Es gibt aber einige problematische Aspekte bei diesem Unterfangen. Zunächst ist es recht unrealistisch, dass sich eine größere Anzahl von Parteimitgliedern der Grünen und der SPD – oder gar die ganzen Parteien – dieser Initiative anschließt. Ähnliches gilt für die Zustimmung der gesamten Linkspartei zur Umwandlung in eine überparteiliche Sammlungsbewegung – auch wenn die Partei ja eigentlich schon eine solche Sammlung aus PDS und WASG darstellt. Falls die Initiatoren trotzdem an ihrem Vorschlag festhalten, könnte es tatsächlich zu einer Spaltung der Linkspartei kommen, nicht zu der eigentlich beabsichtigten Erweiterung.
Auch der Begriff einer "Volkspartei" ist durchaus ambivalent. Natürlich wäre es wünschenswert, auf der Linken eine kraftvolle Partei zu haben, die viele gesellschaftliche Gruppen unter einem Dach vereinigt. Allerdings zeigt die jüngere Geschichte der deutschen Volksparteien, einschließlich der SPD, dass diese breiten Bündnisse zuletzt vor allem zugunsten der Mittelschicht agiert haben. Letztere beteiligt sich zuverlässig an Wahlen, im Gegenteil zu den Marginalisierten, die schon lange den Glauben an die Verbesserung der eigenen Lage durch den Wahlakt aufgegeben haben und allenfalls ein Kreuzchen bei einer Protestpartei setzen. Notwendig wäre aus dieser Perspektive eher eine Klientelpartei für die sozioökonomisch am wenigsten Privilegierten und die vom Abstieg bedrohte untere Mittelschicht.
Riskant: Fixierung auf eine Führungsfigur
Schließlich ist auch die personelle Fixierung auf Sahra Wagenknecht zweischneidig. Der kurzfristige Appeal einer Personalisierung ist offensichtlich, man denke nur an Lindner und die FDP, Kurz und die ÖVP sowie natürlich Macron. Auch auf der Linken ist das Rezept nicht ohne Meriten, wie Jean-Luc Mélenchon in Frankreich und Jeremy Corbyn in England bewiesen haben. Zudem strahlt Sahra Wagenknechts Popularität auch deutlich über die Grenzen der Linkspartei hinaus.
Ob eine personenfixierte Sammlungsbewegung langfristig zum Erfolg führen würde, ist aber eine andere Frage. Zunächst steht und fällt eine solche Sammlungsbewegung mit der Popularität der Führungsfigur. Derzeit ist diese im Falle Wagenknechts hoch, aber das muss nicht endlos anhalten – und dann könnte eine solche Bewegung ins Bodenlose stürzen. Neben der Fixierung auf eine Person ist es auch gefährlich, auf Parteistrukturen zu verzichten, denn diese erfüllen wichtige Funktionen im politischen Prozess. Sie können beispielsweise für eine demokratische Entscheidungsfindung im vorparlamentarischen Raum sorgen, sowie für die systematische Rekrutierung und Bewährung des Personals für verantwortungsvolle Positionen.
Der Kern der wütenden Ablehnung der Initiative in Teilen der Linkspartei liegt allerdings weniger in diesen Aspekten der demokratischen Repräsentation begründet, als vielmehr in inhaltlichen Fragen. Wagenknecht und Lafontaine nehmen politische Positionen ein, die von ihren Gegnern als "linksnationalistisch" bezeichnet werden. Dazu gehört insbesondere eine skeptische Haltung zu umfangreichen Migrationsbewegungen und gegenüber der bestehenden EU. Ihre innerparteilichen Kritiker favorisieren hingegen offene Grenzen und setzen nach wie vor große Hoffnungen auf eine Stärkung der EU, trotz deren ausgeprägt wirtschaftsliberalen Charakters.
Besonders deutlich wird dieser inhaltliche Hintergrund beim Institut Solidarische Moderne (ISM). Eigentlich sollte dieses Institut von der Initiative vollkommen begeistert sein, es hat sich schließlich genau zu dem Zweck gegründet, Vertreter von SPD, Linken und Grünen zusammenzubringen. Stattdessen <link https: www.solidarische-moderne.de de article external-link-new-window>lehnt es die aktuelle Initiative mit größter Schärfe ab. Es geht in dieser Ablehnung aber weniger um die verletzte Eitelkeit, dass das ISM bei dieser neuen Initiative nicht gefragt wurde, sondern vor allem um eine Migrationspolitik, die an der Vorstellung offener Grenzen festhält und eine restriktive Haltung gegenüber Wanderungsbewegungen aus Afrika und dem Nahen Osten ablehnt.
Parteipolitisch nicht repräsentiert: linke EU-Skeptiker
Bei diesem Dissens geht es um eine Kernfrage für die zukünftige Ausrichtung linker Politik. Es gibt ein deutliches Repräsentationsdefizit im deutschen Parteiensystem für jene Menschen, die eine sozioökonomisch linke Ausrichtung gerne mit einer Position verknüpft sehen würden, die aus Sorge um den Schutz des Sozialstaat eine eher skeptische Haltung gegenüber der liberalisierenden Wirkung der EU und den Folgen ungebremster Migration einnimmt. Derzeit finden diese Menschen auf der politischen Linken allerdings keine Repräsentation, außer bei Wagenknecht und Lafontaine.
Eine politische Position, die diesen Motiven eine Stimme verschafft, wäre kein opportunistisches Fischen nach Wähleremotionen, sondern würde sich an realen Problemen orientieren. Während die akademisch gebildeten Gruppen der Mittel- und Oberschichten von der – insbesondere auch durch die EU geförderten – wirtschaftlichen Globalisierung profitieren, müssen sie gleichzeitig Migranten als Konkurrenten nicht fürchten. Ganz anderes ist das bei den formal weniger qualifizierten Bevölkerungsgruppen, die die Neuankömmlinge als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, um bezahlbaren Wohnraum und um Sozialleistungen mit Sorge sehen. Derzeit artikulieren diese Gruppen ihre Befürchtungen – wenn sie nicht gleich auf die Mitwirkung im politischen Prozess verzichten – durch die Wahl der AfD, die diese Unterstützung aber nicht nur für ihre chauvinistischen und oftmals auch rassistischen Zwecke missbraucht, sondern in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik neoliberale Positionen vertritt, die den Interessen der weniger privilegierten Gruppen diametral widersprechen.
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Philippe Ressing
am 04.02.2018