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Erinnern an Clara Menck

Frei und mit Haltung

Erinnern an Clara Menck: Frei und mit Haltung
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Sie war eine Quer- und Späteinsteigerin, entfaltete als freie Kulturjournalistin ab 1945 eine enorme Produktivität, verband ihr Schreiben mit wachem politischen Blick – und ist heute fast vergessen: Clara Menck. Anlässlich ihres 120. Geburtstags ehrt sie der Deutsche Journalistenverband mit einer Veranstaltung.

Vor 70 Jahren geschah in Freiburg Bemerkenswertes. Etwa 300 Studierende demonstrierten am 16. Januar 1952 dagegen, dass im Kino "Friedrichsbau" der Film "Hanna Amon" von Veit Harlan gezeigt wurde. Dabei ging es weniger um den gezeigten Streifen, sondern eher um den Regisseur – Harlan hatte 1940 im Auftrag von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels den antisemitischen Spielfilm "Jud Süß" inszeniert, ein besonders abgründiges Beispiel der NS-Propaganda. Gegen die Demo ging die Freiburger Polizei ungewohnt rustikal vor, es gab viele Verletzte, darunter auch einige schwere Fälle mit Gehirnerschütterungen, und schon bei Protesten im Vorfeld waren die jungen Leute mit antisemitischen Schimpfwörtern bedacht worden, unter anderem als "Judensöldlinge" beschimpft.

Ein früher Gruß der 68er-Bewegung, würden manche heute vielleicht schulterzuckend kommentieren, so sind Studenten halt. Doch tatsächlich waren die Proteste etwas Neues, Erstaunliches, eine Art Zeitenwende: "Galt bis zu den Zwischenfällen in Freiburg die studentische Jugend als eine mehr oder weniger amorphe Masse und war eine Aktivität nur in der Neuformation der alten Korporationen nach außen sichtbar (…), so ist in Freiburg zum ersten Male eine nicht zu übersehende Minderheit mit klaren politischen Zielen in Erscheinung getreten, und zwar gerade aus der Generation, der man oft mit Mißtrauen begegnete", ist wenige Wochen danach in der Zeitschrift "Der Monat" zu lesen, am Ende eines langen Artikels. In diesem schildert die Autorin Clara Menck nicht nur die Ereignisse, sondern setzt sich auch ausgewogen und empathisch mit den Beweggründen der beteiligten Studierenden auseinander, analysiert, wie es zu den Protesten und Gegenreaktionen kommen konnte, was für Rückschlüsse dies auf die Gesellschaft zulässt.

Und sie lässt, bei aller Nüchternheit, durchblicken, dass sie die Freiburger Ereignisse optimistisch in die Zukunft blicken lassen: "Es hat sich gezeigt, daß die Vergangenheit nicht nur in den Köpfen einiger älterer Leute und nicht nur von den im Dritten Reich persönlich Geschädigten als bedrohliches Gespenst mit einer höchst lebendigen Nachkommenschaft in Fleisch und Blut empfinden, sondern daß gerade junge Leute eine Rückkehr des Gespenstes am entschiedensten abzuwehren entschlossen sind", und das habe "etwas Befreiendes", schreibt Menck in ihrem Text. Ein Text, der heute ein ungemein spannendes Zeitdokument über die Zustände und Konflikte im Nachkriegsdeutschland ist.

Schön und gut, aber wer ist nun diese Clara Menck? Tja. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, lautet ein bekannter Spruch. Nichts ist so alt und so schnell verblasst wie der gestrige Ruhm einer Journalistin oder eines Journalisten, ließe sich logisch ergänzen. Nur wenige aus der schreibenden Zunft erlangen eine solch langlebige Bekanntheit wie RomanautorInnen. Und das ist eigentlich auch kaum erstaunlich, denn schließlich geht es meist um tages- oder wochenaktuelle Berichterstattung, und die ist schnell – siehe Eingangszitat.

Es war ihr wichtig, ihre Meinung zu artikulieren

Und trotzdem gibt es immer wieder Persönlichkeiten, bei denen man sich fragt, warum sie so wenig in der Erinnerung präsent sind. Zum Beispiel eben Clara Menck. Nach ihrem Tod am 7. Februar 1983 ließen die Nachrufe noch anderes erwarten. Als "die große alte Dame des Journalismus" wurde sie in den "Stuttgarter Nachrichten" (StN) geehrt, und in der "Stuttgarter Zeitung" (damals hatten die Redaktionen beider Blätter noch keine Berührungspunkte) wurde sie, stilistisch etwas antiquierter, als eine "Leuchte der schreibenden Weiblichkeit in diesem Lande" gerühmt.

