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James F. Byrnes in Stuttgart

Abgründige Taten, hoffnungsvolle Worte

James F. Byrnes in Stuttgart: Abgründige Taten, hoffnungsvolle Worte
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James F. Byrnes, ehemaliger US-Außenminister und bekannt für seine "Hoffnungsrede" von 1946, befürwortete Rassentrennung und die Atombombenabwürfe auf Japan. Trotzdem ist das Deutsch-Amerikanische Zentrum in Stuttgart nach ihm benannt.

Eine wacklige Schwarz-Weiß-Aufnahme vom 6. September 1946. Der Saal im Stuttgarter Opernhaus ist prall gefüllt, vier ernst blickende Männer sitzen auf der Bühne. Ein weiterer steht am Rednerpult: James F. Byrnes, damals US-amerikanischer Außenminister, 64 Jahre alt, Halbglatze, die Drahtbrille hoch auf der Nase. Er ist schmächtig, seine Rede dafür umso eindrücklicher: 3.980 Worte, die vor Hoffnung und gutem Zuspruch, Versprechungen und Perspektiven nur so strotzen für ein in Schutt und Asche liegendes Nachkriegsdeutschland, dessen wirtschaftliche und politische Zukunft total ungewiss ist.

"Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt", schließt er die später als "Speech of Hope" – "Rede der Hoffnung" – bekannt gewordene Ansprache. Und der Grund dafür, warum in Stuttgart-Bad Cannstatt eine Straße James-F.-Byrnes-Straße heißt und das aus dem Amerikahaus hervorgegangene Deutsch-Amerikanische-Zentrum (DAZ) 1995 James-F.-Byrnes-Institut benannt wurde.

"Der gängige Diskurs ist: James F. Byrnes ist gleich 'Speech of Hope'", sagt Christiane Pyka, Direktorin des DAZ. Dass die Rede der Hoffnung nur ein Teil der Geschichte Byrnes' ist, scheint im kollektiven Gedächtnis der Stadt dagegen wenig Bedeutung zu haben. Der andere Byrnes, der die Rassentrennung vehement verteidigt, Gewerkschaften bekämpft, Gesetze gegen Lynchmorde kritisiert und die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki unterstützt hat, bleibt meist unbeachtet neben dem großen Redner und Nachkriegsheld für Deutschland.

Blinder Fleck bei der Namenswahl

Das Amerikahaus in Stuttgart gab es unter diesem Namen seit 1948, nach mehrmaligen Ortswechseln zog es 1961 in einen Neubau in der Friedrichstraße. Hervorgegangen aus einer US-amerikanischen Bibliothek für Deutsche, wurde das Kulturhaus anfangs ausschließlich von amerikanischer Seite und später zusätzlich von der Stadt Stuttgart finanziert. Als das US-Außenministerium das Haus 1995 schließen wollte, waren es Stuttgarter Bürger:innen, die sich dagegen wehrten. So wurde unter dem damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) und dem Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) aus dem Amerikahaus das Deutsch-Amerikanische Zentrum, ein gemeinnütziger Kultur- und Bildungsverein, der bis heute verschiedenste Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge und Englischkurse organisiert. Im Gegensatz zu anderen Nachfolgehäusern, etwa die Deutsch-Amerikanischen Institute in Heidelberg und Tübingen, beließ man es nicht beim Namen DAZ, sondern hing die Bezeichnung "James-F.-Byrnes-Institut E.V. Stuttgart" an. Untergebracht im Alten Waisenhaus am Charlottenplatz mitten in der Stuttgarter Innenstadt, heißt das Zentrum bis heute so.

"Bei der Wahl als Namensgeber des DAZ 1995 wurde lediglich Byrnes' Einfluss auf die deutsche und Stuttgarter Geschichte honoriert, ohne seine politischen Standpunkte und sein Schaffen als Ganzes zu berücksichtigen", steht auf der DAZ-Webseite zur Geschichte und dem Namensgeber des Instituts. Im Vereinsvorstand saßen damals Vertreter des US-Generalkonsulats Frankfurt, Vertreter:innen aus Wirtschaft, Bildung und Kultur sowie der Vorstandsvorsitzende und Staatssekretär im Staatsministerium Lorenz Menz.

