. Zum Lehrangebot gehören neben Film und Video, New Media und Visueller Kommunikation auch Crossmedia Publishing und kritische Theorie. Damit positioniert sich die Hochschule zwischen Technologie und Geisteswissenschaften, mit Akzent auf Gestaltung in einem breiten, allgemeinen Sinn über die auftragsgebundene Arbeit hinaus. Markus Merz hat die Akademie in ihrer heutigen Form Anfang der 1980er-Jahre initiiert. Zu einer Zeit, als die Stuttgarter Kunstakademie Neue Medien noch eher bekämpfte, als es noch kein ZKM in Karlsruhe und keine Filmakademie in Ludwigsburg gab. Heute leitet er das Merz Bildungswerk, die Dachorganisation, zu der auch die Merz Schule, das Internat und ein Berufskolleg für Grafikdesign gehören. Rektor ist seit vier Jahren Martin Fritz, allerdings nur noch bis Ende Sommersemester. Er weilt derzeit bereits in Wien.

53 Prozent des Etats der Merz-Akademie – 2019 waren dies 3,3 Millionen Euro – stammen aus Landesmitteln. Dagegen klagt nun die private Hochschule für Kommunikation und Gestalten (HfK+G) mit Standorten in Stuttgart und Ulm, die keine Fördergeleder erhält, vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart (Kontext berichtete). Seit 2005 seien Millionenbeträge an diverse private Bildungseinrichtungen zu Unrecht gezahlt worden. Trifft das im Fall der Merz Akademie zu?

Die Finanzierung ist ein "fragiles Gebilde"

Gebühren, Stiftung oder Pleite?

Brauchen die privaten Hochschulen mehr Geld oder werden sie mit Staatsknete gepampert? Diese Frage lässt sich so nicht beantworten. Die einen sind nicht auf Zuschüsse angewiesen, weil sie wie der Heilbronner Bildungscampus von der Stiftung eines Milliardärs getragen werden. Die Hochschule für Kunsttherapie in Nürtingen musste dagegen vor vier Jahren das Handtuch werfen und ist seither in die staatliche Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen eingegliedert. Während Hochschulen im Management-Bereich hohe Gebühren verlangen können, geht das an kirchlichen Hochschulen, die sich zumeist auf Sozialberufe konzentrieren, nicht.  (dh)

"Mir ist klar, dass die aktuelle Situation der Förderung nichtstaatlicher Hochschulen sehr leicht als Privilegierung einiger Hochschulen missverstanden werden kann", sagt Markus Merz. "Ich habe Verständnis für die Nöte der Hochschulen, die keine oder relativ geringe Förderung erhalten. Auch die Finanzierung unserer Hochschule war immer ein fragiles Gebilde und ist es bis heute. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass es der Merz Akademie finanziell gut geht."

"Ich verstehe schon, dass man irritiert sein kann", konzediert auch Maren Schmohl, Prorektorin der Schule, im Video-Interview mit Kontext. Aber: "In den letzten 15 Jahren gab es eine Welle an Hochschulgründungen. Hinter vielen stehen große Träger. Oder sie können kostendeckend arbeiten, weil sie hohe Studiengebühren verlangen für Business-Studiengänge, wo man anschließend entsprechend verdienen kann." Bei der Merz Akademie verhalte es sich anders.

In einem Studiengang im kreativen Medienbereich, hält die Prorektorin dagegen, der teuer ist, weil er auf kostenintensives technisches Equipment angewiesen ist, "müssen die Studiengebühren entsprechend angepasst sein." 383 Euro kostet die Akademie monatlich im Bachelor-, 415 im Masterstudium. Für die rund 250 Studierenden nicht wenig, für die Hochschule aber unverzichtbar, denn auch die Studiengebühren tragen mit 29 Prozent zur Finanzierung bei.

Was eine Hochschule verlangen kann, hängt eben auch von den Berufsaussichten ab: An der Katholischen Hochschule in Freiburg kostet das Bachelorstudium in Sozial- und Pflegeberufen monatlich 280, an der wirtschaftlich ausgerichteten Hochschule Fresenius in Heidelberg dagegen in der Regel 670 Euro. Allerdings versucht die Merz Akademie, auch Interessenten ohne großen Geldbeutel ein Studium zu ermöglichen, indem sie zum Beispiel am Modell des Umgekehrten Generationenvertrags der Chancen eG teilnehmen können – die Studierenden zahlen keine Gebühren, verpflichten sich aber, später einen Teil ihres Einkommens dafür zu verwenden, anderen ein Studium zu ermöglichen.

