Dem Gemeinderat der Stadt ist Anerkennung dafür zu zollen, dass er das Mahnmal im Jahre 2015, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, beschlossen hat. Dem Oberbürgermeister und der Stadtverwaltung danken die Initiatoren, nämlich die "Ideenwerkstatt Waldkirch im NS-Staat", für die Realisierung an diesem prominenten Ort zwischen der katholischen Kirche Sankt Margarethen und dem Elztal-Museum. Dieser geschichtsträchtige Ort ist – wie wir finden – ein guter Platz.
Mahnmale, die an Opfer und Täter erinnern, sind nicht selbsterklärend. Das hat sich beim Holocaust-Mahnmal in Berlin gezeigt, dem ein unterirdischer "Ort der Information" hinzugefügt werden musste. Das war nicht anders bei dem Günzburger Mahnmal, das – von Schülern entwickelt – eine Vielzahl von Augen zeigt, die an die Kindermorde des Täters Josef Mengele erinnern. Auch die fünf Stelen des Mahnmals in Waldkirch bedürfen der Erläuterung. Aus diesem Grunde steht neben den fünf Basaltstelen eine Informationstafel. Sie stellt eine Faksimile-Reproduktion der handschriftlichen Meldung des SS-Standartenführers Karl Jäger vom 1. Februar 1942 dar, in welcher er die Summe der bis dahin ermordeten Menschen mitteilt, nämlich: "Gesamtzahl: 138 272, davon Frauen 55 556, Kinder 34 464."
Wenn wir hören, dass der Zweite Weltkrieg 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, oder wenn wir lesen, dass damals in Europa fast sechs Millionen Juden ermordet worden sind, alleine in Litauen zwischen Sommer 1941 und Januar 1942 mehr als 138 000, fühlen wir uns überwältigt, überfordert, weil diese Zahlen unser Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigen. Vergleiche können uns etwas auf die Sprünge helfen. Etwa der Vergleich mit unserem Heimat-Landkreis Emmendingen: Laut Statistik hatte der Landkreis Emmendingen am Jahresende 1990 139 248 Einwohner, also ähnlich viele wie die jüdische Bevölkerung Litauens damals. Man kann sich also vorstellen: Das EK 3 ermordete 1941/42 ungefähr so viele Menschen, wie 1990 im Landkreis Emmendingen lebten: Männer, Frauen und Kinder. In 71 Städten und Gemeinden Litauens schlug das EK 3 zu, zum Teil mehrfach. In Kaunas, der Hauptstadt, gab es 13 Mordaktionen, in Wilna sogar 15.
Über das Vorgehen der Täterseite und über die Anzahl Menschen, die in den einzelnen Orten ermordeten wurden, sind wir hinreichend informiert, weil der Kommandeur des EK 3 penibel Buch führte. Jeder kann das nachlesen. Der berühmte "Jäger-Bericht" vom 1. Dezember 1941 ist vielfach veröffentlicht worden und bei den Fachleuten weltweit bekannt. Sehr viel schwieriger ist es, sich die Judenmorde aus der Sicht der Opfer vorzustellen, an die wir mit unserem Mahnmal in erster Linie erinnern wollen. Die Ermordeten leben nicht mehr. Sie können nicht mehr zu uns sprechen. Aber es gibt einzelne Überlebende, die berichteten, was sie erlebt haben. Einige von ihnen waren sogar bereits mehrfach in Waldkirch und in Freiburg, um vor Schülerinnen und Schülern zu sprechen. Außerdem gibt es einige schriftliche Berichte von überlebenden Zeitzeugen. Diese können uns bei dem Versuch helfen, die Mauer der kalten Zahlen in den Mordbilanzen Karl Jägers zu durchbrechen und uns der Opferperspektive anzunähern.
Karl Jäger war bei der Selektion von Tausenden dabei
Erstes Beispiel: Die sogenannte Intelligenz-Aktion vom 18. August 1941. An jenem Tag befahl der EK 3-Kommandeur in Kaunas, dass sich als Antwort auf eine angebliche Sabotagehandlung 500 "Intelligenzler" (gemeint waren Leute mit einer akademischen Ausbildung) am Ghettotor einfinden sollten. Den "Studierten" wurde vorgegaukelt, sie sollten zu Arbeiten im Rathausarchiv und in den Archiven der Ministerien herangezogen werden, die sich in einem verwahrlosten Zustand befänden. Der Zeitzeuge David-Bendor berichtet, dass ein jüdischer Kollaborateur eine Intelligenzler-Liste zusammengestellt hatte, auf die sich das EK 3 stützen konnte. Die 500 jüdischen Männer folgten dem Aufruf freiwillig. Es kamen sogar 534 Personen. Die Ahnungslosen wurden nun im Fußmarsch zum IV. Fort nach Panemuni geführt. Unterwegs wurden sie angehalten, die Hände hochzunehmen. Im Fort angekommen, wurden die irregeführten jungen Männer allesamt noch am selben Tag erschossen.
Zweites Beispiel: Am 29. Oktober 1941 fand ein Massenmord statt, dem insgesamt 9200 Menschen zum Opfer fielen. Ein 15-jähriger Junge überlebte die sogenannte "Großen Aktion". Er schildert uns, wie sich die Opfer auf dem Demokratu-Platz in Kaunas versammeln mussten. Wie sie dort von einem SS-Offizier hörten, dass sie zur "Aussiedlung" in den Raum Lublin vorgesehen seien. Es folgte – in Anwesenheit von Karl Jäger – der stundenlange Prozess der Selektion: Arbeitsfähige nach rechts, die anderen nach links. Letztere wurden im Kleinen Ghetto untergebracht. Am nächsten Morgen begann ihr Todesmarsch in Richtung IX. Fort am Rande der Stadt. Die Menschen ahnten, was ihnen bevorstand. An Flucht war nicht zu denken, weil bewaffnete Deutsche und Litauer den Weg säumten. Kuki Kopelman, der durch einen Zufall überleben konnte, hat genau geschildert, wie das grauenhafte Massaker im IX. Forts von statten ging. Er sagte später: "Es war die Hölle, die Hölle."
Drittes Beispiel: In Kaunas wurden nicht nur litauische Juden ermordet, sondern auch solche, die man aus Berlin, München, Frankfurt, Wien und Breslau mit Zügen in die litauische Hauptstadt deportiert hatte. Der Zug mit 999 Münchener Juden kam am 25. November 1941 in Kaunas an. Es handelte sich um Kaufleute, Beamte und leitende Angestellte samt deren Frauen und Kindern. Die Männer reisten in ihrer besten Kleidung, mit Hut, Krawatte und Weste. Auch ihnen hatte man in München etwas von "Aussiedlung in den Osten" erzählt. Vom Bahnhof Kaunas aus wurden die Menschen in das etwas höher gelegene IX. Fort hinausgetrieben, wo sie einige Tage lang unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten wurden. Am darauf folgenden Morgen erreichte die Gefangenen der Befehl, im Hof des Forts zu gymnastischen Morgenübungen herauszutreten. Mit diesem perfiden Täuschungsmanöver wurden die Münchener Juden ins Freie gelockt und dort mit bereit gestellten Maschinengewehren erschossen. Nicht eines der Opfer überlebte.
2 Kommentare verfügbar
Gerd Hohmann-Schmitz
am 31.01.2017