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DUH und BUND erwägen Klagen gegen Solvay

TFA im Doppelpack

DUH und BUND erwägen Klagen gegen Solvay: TFA im Doppelpack
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Die Bad Wimpfener Firma Solvay verklappt seit Jahren TFA, eine besonders aggressive PFAS-Chemikalie, in den Neckar. Von der Politik ist das genehmigt. Bei Mannheim und Heidelberg führt das zu Problemen mit dem Trinkwasser, Quellen und Gewässer um Bad Wimpfen sind belastet. Plötzlich herrscht Alarmstimmung in den Amtsstuben. Und nicht nur dort.

Es tut sich allmählich was in Sachen Ewigkeitschemikalie TFA, dem Fluorchemieproduzenten Solvay und dessen seit Jahren in Bad Wimpfen praktizierte Wasservergiftung. Endlich, nachdem sich – ausgelöst durch die Berichterstattung in Kontext – auch mehr und mehr überregionale Medien für den Skandal um die behördlich erlaubte Einleitung des fortpflanzungstoxischen Stoffes in den Neckar zu interessieren beginnen. Und sogar im Regierungspräsidium Stuttgart, das die Einleitung der giftigen Stoffe genehmigt hat, sowie im übergeordneten baden-württembergischen Umweltministerium scheint sich ganz allmählich die Erkenntnis durchzusetzen, dass man die Dinge nicht einfach wie bisher vorgesehen weiterlaufen lassen kann: Die Firma, die Fluorprodukte für die Autoindustrie, für Pestizide und die Pharmaindustrie herstellt, hat ganz offiziell bis Ende 2044 die Erlaubnis zur Einleitung von 24 Kilogramm TFA in den Neckar, und das jeden Tag. Fragt sich nur, wer sich nun zuerst aus der Deckung wagt. Schließlich geht es einerseits zwar um den Umweltschutz – und der war bekanntlich ja mal ein grünes Kernthema.

Gift für die Ewigkeit

PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen und bezeichnet synthetische Fluorverbindungen, von denen es mindestens 5.000 Varianten gibt. Da sie in der Umwelt nur sehr schwer abbaubar sind, werden sie auch Ewigkeitschemikalien genannt. Trifluoracetat (TFA) ist ein Unterstoff mit giftigen Eigenschaften. Die europäischen Wasserversorger fordern seit Langem, dass Konzentrationen in der Größenordnung von maximal fünf Tropfen in einem olympischen Schwimmbecken keinesfalls überschritten werden sollten.  (lee)

Aber andererseits dräut am Horizont bedrohlich die Landtagswahl. Und da sieht es bislang in Sachen Wahlerfolg gar nicht gut aus für Kretschmanns Erben. Was also tun? Sich jetzt plötzlich mutig mit der einflussreichen Lobby der chemischen Industrie in den Clinch begeben, um damit ("Wir haben es ja schon immer gesagt") wieder mal als tendenziell wirtschaftsfeindliche Verbotspartei an den Pranger gestellt zu werden? Sich also kurz vor Torschluss doch noch auf seine grünen Fundamente zurückbesinnen und das tun, wofür ein Großteil ihrer Anhänger die Grünen einst gewählt hat: Nämlich Politik so zu gestalten, dass auch die nachfolgenden Generationen noch eine lebenswerte Umwelt vorfinden?

