Auch Dietrich war früh Mitglied eines rechten Freikorps. 1932 war er als Leiter eines SS-Begleitkommandos für den Personenschutz Adolf Hitlers zuständig und 1934 beteiligt an den Morden beim "Röhm-Putsch". Im Krieg war er für die Waffen-SS an verschiedenen Frontabschnitten, hatte unter anderem Kriegsverbrechen in der Sowjetunion begangen und war mitverantwortlich für die Ermordung von über 70 US-amerikanischen Kriegsgefangenen. 1945 wurde Dietrich von einem US-Militärgericht zu lebenslänglicher Haft verurteilt, wurde aber 1955 vorzeitig entlassen und fand in Ludwigsburg Arbeit sowie Unterstützung durch ein SS-Netzwerk.
Ein weiterer exemplarischer Fall: Der einstige Memminger Oberbürgermeister Heinrich Berndl (1887-1973) wurde bekannt für seinen rigiden Umgang mit den örtlichen Juden – und hatte jüdische Häuser und Grundstücke "unter Wert" in städtischen Besitz gebracht. Nach dem Krieg zog der promovierte Jurist erst als Kandidat der CSU, dann für die Freien Wähler wieder ins schmucke Rathaus der Kreisstadt ein. Berndl, der vor der Spruchkammer als "Entlasteter" galt, ist ein beredtes Beispiel für die heute immer wieder heftig kritisierte Kontinuität und die Wendehals-Strategie von Tätern in deutschen Amtsstuben. Erst 1966 durfte er, inzwischen 78 Jahre alt, nach Einführung einer Altersgrenze für Bürgermeister, nicht mehr antreten.
Zwei besonders grausame Täter seien noch erwähnt: Der in Martinszell bei Kempten geborene Franz Hößler (1906-1945) wurde in den Konzentrationslagern Auschwitz und Stutthof zum Inbegriff des ruchlosen und bestialischen NS-Verbrechers. Sein Handwerk gelernt hatte er im KZ Dachau – wohin auch Gegner des NS-Systems aus Württemberg eingeliefert und inhaftiert wurden. Ab Juni 1940 war er, wie auch SS-Führer Rudolf Höß, in Auschwitz eingesetzt: Der ursprünglich aus Baden-Baden stammende und in Mannheim aufgewachsene Höß als Kommandant, der fünf Jahre jüngere Hößler als Schutzhaftlagerführer. Im Lager galt Hößler als "Mord-Spezialist", vor einem britischen Militärtribunal wurde er 1945 in Lüneburg zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Ähnlich grausam erschien, allerdings im Dienste der Wehrmacht, der Hauptmann Fritz Aberle, 1915 geboren in Hornberg im Schwarzwald. Er hinterließ in den letzten Kriegsmonaten eine blutige Spur in Oberschwaben und im Allgäu – und war berüchtigt für Todesurteile seines Standgerichts. Etwa in Hergatz und Wigratzbad bei Wangen im Allgäu - und in Wolpertswende, in Baienfurt und in Leutkirch, nördlich von Ravensburg. Mindestens 14 derartige Morde gingen auf sein Konto. Sein Verbleib nach dem Krieg ist unklar, vermutet wird eine Flucht unter geändertem Namen nach Brasilien.
"NS-Täter-Forscher gelten oft als Nestbeschmutzer"
Wolfgang Proske hatte 2019 bei Erscheinen von Band 10 auch ein etwas resignatives Resümee gezogen: Offiziell existiere nach all den Naziverbrechen zwar bis heute "ein grundsätzlicher antifaschistischer Konsens, und das ist gut so". Doch mit dem zeitlichen Abstand zum "Dritten Reich" und unter den Bedingungen einer zunehmend nach rechts tendierenden Mitte der Gesellschaft bröckle diese Einigkeit. NS-Täter-Forscher würden, das bleibe als Erfahrung nach der Beendigung der Buchreihe für das Bundesland Baden-Württemberg als Erkenntnis, "trotz allem mancherorts auch im 21. Jahrhundert als Nestbeschmutzer gelten", so Proske. Und dies gerade dann, wenn sie vor Ort bekannt seien, sich in ihrer Arbeit bewusst demokratisch positionieren und dann auch noch mit neuen, bisher kaum bekannten Ergebnissen aufwarten könnten. "Vorhaltungen liegen offenbar umso näher, je massiver die bisherigen Versäumnisse in der Aufarbeitung sind", resümiert der Herausgeber.
Deswegen fand Proske 2019 ausdrücklich lobende Worte für seine AutorInnen: "Wer sich an diesem Projekt beteiligte, zeigte damit Haltung und Wagemut." Er selbst wurde im August 2021 von Landeswissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) für seinen Einsatz zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit im Südwesten mit der Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Doch das scheint ihm – zum Glück – noch nicht genug. Die von ihm initiierte Buchreihe wächst jedenfalls weiter: Band 13 (Niederbayern) und Band 14 (Mittelfranken) sollen im Frühjahr und Sommer 2022 erscheinen.
"Täter, Helfer, Trittbrettfahrer Band 11: NS-Belastete aus Nord-Schwaben", hrsg. von Wolfgang Proske, Kugelberg-Verlag, Gerstetten 2021, 375 Seiten, 23,99 Euro; zu bestellen unter www.kugelbergverlag.de oder im Buchhandel.
"Täter, Helfer, Trittbrettfahrer Band 12: NS-Belastete aus dem Allgäu", hrsg. von Wolfgang Proske, Kugelberg-Verlag, Gerstetten 2021, 391 Seiten, 23,99 Euro; zu bestellen unter www.kugelbergverlag.de oder im Buchhandel.
Weitere Infos zur Buchreihe, Register von Tätern, Orten und AutorInnen finden Sie hier. https://kugelbergverlag.de/taeter-helfer-trittbrettfahrer
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