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Hakenkreuz auf der Mondrakete

Hakenkreuz auf der Mondrakete
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50 Jahre Mondlandung, das wird derzeit groß gefeiert. Doch die Handschrift der Nazis beim größten Abenteuer der Menschheit lässt sich nicht ausradieren. Das Geheimprojekt "Operation Paperclip" bildet bis heute die Basis der US-amerikanischen Raumfahrtprogramme.

Mittwoch, 16. Juli 1969: Es ist der Höhepunkt seiner Karriere, ein Kindheitstraum, der in Erfüllung geht. Ein kurzer Moment, in dem 45 Jahre Arbeit stecken – und die Welt schaut zu. Wernher von Braun blickt aus dem Fenster des Kontrollzentrums auf die Startrampe, an der es um 9:32 Uhr Ortszeit passiert. Als die Triebwerke schließlich zünden und die Saturn V-Rakete senkrecht durch die Luft schießt, erzittert der Boden auf dem Gelände des Kennedy Space Centers. 100 Tonnen voller Visionen und Hoffnungen nehmen Kurs zum Mond.

Mit einem Mal löst sich alle Anspannung, Menschen weinen und schreien ihre Emotionen heraus, liegen sich in den Armen. Wernher von Braun taxiert die Rakete, lässt das technische Wunderwerk nicht aus den Augen, bis es nicht mehr in Sichtweite ist.

Die USA haben diesen prestigeträchtigen Wettlauf gegen die Sowjetunion gewonnen. Doch das größte Abenteuer des 20. Jahrhunderts hatte einen hohen Preis. Vieles darüber wurde erst spät bekannt, es ist, als umgebe die Mondlandung der Nimbus der Unantastbarkeit. Fakt jedenfalls ist: Ohne die Hilfe deutscher Wissenschaftler mit Nazi-Vergangenheit hätten es die Amerikaner nicht geschafft, das Versprechen Kennedys von 1961 einzuhalten. Der Präsident hatte verlautbart, die USA würden noch im gleichen Jahrzehnt Menschen zum Mond und wieder sicher zurückbringen.

Dafür legte man Ende 1945 den Grundstein, als die Geheimaktion Operation Paperclip ins Leben gerufen wurde. Mehr als 1000 deutsche Wissenschaftler aus dem ehemaligen "Dritten Reich" wurden in die USA geholt. Unter ihnen waren SA- und SS-Anhänger, Angeklagte der Nürnberger Prozesse, solche, die direkt mit Adolf Hitler oder Hermann Göring, dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, zusammenarbeiteten.

Drei von ihnen spielten eine besonders wichtige Rolle bei der Unterstützung der US-amerikanischen Raumfahrtprogramme.

Opportunist mit brauner Färbung

Der zentrale Akteur war Wernher von Braun. Er galt als motiviert, charismatisch, als Mann mit Aura, einer, der Menschen in den Bann ziehen konnte. Erst lange nach seinem Tod wurden die Schatten seiner einst so lichten Vergangenheit aufgedeckt.

Der in Posen geborene von Braun studierte bereits als 18-jähriger an der TH Charlottenburg und wurde 1932 Zivilangestellter des Heereswaffenamts. Dabei profitierte er von der Förderung des Generalmajors Walter Dornberger – Sicherheitsberichte belegen, dass Dornberger ein strammer Nazi war. Im Verein für Raumschifffahrt hatte von Braun Anfang der 30er Jahre seinen treuesten Wegbegleiter kennengelernt – Arthur Rudolph, der seine rechte Hand wurde. Rudolph orchestrierte in den 1960ern die Entwicklung und den Bau der Saturn V-Rakete, die schließlich die ersten Menschen zum Mond transportierte.

Die technische Basis für die Saturn V war die V2. Reichsminister Joseph Goebbels nannte sie so ("Vergeltungswaffe 2"), ihr Name lautete aber eigentlich "Aggregat 4" . Rudolph und von Braun waren in der Nazizeit federführend bei der Konstruktion dieser Vernichtungswaffe, die mehr Menschenleben während der Herstellung forderte, als sie durch ihre Einsätze im Zweiten Weltkrieg tötete. Die beiden Ingenieure setzten sich dafür ein, dass KZ-Häftlinge zuerst in Peenemünde und später im eigens für die Raketen-Produktion hochgezogenen KZ Mittelbau-Dora die V2 herstellten. Von Braun sollte nie Reue für sein wissentliches Opfern von Menschenleben unter dem Nazi-Regime zeigen.