Als freie Journalistin schrieb Clara Menck nach 1945 für beide Stuttgarter Blätter, am meisten aber für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", daneben noch für viele andere Tages-, Wochen- und Monatsmedien, und sie arbeitete auch für die SWR-Vorgänger Südfunk und Südwestfunk. Ihr Metier war die Kultur, sie schrieb Theater-, Kunst-, Literatur- und Medienkritiken, verband dies aber mit einem wachen politischen Blick, schrieb und kommentierte auch zum nationalen und internationalen politischen Geschehen.

"Ich denke schon, dass sie ein sehr politischer Mensch war", sagt heute ihre Enkelin Arianna Menck, die sich noch gut an Familienbesuche bei der Großmutter erinnert, bei denen oft bis tief in die Nacht, "ich lag schon im Bett", politisch diskutiert wurde. Und sie erinnert sich auch an ein besonderes, heute kaum noch geläufiges Berufsverständnis ihrer Großmutter: "Ich habe sie einmal gefragt: 'Bist du Journalistin?'. 'Nein, ich bin Kritikerin!', hat sie geantwortet." Journalismus sei in ihrem Verständnis eher die rastlose Suche nach neuen Nachrichten gewesen, während sie mit dem Begriff der "Kritikerin" eher das Kommentieren und Bewerten, das Einordnen mit etwas Abstand verbunden habe, so Arianna Menck: "Es war ihr immer wichtig, ihre Haltung, ihre Meinung zu artikulieren."

Deshalb wäre heute in einem Nachruf vielleicht über sie zu lesen: "Eine freie Journalistin mit Haltung, die sich durchgebissen hat, allen Umständen der damaligen Zeit zum Trotz", so Markus Pfalzgraf, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Baden-Württemberg. Pfalzgraf und der DJV haben Menck in den vergangenen Jahren wiederentdeckt. Zu ihrem 120. Geburtstag in diesem Jahr wollen sie sie nun einerseits mit einer Veranstaltung am 26. April im Stuttgarter Hospitalhof ehren, andererseits ein neues Stipendium ins Leben rufen, das, inspiriert von Clara Menck, unter anderem freien Kulturjournalismus fördern soll.

Eine Quereinsteigerin mit breitem Wissen

Es gibt einiges, was JournalistInnen heute von Clara Menck lernen könnten, findet Pfalzgraf. Sie sei journalistisch vor allem in der Kultur tätig gewesen, eine Quereinsteigerin mit breitem Wissen zwar, aber ohne formelle journalistische Ausbildung, habe aber doch ihre Nische gefunden. Sie habe dies als Freiberuflerin und alleinerziehende Mutter geschafft, sie könne "noch heute als Vorbild einer freien Journalistin dienen, die keinen leichten, aber einen unabhängigen Weg einschlug". Dabei war sie nicht nur eine journalistische Quer-, sondern auch Späteinsteigerin.

Am 9. Dezember 1901 als Klara Tichauer in Berlin geboren, studierte sie Philosophie in Heidelberg und Freiburg  und promovierte 1927. Nach der Scheidung von ihrem Mann Hans Menck zog sie in den 1930er Jahren mit ihren beiden Kindern nach Stuttgart. Wegen ihrer Abstammung, die nach Einstufung der Nazis "halbjüdisch" war, versuchte sie in den Jahren der NS-Diktatur möglichst nicht aufzufallen und schlug sich ohne formale Beschäftigung durch, lebte unter anderem von den eher kargen Unterhaltszahlungen ihres Ex-Mannes. Bei Kriegsende 1945 war sie schon fast 44, und erst jetzt stieg sie in den Journalismus ein, in einer Zeit, als das deutsche Pressewesen komplett neu aufgebaut wurde.