Zu Byrnes' Schaffen als Ganzes gehört unter anderem sein immenser Einfluss auf die Atombombenabwürfe auf Japan im August 1945. Als einer der wenigen Politiker der USA, der von der laufenden Entwicklung der Atombombe, dem sogenannten Manhattan-Projekt, wusste, soll er den damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman zu dieser Entscheidung ermuntert haben. Als am 6. August schließlich die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde, befanden sich Byrnes und Truman von der Potsdamer Konferenz auf der Heimreise per Schiff. Laut Schiff-Logbuch sollen sich die beiden, nachdem sie von der gelungenen Zündung erfahren haben, beim Anschauen von Boxkämpfen vergnügt haben. Auf frühere Warnungen durch Wissenschaftler, die an der Entwicklung der Bombe mitwirkten, soll Byrnes mit dem Argument reagiert haben, die amerikanische Bevölkerung habe das Recht zu sehen, was aus den zwei Milliarden US-Dollars geworden sei, die in das Atombombenprogramm investiert worden waren. In Hiroshima und drei Tage später in Nagasaki kamen direkt beim Abwurf und bis Ende 1945 je nach Schätzung zwischen 150.000 und 246.000 Menschen ums Leben. Zehntausende starben in den folgenden Jahrzehnten an den Spätfolgen.

"Aus heutiger Sicht erweist sich dieser blinde Fleck bei der Namenswahl als schwierig", steht weiter auf der Webseite des DAZ. Das Zentrum wird durch Mitgliedsbeiträge und Spenden sowie aus öffentlicher Hand finanziert – vom Land Baden-Württemberg, vom Auswärtigen Amt, von der Amerikanischen Botschaft in Berlin und von der Stadt Stuttgart. Letztere fördert das DAZ in diesem Jahr mit 107.450 Euro und schreibt auf Kontext-Anfrage, es sei wichtig, Menschen ganzheitlich zu beurteilen. "Dazu gehört die gesamte Lebensleistung, eingebettet in den zeithistorischen Kontext." Dass Byrnes' "Haltung zur Rassentrennung und Lynchmorden in den USA sowie sein repressives Vorgehen gegenüber den Gewerkschaften" auf der Webseite "thematisiert" wird, scheint im Fall des Stuttgarter Instituts für die Stadt als ganzheitliche Beurteilung auszureichen. DAZ-Direktorin Pyka weist darauf hin, dass der Name des Zentrums immer wieder Thema bei verschiedenen Veranstaltungen sowie DAZ-Schulprogrammen sei. Doch auf den Vorschlag einer Namensänderung reagiert sie verhalten: "Wenn wir die ganze Erinnerung wegnehmen, fällt auch die 'Speech of Hope' weg."

Eine Rede von weltpolitischer Bedeutung

Mit der Hoffnungsrede am 6. September 1946, im Original "Restatement of the Policy on Germany", leitete Byrnes offiziell eine Neuorientierung in der Deutschlandpolitik der USA ein. Er hielt sie in Stuttgart, weil dort der Sitz des Länderrats des amerikanischen Besatzungsgebiets war. Das Opernhaus war eines der wenigen relativ unbeschadet gebliebenen Gebäude in der großteils zerbombten Stadt. Vor allen hochkarätigen Politikern der amerikanischen Besatzungszone und der damals gewählten Verfassungsgebenden Versammlungen sowie mehreren Oberbürgermeistern, amerikanischen Offizieren, Beamten der Militärregierung und in- sowie ausländischer Presse forderte Byrnes eine wirtschaftliche Einheit der deutschen Besatzungszonen und eine gesamtdeutsche Regierung. 

Innenpolitisch sollte "dem deutschen Volk innerhalb ganz Deutschlands die Hauptverantwortung für die Behandlung seiner eigenen Angelegenheiten bei geeigneten Sicherungen übertragen werden". An den Außengrenzen unterstützte Byrnes Gebietsabtretungen an Frankreich und Polen, nicht aber die Abtretung des Ruhrgebiets und des Rheinlandes. Zudem kündigte er an, dass die USA alle deutschen Kriegsgefangenen, die noch in ihrer Hand waren, bald freilassen werden.