Dabei hatte Adolf Hitler eigenhändig von Brauns Ernennung zum Professor unterzeichnet. Heinrich Himmler, zweiter Mann im Staat, war für den technischen Direktor von Peenemünde und Mittelbau-Dora ein wichtiger Kontakt gewesen. Von Braun hatte keine Mühe, solche Kontakte zu knüpfen. Seine Mitmenschen beschrieben ihn als jemanden, der Leute mitreißen konnte, für eine Sache begeistern, ein Feuer entfachen. Aber vor allem einen Mann wusste Wernher von Braun zu überzeugen: den 35. Präsidenten der USA, John F. Kennedy. Mehrmals berichtete er diesem persönlich über den aktuellen Stand des Apollo-Projekts, Menschen auf den Mond zu schicken. Kennedy ließ sich faszinieren, sie fuhren zusammen in dessen Cabrio am Marshall Space Flight Center in Huntsville umher. Dort wurde von Braun ab 1960 Direktor. Nur wenige Jahrzehnte zuvor hatte er noch Hitlers Hand geschüttelt.

Jahrelang war Wernher von Braun in den USA der umjubelte Star des "Space Race", dem Wettlauf zum Mond gegen die Sowjetunion gewesen. Erst nach seinem Tod 1977 begannen Historiker, seine dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten. Von Braun war sich seit seiner Tätigkeit beim Heereswaffenamt im Jahre 1933 darüber im Klaren, dass er die Unterstützung der Nationalsozialisten benötigte, um sich seinen Traum zu erfüllen: einen Menschen zum Mond zu schicken, die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Auch aus diesem Grund war er Mitglied der NSDAP und zudem SS-Sturmbannführer. Ob er jedoch ein überzeugter Anhänger war, lässt sich nicht eindeutig sagen.

"100-prozentiger Nazi, gefährlicher Typ, Sicherheitsbedrohung"

Anders sieht es bei von Brauns rechter Hand Arthur Rudolph aus. Er galt als enorm fleißig, als Workaholic, einer, der beim Arbeiten die Zeit vergaß. Außerdem – das ist belegt – war er ein glühender Nazi. Er studierte in Berlin Maschinenbau und trat bereits 1931 in die NSDAP ein. Im Rahmen der Operation Paperclip holte man Rudolph 1946 in die USA. Laut einer Anweisung, die Harry S. Truman als Präsident (1945-1953) erließ, hätte er nie in den Vereinigten Staaten leben und arbeiten dürfen – denn sie untersagte ausdrücklich die Beschäftigung von Alt-Nazis.

Dies wurde von höchsten Stellen unterlaufen: US-Militärs schwärzten Berichte über die Forscher, machten aus Verfechtern des Hitler-Regimes Wissenschaftler ohne braune Vergangenheit. Eli Rosenbaum, bekannt als "Nazi-Jäger" im US-Justizministerium, der sich viel mit den Hintergründen der Geheimoperation beschäftigte, sagte 2018 in einer ARD-Dokumentation dazu: "Ich habe Sicherheitsberichte gesehen, in denen aus ‚überzeugter Nazi‘ ‚kein Nazi‘ wurde." Auch lange unter Verschluss gehaltene Akten aus den National Archives in Washington D.C. beweisen dies. Der US-amerikanische Offizier, welcher Arthur Rudolph vernahm, notierte danach: "100-prozentiger Nazi, gefährlicher Typ, Sicherheitsbedrohung, schlage Internierung vor".

Für das US-Militär waren Schuld und nationalsozialistische Vergangenheit der deutschen Raketenbauer jedoch zweitrangig. Fortschritt und Prestige waren mitten im Kalten Krieg wichtiger als Moral. Nach dem Ende seiner Zeit bei der Raumfahrtbehörde NASA wurde ihm die US-amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt und er musste versichern, nach Deutschland zurückzukehren. Dort lebte er friedlich und juristisch unberührt, bis er 1996 in Hamburg verstarb.

Mittäter oder Mitwisser?