"Günstige Umstände halfen ihr", schreibt ihr Sohn Thomas Menck in einer "Lebensskizze" benannten Kurzbiografie: "Sie war politisch unbelastet und es fehlten Menschen, die nicht zutiefst angeschlagen waren; Hilfestellung leisteten alte und neue Freunde wie Hannah Arendt, Waldemar Gurian und Hedwig Wachenheim in den USA." Sie begann 1946 bei der "Stuttgarter Zeitung", schon wenige Jahre später schrieb und arbeitete sie für über ein Dutzend Print- und Rundfunk-Medien, zwischen 1950 und 1955 entstanden über 1500 Beiträge von ihr, also im Schnitt mehr als einer pro Arbeitstag. Ein Pensum, dass sie nicht dauerhaft durchhalten konnte; etwa ab 1960 konzentrierte sie sich auf ihre feste freie Mitarbeit bei der "FAZ", bekam 1963 sogar den Theodor-Wolff-Preis – als einzige Frau neben acht männlichen Kollegen. Damals schrieb sie monatlich immer noch zehn bis 15 Beiträge – wer freiberuflich im Journalismus arbeitet oder arbeitete, weiß, wie ambitioniert dies ist.

Warum Kruscht nicht mit Müll gleichzusetzen ist

Trotz dieses Pensums sei die Arbeit für Clara Menck keine Bürde gewesen, glaubt Enkelin Arianna: "Ich hatte nie den Eindruck, das Schreiben sei für sie eine Belastung, eher, dass das Schreiben ihr ein Bedürfnis war, eine natürliche Sache, ein Ventil." Die Worte seien ohne Mühe aus ihr herausgeflossen, und das zeige sich auch an ihrem eleganten, heiteren und empathischen Stil.

Die empathische, respektvolle Seite ist etwas, an das sich Arianna Menck noch gut bei ihrer Großmutter erinnert, eine Seite, die auch auf die Menschen in ihrem Umfeld gewirkt habe. Und an ihren Humor, "ein feiner, liebevoller, nie bösartiger oder zynischer Humor". Der sei auch in ihren ironischen Alltagsbetrachtungen zum Ausdruck gekommen, neben den Kritiken ein weiteres journalistisches Steckenpferd Clara Mencks.

Die Eigenheiten der schwäbischen Heimat lieferten der gebürtigen Berlinerin dabei einigen Stoff, etwa für eine Abhandlung über das Phänomen des "Kruscht". Der sei nicht zu verwechseln mit Müll, Abfall oder Gerümpel, sondern eine Art "Übergangsstadium der Dinge, wie das Fegefeuer für arme Seelen. (…) Es soll Menschen geben, die unbeirrbar auf der Stelle entscheiden, was lebenswert ist und was nicht, die das Zwischenstadium des Kruscht nicht kennen. (…) Sollte man ihnen im Leben begegnen, so ist vor ihnen zu warnen. Nur der Ruck-Zuck-Mensch kennt das verhängnisvolle und so menschliche Zögern nicht, das Hinausschieben der Entscheidung, aus dem der Kruscht entsteht. (…) 'Eigentlich' und 'vielleicht' sind die Modi seiner Existenz (wiederum gebildet gesprochen). Und, wenn wir ehrlich sind, wer könnte sich ein Leben ohne eigentlich und vielleicht denken?"

Zumindest beruflich scheinen die Modi "eigentlich" und "vielleicht" bei Clara Menck dagegen keine besondere Bedeutung gehabt zu haben, sonst hätte sie wohl nicht ein solch umfangreiches journalistisches Lebenswerk entfalten können. Ein Leben und ein Werk, an das es sich zu erinnern lohnt – und damit en passant auch daran, dass der freie ebenso wie der Kulturjournalismus größere Wertschätzung verdient, dass sich ihr Stellenwert auch in Zeiten von Umbrüchen in der Medienlandschaft nicht allein an Renditeüberlegungen orientieren darf.

 

Veranstaltungshinweis:

"Die Geheimnisse liegen da, wo die Ewigkeit in die Zeit hineinragt". Zum 120. Geburtstag der Kulturjournalistin Clara Menck. Mit Markus Pfalzgraf (DJV), Sibylle Thelen (Landeszentrale für politische Bildung), Kathrin Horster-Rapp (DJV) Tim Schleider (Stuttgarter Zeitung), Anja Dargatz (Fritz-Erler-Forum), Chantal Busse (Sprecherin) sowie Arianna Menck; eine Kooperationsveranstaltung des DJV Baden-Württemberg mit dem Fritz-Erler-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung Baden-Württemberg und dem Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof.

Dienstag, 26. April, 18 Uhr, Hospitalhof, Büchsenstraße 33, 70174 Stuttgart; Eintritt frei, Anmeldung online hier.

 

 


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