Auf Deutsch im Rundfunk übertragen und in Sonderausgaben der Zeitungen gedruckt, erreichte die Rede einen Großteil der deutschen Bevölkerung. "Ein Tag von weltpolitischer Bedeutung in Stuttgart" titelte die "Stuttgarter Zeitung" am darauffolgenden Tag. Auch über die deutschen Grenzen hinaus stieg Byrnes' Popularität. Im Jahr 1946 ernannte ihn das "Time"-Magazin zum "Mann des Jahres" und somit zur Person, die aus Sicht der Redaktion das Weltgeschehen in jenem Jahr maßgeblich beeinflusst hat. Manfred Rommel, der sich als Stuttgarter Oberbürgermeister 1995 gegen die Schließung des Amerikahauses und für dessen Weiterführung in Form des heutigen DAZ starkmachte, schrieb in einem Text über den Krieg, der 2005 in den "Stuttgarter Nachrichten" erschien: Die "Speech of Hope" sei ein "einmaliger Vorgang in der von Rachsucht vergifteten Weltgeschichte" gewesen.

Für Rassentrennung und die "gute Ordnung"

Zum Zeitpunkt der Institutsbenennung 1995 war Byrnes bereits seit 23 Jahren tot, und das Wissen über sein Tun und Schaffen sollte längst über die bekannte Stuttgarter Rede hinausgereicht haben. Fast 40 Jahre vorher, 1956, schrieb der gelernte Jurist, zuvor fünf Jahre lang Gouverneur von South Carolina, in einem Pamphlet über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA, Rassentrennung an Schulen als verfassungswidrig einzustufen: So bestehe Einigkeit darüber, dass ein durchschnittliches schwarzes Kind, das zu Hause nur eine geringe Vorbildung genossen habe, nicht auf dem gleichen Stand sei wie ein weißes Kind des gleichen Alters und der gleichen Klasse ("It is agreed that the average negro child, having had little training at home, does not possess the training of the average white child in the same grade and age group"). Sollten deswegen, fragte Byrnes, die weißen Kinder zurückgehalten werden zugunsten der Fortschritte der schwarzen? Auf den gerichtlichen Beschluss reagierte man in South Carolina mit einer Verfassungsänderung, die Regierung konnte von nun an Schulen schließen, um die Integration von Schwarzen zu verhindern.

Nicht nur  die Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen, sondern im Allgemeinen war Byrnes dies ein Dorn im Auge. So schrieb er in seinem Artikel auch über die vielen durch öffentliche Mittel geförderten Erholungsparks in South Carolina: Damit sich an diesen alle "maximal erfreuen" könnten ("for the maximum enjoyment of all") und die "gute Ordnung gewahrt" bleibe ("for the preservation of good order"), würden die Parks getrennt für Schwarze und Weiße betrieben ("some for whites and some for negroes").

In Stuttgart gibt es seit 2021 die städtische "Koordinierungsstelle Erinnerungskultur", zu deren Zielen laut Selbstdarstellung auch gehört, "Wege für die Aufarbeitung 'weißer Flecken' der Erinnerung (…) zu ebnen". Mit James F. Byrnes habe sich die Koordinierungsstelle zwar inhaltlich befasst, schreibt die Pressestelle der Stadt auf Kontext-Anfrage. Da das DAZ aber keine städtische Einrichtung ist, könne sie sich "zu diesem Punkt zuständigkeitshalber nicht äußern", ob eine Umbenennung in deren Sinne sei. Auf die Frage, welche Personen und Menschengruppen in öffentlichen Benennungen zu selten vertreten seien, weist sie unter anderem auf die "Geschichte demokratischer Bewegungen, Geschichte mit Bezug zu Frauen, Migration, Gastarbeit, Kolonialismus, jüdisches Leben, Sinti und Roma oder Themen zu der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität" hin.

Bei der nächsten DAZ-Vorstandssitzung im Dezember werde über die Institutsbezeichnung gesprochen, kündigte DAZ-Direktorin Pyka an. Aus den Vorschlägen der Koordinierungsstelle lasse sich möglicherweise eine Person finden, deren Biografie nicht auf eine halbstündige Rede beschränkt werden muss, um die Benennung zu rechtfertigen.


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2 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 27.11.2023
    Antworten
    Warum in die Ferne (South Carolina) schweifen, wenn sich in nächster Nähe um Potenzen problematischere Namensgebungen aus der "eigenen Geschichte" geradezu aufdrängen?

    Z. B. findet sich im Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt im NeckarPark eine große Halle, die im Jahre 2023 immer noch (ja man…
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