Vor 70 Jahren geschah in Freiburg Bemerkenswertes. Etwa 300 Studierende demonstrierten am 16. Januar 1952 dagegen, dass im Kino "Friedrichsbau" der Film "Hanna Amon" von Veit Harlan gezeigt wurde. Dabei ging es weniger um den gezeigten Streifen, sondern eher um den Regisseur – Harlan hatte 1940 im Auftrag von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels den antisemitischen Spielfilm "Jud Süß" inszeniert, ein besonders abgründiges Beispiel der NS-Propaganda. Gegen die Demo ging die Freiburger Polizei ungewohnt rustikal vor, es gab viele Verletzte, darunter auch einige schwere Fälle mit Gehirnerschütterungen, und schon bei Protesten im Vorfeld waren die jungen Leute mit antisemitischen Schimpfwörtern bedacht worden, unter anderem als "Judensöldlinge" beschimpft.
Ein früher Gruß der 68er-Bewegung, würden manche heute vielleicht schulterzuckend kommentieren, so sind Studenten halt. Doch tatsächlich waren die Proteste etwas Neues, Erstaunliches, eine Art Zeitenwende: "Galt bis zu den Zwischenfällen in Freiburg die studentische Jugend als eine mehr oder weniger amorphe Masse und war eine Aktivität nur in der Neuformation der alten Korporationen nach außen sichtbar (…), so ist in Freiburg zum ersten Male eine nicht zu übersehende Minderheit mit klaren politischen Zielen in Erscheinung getreten, und zwar gerade aus der Generation, der man oft mit Mißtrauen begegnete", ist wenige Wochen danach in der Zeitschrift "Der Monat" zu lesen, am Ende eines langen Artikels. In diesem schildert die Autorin Clara Menck nicht nur die Ereignisse, sondern setzt sich auch ausgewogen und empathisch mit den Beweggründen der beteiligten Studierenden auseinander, analysiert, wie es zu den Protesten und Gegenreaktionen kommen konnte, was für Rückschlüsse dies auf die Gesellschaft zulässt.
Und sie lässt, bei aller Nüchternheit, durchblicken, dass sie die Freiburger Ereignisse optimistisch in die Zukunft blicken lassen: "Es hat sich gezeigt, daß die Vergangenheit nicht nur in den Köpfen einiger älterer Leute und nicht nur von den im Dritten Reich persönlich Geschädigten als bedrohliches Gespenst mit einer höchst lebendigen Nachkommenschaft in Fleisch und Blut empfinden, sondern daß gerade junge Leute eine Rückkehr des Gespenstes am entschiedensten abzuwehren entschlossen sind", und das habe "etwas Befreiendes", schreibt Menck in ihrem Text. Ein Text, der heute ein ungemein spannendes Zeitdokument über die Zustände und Konflikte im Nachkriegsdeutschland ist.
Schön und gut, aber wer ist nun diese Clara Menck? Tja. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, lautet ein bekannter Spruch. Nichts ist so alt und so schnell verblasst wie der gestrige Ruhm einer Journalistin oder eines Journalisten, ließe sich logisch ergänzen. Nur wenige aus der schreibenden Zunft erlangen eine solch langlebige Bekanntheit wie RomanautorInnen. Und das ist eigentlich auch kaum erstaunlich, denn schließlich geht es meist um tages- oder wochenaktuelle Berichterstattung, und die ist schnell – siehe Eingangszitat.
Es war ihr wichtig, ihre Meinung zu artikulieren
Und trotzdem gibt es immer wieder Persönlichkeiten, bei denen man sich fragt, warum sie so wenig in der Erinnerung präsent sind. Zum Beispiel eben Clara Menck. Nach ihrem Tod am 7. Februar 1983 ließen die Nachrufe noch anderes erwarten. Als "die große alte Dame des Journalismus" wurde sie in den "Stuttgarter Nachrichten" (StN) geehrt, und in der "Stuttgarter Zeitung" (damals hatten die Redaktionen beider Blätter noch keine Berührungspunkte) wurde sie, stilistisch etwas antiquierter, als eine "Leuchte der schreibenden Weiblichkeit in diesem Lande" gerühmt.
Als freie Journalistin schrieb Clara Menck nach 1945 für beide Stuttgarter Blätter, am meisten aber für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", daneben noch für viele andere Tages-, Wochen- und Monatsmedien, und sie arbeitete auch für die SWR-Vorgänger Südfunk und Südwestfunk. Ihr Metier war die Kultur, sie schrieb Theater-, Kunst-, Literatur- und Medienkritiken, verband dies aber mit einem wachen politischen Blick, schrieb und kommentierte auch zum nationalen und internationalen politischen Geschehen.
"Ich denke schon, dass sie ein sehr politischer Mensch war", sagt heute ihre Enkelin Arianna Menck, die sich noch gut an Familienbesuche bei der Großmutter erinnert, bei denen oft bis tief in die Nacht, "ich lag schon im Bett", politisch diskutiert wurde. Und sie erinnert sich auch an ein besonderes, heute kaum noch geläufiges Berufsverständnis ihrer Großmutter: "Ich habe sie einmal gefragt: 'Bist du Journalistin?'. 'Nein, ich bin Kritikerin!', hat sie geantwortet." Journalismus sei in ihrem Verständnis eher die rastlose Suche nach neuen Nachrichten gewesen, während sie mit dem Begriff der "Kritikerin" eher das Kommentieren und Bewerten, das Einordnen mit etwas Abstand verbunden habe, so Arianna Menck: "Es war ihr immer wichtig, ihre Haltung, ihre Meinung zu artikulieren."
Deshalb wäre heute in einem Nachruf vielleicht über sie zu lesen: "Eine freie Journalistin mit Haltung, die sich durchgebissen hat, allen Umständen der damaligen Zeit zum Trotz", so Markus Pfalzgraf, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Baden-Württemberg. Pfalzgraf und der DJV haben Menck in den vergangenen Jahren wiederentdeckt. Zu ihrem 120. Geburtstag in diesem Jahr wollen sie sie nun einerseits mit einer Veranstaltung am 26. April im Stuttgarter Hospitalhof ehren, andererseits ein neues Stipendium ins Leben rufen, das, inspiriert von Clara Menck, unter anderem freien Kulturjournalismus fördern soll.
Eine Quereinsteigerin mit breitem Wissen
Es gibt einiges, was JournalistInnen heute von Clara Menck lernen könnten, findet Pfalzgraf. Sie sei journalistisch vor allem in der Kultur tätig gewesen, eine Quereinsteigerin mit breitem Wissen zwar, aber ohne formelle journalistische Ausbildung, habe aber doch ihre Nische gefunden. Sie habe dies als Freiberuflerin und alleinerziehende Mutter geschafft, sie könne "noch heute als Vorbild einer freien Journalistin dienen, die keinen leichten, aber einen unabhängigen Weg einschlug". Dabei war sie nicht nur eine journalistische Quer-, sondern auch Späteinsteigerin.
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