In fünfzehn Jahren beruflicher Tätigkeit im Staatsministerium habe ich nichts anderes kennengelernt als diese scheinbar naturgegebene Vormachtstellung der CDU. Insofern fällt es mir schwer, mich in die Seelenlage heutiger christdemokratischer Wahlkämpfer zu versetzen. Eines aber weiß ich gewiss: Wären die Umfragewerte der CDU damals unter 45 Prozent gerutscht, hätte uns die Partei unter tatkräftiger Mithilfe der Landtagsfraktion vom Hof gejagt.
Ein Vierteljahrhundert später kämpft ein CDU-Fraktionschef um den Ministerpräsidentensessel, dem aktuelle Umfragen bestenfalls 35 Prozent Zustimmung verheißen. Was ist da in der Zwischenzeit passiert?
Viel und trotzdem vergleichsweise wenig. In den Neunzigerjahren wurde das Land vor allem verwaltet. Zweifellos gut verwaltet, im Stil eines schwäbischen Hausvaters, der sei Sach ordentlich zammehält. Niemand in der CDU fragte, ob das genug sei. Im folgenden Jahrzehnt leistete sich die Partei mangels programmatischer Beschäftigung die Demontage zweier CDU-Ministerpräsidenten. Den dritten, Stefan Mappus, demontierte das Volk selbst, das Aufatmen darüber war bis tief in die Reihen der CDU zu hören.
Ein Plüschtier für Merkel – ob das reicht?
Nun soll's einer richten, den bis vor einem Jahr kaum einer kannte und dessen bislang bemerkenswertester bundesweiter Fernsehauftritt die Überreichung eines überdimensionierten Plüschtiers an seine Parteivorsitzende war.
Kann das, aus CDU-Sicht, gut gehen?
Die Rahmenbedingungen sind wenig erfolgversprechend. Wie vor fünf Jahren, als kurz vor der Landtagswahl das japanische AKW Fukushima unter den Wellenschlägen eines Seebebens zerbarst, dominiert auch jetzt wieder ein Megathema den Wahlkampf: der gewaltige Flüchtlingsstrom aus politischen und wirtschaftlichen Krisenregionen des Nahen Ostens und Nordafrikas.
2011 kostete die Katastrophe die CDU die Macht, weil die Grünen im konservativen Lager realpolitisch salonfähig wurden. Jetzt droht sie am rechten Rand auszufransen, wo die rechtspopulistische AfD erfolgreich um politikfrustrierte Bauchwähler buhlt. Aber auch viele Wähler der Mitte tun sich schwer, dem politisch unbeschriebenen Blatt Guido Wolf den Vorzug vor einem grünen Ministerpräsidenten zu geben, der so agiert, wie sie es bei einer modernisierten CDU gerne gesehen hätten.
In aller Schärfe zeigt sich hier das Dilemma einer Partei, die es nach fast 58 Jahren Regierungsbeteiligung verlernt hat, ohne ministerielle Ämter und Apparate Politik so zu gestalten, dass sie Menschen und Medien gleichermaßen erreicht. Kein zentrales landespolitisches Thema, vom Straßenbau bis zur inneren Sicherheit, von der Wirtschaft bis zum Gesundheits- und Sozialbereich, wurde so besetzt, dass man auch nur ansatzweise von einer Themenführerschaft der CDU sprechen könnte.
Die Strahlkraft der Kanzlerin hat alle Defizite überdeckt
Das regte niemanden in der Partei auf, weil die Strahlkraft der Kanzlerin über Jahre hinweg alle landespolitischen Defizite auszugleichen schien. Doch auch damit ist es fürs Erste vorbei – ein weiterer Nackenschlag neben dem unbewältigten Flüchtlingsthema. Beides zusammen lässt die ohnehin mauen demoskopischen Werte noch tiefer in den Keller rutschen und setzt das Spitzenpersonal der Landes-CDU mächtig unter Druck.
Aus dem bundespolitischen "Wir schaffen das!" ist plötzlich ein mehrschichtiges landespolitisches "Wie schaffen wir das?" geworden. Wie gehen wir damit um, dass aus dem erhofften Berliner Rückenwird plötzlich ein frostiger Gegenwind geworden ist? Wie schaffen wir ein politisches Gegengewicht zum übermächtig-paternalistischen Ministerpräsidenten? Wie halten wir verängstigte Bürger davon ab, zu rechten Rattenfängern überzulaufen?
Wer den langsam auf Touren kommenden Wahlkampf aufmerksam beobachtet, stellt eine bemerkenswerte Entwicklung fest: Schon mit der ersten Plakatierungswelle setzt die CDU voll auf landespolitische Alltagsthemen. Was sie jahrelang eher lustlos betrieben hat, wird nun als werbliches Versprechen nachgeholt. Die hemdsärmelige Körpersprache ihres Spitzenkandidaten Wolf unterstreicht das: Seht her, ich bin der Handwerker, der gekommen ist, eure kaputte Waschmaschine Straßenbau zu reparieren.
Welch skurriler Rollenwechsel: Der Staatsmann ist Kretschmann
Wie anders dagegen die staatsmännische Plakatpose des Ministerpräsidenten! Welch skurriler Rollenwechsel! "Regieren ist eine Stilfrage." Erinnert sich noch jemand an den ersten Auftritt der Grünen im Landtag? Sie kamen in Latzhose und Turnschuhen und überreichten Lothar Späth einen Kaktus. Man könnte wehmütig werden darüber.
6 Kommentare verfügbar
S. Fischer
am 11.02.2016Zum Beispiel S21 und der schwarze Donnerstag. Hier zeigte sich erstmals für jeden offensichtlich wie weit die CDU sich vom kleinen Schwaben auf der Straße entfernt hatte. Der vollkommen unsouveräne Umgang mit den Protesten war ein weit größeres Problem als S21 an…