Man klaut aber auch allen anderen Frauen ein Stück Selbstbestimmtheit (aber, so sagt man uns, die gibt es im Patriarchat eh nicht), indem man nun das Netz der sozialen Kontrolle und Überwachung auf das Sexualleben aller BürgerInnen ausweitet, um zu prüfen, ob da nicht jemand unangemeldet Sex verkauft. Sogar das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung soll beim Verdacht auf Prostitution (nein, nicht Zwangsprostitution!) aufgehoben werden. Will Frau in den kommenden Jahren weiterhin mit wechselnden PartnerInnen außerehelichen Sex haben, könnten die prüden Nachbarn auch mal einen Anruf bei der Polizei tätigen und die sexuell selbstbestimmte Frau als vermutliche Prostituierte melden. Das ist ein Paradebeispiel von Hegemonie in patriarchalen Gesellschaften. Das Prostituiertenschutzgesetz bringt neue Pflichten, aber keine zusätzlichen Rechte. Die neuen Pflichten und Vorschriften des Prostitutionsgesetzes sind aber leider nur Symptombekämpfung. Wer die Entscheidung getroffen hat, dass der Lebensunterhalt und das tägliche Essen nur noch durch Sexarbeit zu finanzieren sind, hat in der Regel schon alle möglichen Optionen für sich durchgespielt. Repressive, paternalistische Prostitutionsgesetze ändern an diesen schlechten Optionen nichts. Das Ganze kostet die Kommunen jährlich aber ganze 17 Millionen Euro, ohne dass dabei auch nur eine einzige zusätzliche Beratungsstelle eingerichtet wird.
Geld für Hilfe statt für Bürokratie
Was kann die Bundesregierung also tun? Die 17 Millionen Euro sollten für flächendeckende, funktionierende und nicht stigmatisierende Angebote für das ganze Spektrum an Erfahrungen und Lebenslagen von Prostituierten geschaffen werden: von der 19-Jährigen Migrantin ohne Deutschkenntnisse zur 35-jährigen alleinerziehenden Mutter; vom rumänischen Vater bis hin zur 50-jährigen Frau, die nicht mehr aus Hartz IV rauskommt. Wer kein Deutsch kann und aussteigen will, soll an Deutschkursen teilnehmen und sich Qualifikationen aneignen können – und zwar ohne für die Sexarbeit stigmatisiert und verurteilt zu werden. Wer sich weiterbilden oder gar studieren will, soll dazu ermutigt werden und die Lage versetzt werden, das zu tun – und zwar auch dann, wenn man das mit Sexarbeit finanzieren will, wie so viele es tun. Wenn eine 50-Jährige lieber als Prostituierte arbeitet, weil ihr das Hartz IV-Korsett zu eng geworden ist, dann sollten wir vielleicht das Hartz-IV-System näher anschauen und nicht das Prostitutionsgesetz. Dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind diese Forderungen durchaus geläufig, die im Oktober bei der Vorstellung der Evaluation des Bundesmodellprojekts "Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution" in Berlin präsentiert wurden. Teil des Bundesmodellprojekts waren auch das Stuttgarter Projekt "Plan P" und das Projekt P.I.N.K., das in Freiburg und Kehl angesiedelt ist. Es sind Projekte für Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen und individuell unterstützt werden.
Das Stuttgarter Projekt Plan P steht aus rechtlichen Gründen (SGB II) leider nur Frauen mit Anspruch auf Sozialleistungen offen, sodass viele Armutsprostituierte ausgeschlossen sind. Plan P arbeitet eng mit Jobcentern zusammen, um Arbeit an Aussteigerinnen zu vermitteln. Dabei versucht man den Frauen einen Job zu vermitteln, den sie tatsächlich besser finden als die Sexarbeit. Die oft genannten Putzjobs sind dabei für viele Frauen körperlich zu anstrengend und daher nur für wenige eine Lösung. In diesem Prozess ist auch der Aufbau von Vertrauen durch persönliche Kontakte Voraussetzung für den Erfolg. Leider wird gerade die geplante Sonderregistrierung und bürokratische Massenabfertigung genau das zerstören: Vertrauen.
Sonja Dolinsek ist Doktorandin der Geschichte an der Uni Erfurt und forscht zu internationalen Prostitutions- und Antimenschenhandelspolitiken unter feministischen Aspekten. Sie betreibt <link http: menschenhandelheute.net external-link-new-window>die Webseite menschenhandelheute.net.
2 Kommentare verfügbar
Almuth Wessel
am 21.11.2015