Neben Wernher von Braun und Arthur Rudolph  gab es noch einen wichtigen Deutschen bei der Geheimoperation Paperclip: Hubertus Strughold. Er lehrte in Würzburg Physiologie und arbeitete ab 1935 für das Reichtsluftfahrtministerium in Berlin. 1947 holten die Amerikaner den als "Vater der Luftfahrtmedizin" bekannten Strughold an die luftfahrtmedizinische Schule der US Air Force (USAFSAM) in Randolph Field, Texas. Er und seine Forschergruppe entwickelten die Ausrüstung für Astronauten, die sich im All lebenswidrigen Bedingungen aussetzen mussten. Mit mehr als 180 veröffentlichten Papieren in seinem Themenbereich wurde Strughold in den USA ein wissenschaftliches Schwergewicht. Im Naziregime war er von der deutschen Luftwaffe finanziell unterstützt worden. Dokumentiert ist auch, dass Strughold bei Sitzungen anwesend war, in denen Menschenexperimente diskutiert wurden, etwa im Oktober 1942 im Hotel "Deutscher Hof" in Nürnberg.

Bei dieser Tagung ging es unter anderem um 200 Versuche an Häftlingen im KZ Dachau für die so genannte "Höhenflugforschung", mittels derer wichtige Erkenntnisse für die Luft- und Raumfahrt gewonnen werden sollten. Mehr als 70 Häftlinge starben bei den Experimenten. In einer Unterdruckkammer hatten die Nazi-Mediziner eine Höhe von knapp 12.000 Metern simuliert. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob Menschen in dieser Höhe ohne Druckluft, Anzug und Sauerstoff überleben können. Die Erkenntnis: es geht nicht. Strughold und seine Kollegen wiesen später die Verantwortung von sich. Selbst wenn er kein aktiver Täter gewesen sein sollte, so war er doch Nutznießer des Systems.

49 Jahre lang (1963-2012) wurde in den USA eine nach ihm benannte Auszeichnung verliehen, der "Strughold Award". Über Jahrzehnte waren die Nazi-Verbindungen von Strughold kein Thema. In der Space Medicine Association, die in den USA den Preis vergab, wurde jedoch spät über seine Vergangenheit gestritten. Ein Komitee der Organisation verlangte 2006, aufgrund seiner Historie die Vergabe des Preises einzustellen. Es folgte eine zweijährige Untersuchung, für die auch bis dato unter Verschluss gehaltene Akten des US-Justizministeriums ausgewertet wurden. Das Ergebnis: Strughold war nie nachweisbar in direkter Form an Gräueltaten beteiligt, Mitglied der NSDAP war er ebenso wenig. Die formale Abstimmung ergab dennoch, dass die Preisvergabe eingestellt werden soll.

Strughold starb 1986 in San Antonio in den USA. Er wurde nie rechtlich für seine Vergangenheit belangt, weder in Deutschland noch in den Staaten. Juristisch belangt wurde lediglich ein einziger Deutscher: Georg Rickhey. Er war Ingenieur und Direktor der Mittelwerk GmbH – und verantwortlich für die Verbrechen im KZ Mittelbau-Dora. Im Rahmen der Dachauer Prozesse im Jahre 1947 wurde er für letzteres angeklagt. Rickhey erhielt schließlich einen Freispruch – aufgrund entlastender Aussagen von Wernher von Braun und Arthur Rudolph.

Netzwerk der Nazis und Nutznießer

Bei der Sozialen Netzwerkanalyse (SNA) werden Akteure auf ihre Verbindungen hin untersucht. Ein Netzwerk besteht dabei aus Knoten (nodes) und Kanten (edges). Mithilfe der SNA lasen sich Organisationen, Unternehmen oder Einzelpersonen ausleuchten. Letzteres nennt sich „Ego-Netzwerkanalyse“. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Buch des Leipziger Forschers Uwe Krüger („Meinungsmacht“). Krüger untersuchte den Einfluss sogenannter Alpha-Journalisten auf die deutschen Leitmedien und legte ihre Verbindungen zu einflussreichen Denkfabriken offen. Dabei wird zumeist auf öffentlich zugängliche Daten zurückgegriffen – einsehbare Mitgliederlisten, Twitter-Follower, Literatur, Unternehmensberichte.

Für die vorliegende Arbeit wurden 544 Kanten und 170 Knoten mithilfe der Software R Studio analysiert und visualisiert. Sie zeigt, wie weitreichend die Verbindungen der Nazi-Wissenschaftler waren. Wernher von Braun etwa hatte Kontakt zu John F. Kennedy, Adolf Hitler und Walt Disney. Auch Verbindungen zu Institutionen – NSDAP, Reichsluftfahrtministierum, NASA – zeigt die Analyse auf. Die Arbeit war Teil eines Forschungsprojekts im dritten und vierten Semester an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart-Vaihingen. Neben den beiden Autoren betätigten sich noch die Studierenden Sophie Mineif, Christopher Müller und Evelyn Krix an dem Projekt. (mos)


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