Rechtsanspruch abgeschmolzen, Zuschuss eingefroren

Seit 1985 ist die Merz Akademie als Hochschule staatlich anerkannt. Das hieß nach damaligem Stand, sie hatte einen Rechtsanspruch auf staatliche Förderung. "Allerdings sind wir von Anfang an nicht mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet worden", beklagt Markus Merz: "Die Geschichte der Merz Akademie ist auch eine Geschichte des Kampfes um die ihr zustehende Förderung." Als Zwischenerfolg sei zu verbuchen gewesen, dass eine Förderungspauschale pro Student ausgehandelt wurde, auf die allerdings bald eine Deckelung der Zahl der Studienplätze folgte. "Dann gab es Kürzungen um fünf Prozent und dann um weitere fünf Prozent", skizziert Merz das Problem, "was für so eine kleine Hochschule jedes Jahr extrem viel fehlendes Geld ist."

Weniger Förderung, höhere Ausgaben

"Das Wissenschaftsministerium hat errechnet, dass aktuell 1.500 Euro pro Studienplatz weniger seitens des Landes an die Hochschulen fließen als noch im Jahr 2001", hat Renate Kirchhoff, die Rektorin der Evangelischen Hochschule Freiburg, in einer Ansprache im November festgestellt. Dies beträfe alle Hochschulen, die sich trotz unterschiedlicher Finanzierungsstrukturen einig seien, dass diese jährlichen Kopfpauschalen wieder erhöht werden müssten. An der EH Freiburg seien durch zusätzliche, vom Land viel geringer bezuschusste Studienplätze, zusätzliche Aufgaben und gestiegene Kosten für Gebäude und Personal in derselben Zeit hohe Ausgaben angelaufen, die bisher die Landeskirche übernommen habe. Dies sei nun nicht länger möglich, zumal die EH Freiburg aus eigenem Entschluss auf Studiengebühren verzichte und das Land von der guten Ausbildung der Absolventen profitiere.  (dh)

Mittlerweile sind die Zuschüsse eingefroren. "Wir haben uns darauf eingelassen, um überhaupt weitermachen zu können", versucht Merz dies begreiflich zu machen. So entstünden jedoch Jahr für Jahr höhere Verluste. "Wir sind an die öffentlichen Tarife gebunden", erklärt Schmohl. "Wenn es Tarifsteigerungen gibt, bei unseren Dozenten und Mitarbeiten, trifft uns das hart." 230.000 Euro Mehrkosten habe die Akademie dadurch allein in den letzten drei Jahren gehabt, fügt Merz später hinzu. Auf die Frage, wie dies aufgefangen werde, antwortet Schmohl: "Da ist bisher unser Träger, das Bildungswerk, eingesprungen."

Merz Bildungswerk nennt sich seit 2017 die Dachgesellschaft. Im Mittelpunkt stand lange Zeit die Merz-Schule: 1918 gegründet von Markus Merz' Großvater Albrecht Leo aus dem Kontext der Lebens- und Schulreformbewegung heraus. Mit dazu gehörte von Anfang an eine "Freie Akademie für Erkennen und Gestalten", die jedoch erst durch die Ausrichtung auf Neue Medien ein eigenes Profil gewann.

"Wir haben sehr viel Geld in die Merz Akademie gesteckt", sagt Markus Merz, nun in seiner Funktion als Leiter des Bildungswerks. "Aber das war in einer Dimension nötig, die sich das Bildungswerk nicht mehr leisten kann. Unsere Liegenschaften sind teilweise sanierungsbedürftig. Merz Schule, Internat und Kindergarten: unsere Einrichtungen sind alle gemeinnützig und auf Unterstützung des Merz Bildungswerks angewiesen. Die Kosten für Sanierung und Renovierung sind dermaßen explodiert, dass wir uns schon fragen, wie wir das überhaupt leisten können."

Auf die Akkreditierung kommt es an

Während auf der einen Seite die staatlichen Zuschüsse gekappt wurden, begann andererseits bald darauf der Wissenschaftsrat, die nichtstaatlichen Hochschulen zu evaluieren. Die Merz Akademie hatte keine Probleme, 2008 und erneut 2015 eine Akkreditierung zu bekommen, anders als die erst 2014 gegründete HfK+G, die nun auf Gleichbehandlung klagt. Sie erhielt im vergangenen Oktober keine Akkreditierung.

Ein Problem für beide Hochschulen ist, dass der Wissenschaftsrat seit 2012 für die Anerkennung als Hochschule mit Bachelor- und Master-Angebot mindestens zehn Vollzeit-Professuren verlangt. Diese Bedingung kann die HfK+G nicht, die Merz Akademie immerhin knapp erfüllen. Wenn allerdings aufgrund von Tarifsteigerungen oder aus anderen Gründen weniger Mittel zur Verfügung stehen, kann sie nicht einfach die Zahl der Dozenten und Studierenden herabsetzen, sonst droht sie die Akkreditierung zu verlieren. "Die Crux ist, dass wir uns nicht frei entwickeln können", bedauert Schmohl. "Nach oben nicht, weil Zuschüsse und Zahl der Studierenden gedeckelt sind; aber auch nicht nach unten, weil wir dann unter die Mindestgröße des Wissenschaftsrats fallen."

Eine Besonderheit, wenn nicht ein Alleinstellungsmerkmal der Merz Akademie ist, was Markus Merz den Gedanken der Autorschaft nennt. Studierende lernen nicht nur, bestehende Medien zu verwenden, Werbebotschaften zu verpacken oder im Auftrag von Unternehmen Produkte zu gestalten. Sie sind angehalten, während des Studiums und in der Abschlussarbeit eigene Problemstellungen und die dazu passenden Medienumgebungen zu entwickeln, in Bereichen wie Kunst, Kultur, Gesellschaft oder Wissenschaft. Wer dies gelernt hat, kann auch über das Studium hinaus Impulse setzen. Er oder sie hat Teil an der Gestaltung der Welt, ob es sich um die Welt der Medien oder um die Gesellschaft handelt.

Kritische Theorie ist ein wichtiger Bestandteil des Studiums. Die Ringvorlesung mit internationalen Gästen ist öffentlich zugänglich. Ausgewählte Vorträge sind auf der Website der Akademie nachzuhören. Die Umstellung von einem Tag auf den anderen wegen Corona habe "außerordentlich gut geklappt", findet Schmohl, was Anlass gebe, "den digitalen Aspekt der Lehre weiter zu entwickeln." Etwa indem Vortragende aus den USA oder aus Polen nicht eigens eingeflogen werden müssten, was Geld, aber auch CO2-Emissionen einspare. Allerdings sei auch der persönliche Kontakt wichtig.

Merz macht mobil fürs Haus für Film und Medien

Seine Erfahrungen bringt Markus Merz auch in den Verein Haus für Film und Medien mit ein, ursprünglich "Neues Kommunales Kino Stuttgart e.V." genannt, den er seit seiner Gründung vor ungefähr zehn Jahren leitet. Seit zwölf Jahren gibt es in Stuttgart kein Kommunales Kino mehr. Bald nach der Schließung am früheren Standort Amerikahaus gründete sich die Initiative. Es sei gar nicht so einfach, die 25 beteiligten Institutionen unter einen Hut zu bekommen, berichtet Merz, zumal einige von ihnen zunächst einmal gar nicht mehr wollten, als ihr Kommunales Kino zurückhaben.

Merz will mehr: "Bewegtes Bild ist nicht nur Kino", betont er, "es begegnet uns auf allen möglichen anderen Wegen: Die Netze, die sozialen Medien, das eigene Produzieren und die Verschränkung der Medien haben das Bewegtbild in ganz neue Zusammenhänge gebracht, über den klassischen Kinofilm hinaus. Das verlangt eben auch, dass man sich ein völlig neues Haus ausdenkt. Mit dieser neuen Vorstellung sind wir relativ weit gekommen."

Fabian Mayer (CDU), der Erste Bürgermeister von Stuttgart, hat sich das Thema zueigen gemacht. Am 5. März, noch kurz vor den Corona-Einschränkungen, hat der Gemeinderat das Konzept einstimmig befürwortet und 49 Millionen Euro für den Bau sowie 4 Millionen jährlich für den Betrieb bewilligt. An der Stelle des heutigen Breuninger-Parkhauses soll das Film- und Medienhaus entstehen und als Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA '27) noch vor 2027 fertig sein. Neben zwei Kinosälen, einem Mehrzweckraum, Werkstätten und Seminarräumen sollen dazu ein Ausstellungsbereich und Gastronomie gehören. Die 25 Partner des Vereins warten nur darauf, das neue Haus mit Leben zu füllen.

"Es geht darum, dass es ein Angebot der Partizipation an die Bevölkerung ist", so Merz: "Ich kann hier mit Medien selber umgehen. Ich kann Seminare besuchen mit internationalen Gästen, so wie wir es auch an der Merz Akademie machen. Es soll aber auch speziell auf Kinder und Jugendliche, auf Rentnerinnen und Rentner zugeschnittene Programme geben, um eine souveräne Haltung im Umgang mit Medien zu entwickeln, damit sich dies auch im Stadtgeschehen niederschlagen kann."

"Der Autor-Gedanke spielt auch hier wieder eine Rolle", betont Merz. "Wer lernt, wie man Kamera führt, Ton macht und schneidet, kann auch als Autor auftreten. Dazu genügt schon ein Mobiltelefon. Es ist ein wesentlicher Aspekt, hier ein großes Angebot zu entwickeln."


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