Zu Wasser, zu Lande und in der Luft

Seit Monaten sucht man mehr oder minder fieberhaft nach der Quelle des neu entdeckten Übels. Wie kann es sein, dass die Gewässerverseuchung schon oberhalb des Werkgeländes von Solvay nachzuweisen ist? Wie kommt dieses TFA denn den Berg hoch? Bislang gibt es keine Antwort darauf, dafür aber seit Kurzem einen neuen Verdacht: die Abgasreiniger des Fluorchemieproduzenten. Die sollen ja eigentlich, wie schon der Name sagt, die Abluft möglichst sauber in den Himmel über Bad Wimpfen blasen, aber so ganz und gar klinisch rein scheint das nicht zu funktionieren. Und so wurde Solvay vom Regierungspräsidium im Rahmen der Verwaltungsvorschrift "Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft" (TA Luft) die Genehmigung erteilt, 20 Milligramm TFA pro Kubikmeter aus den Rohren zu blasen, von bis zu 200 Kilogramm im Jahr ist da die Rede. Notiz am Rande: Das Ganze wird seit 2024 so praktiziert, obwohl die neue TA Luft, in der TFA in die Gefährdungsklasse 1 hochgestuft wurde, bereits seit 2021 in Kraft ist.

Also nicht nur unten in den Neckar rein, sondern auch oben aus dem Schornstein raus. TFA im Doppelpack. Kann es folglich sein, dass die Abgaswäscher die Ursache der Bad Wimpfener Quellenverseuchung darstellen? Gut möglich, aber noch nicht bewiesen. Zu diesem Zweck sind deshalb nun auf den Höhen um Bad Wimpfen sogenannte Depositionsmessungen angelaufen, mit denen das Regenwasser aufgefangen und beprobt wird, ob die Menge des aus dem Himmel rieselnden TFA womöglich des Rätsels Lösung darstellt.

Die Einwohner:innen von Bad Wimpfen haben davon nichts erfahren, denn die Beprobungsstellen werden vom Regierungspräsidium "zur Vorbeugung gegen Manipulation" geheim gehalten – und sind aber dennoch kinderleicht zu finden. 

Erste Ergebnisse seien, bekundet die Behörde, freilich erst in einigen Monaten zu erwarten. In der Zwischenzeit emittiert Solvay, zum wachsenden Verdruss vieler Bürger:innen in der Region, weiterhin ordentlich TFA in die Umwelt.

Wirklich nix zu machen?

"Man kann da halt leider nichts machen", klagt der im Umweltministerium zuständige Staatssekretär Andre Baumann auf entsprechende Vorhaltungen, die Emissionen endlich zu verbieten. Er würde ja gerne wollen, aber ihm seien die Hände gebunden, da es nach wie vor keinen gesetzlichen Grenzwert für die Einleitung von TFA in Gewässer gebe. "Was soll ich also tun? Geben Sie mir eine gesetzliche Handhabe!"

Doch immerhin eine klitzekleine Anmerkung lässt aufhorchen: Die Genehmigung einer Einleitung von acht Tonnen TFA pro Jahr bis 31.12.2044 sei nicht unbedingt in Stein gemeißelt. Denn dann, wenn eventuell in zwei Jahren auch bei der EU die neuen Erkenntnisse über die Toxizität von TFA vorlägen (die es freilich schon längst gibt) und endlich ein verbindlicher Grenzwert eingeführt werde, dann könne man reagieren. Bis dahin, leider, niente.

Dabei gäbe es durchaus juristische Hebel, die man auf europäischer Ebene in Bewegung setzen könnte – so man denn den Mut dazu aufbringt. Laut Europäischem Gerichtshof (EUGH) ist es nämlich möglich, den vorsorgenden Umweltschutz anzuwenden, wenn neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Toxizität eines Stoffes vorliegen. Wer's nicht glauben mag, schaue sich die EUGH-Rechtssachen C 308/22, C 309/22 und C 310/22 im Hinblick auf Pestizide genauer an. Damit können nationale Behörden nach genauer Analyse ihre eigenen Bewertungen vornehmen und Verbote erteilen. Und was im Hinblick auf die gesundheitsgefährlichen Pestizide gilt, müsste auch auf die Fluorchemikalien anwendbar sein, da bei dieser Stoffgruppe am Ende oftmals dieselben hochproblematischen Abbauprodukte (TFA) zu finden sind. Das wäre natürlich ein mutiger Schritt gegen die finanzstarke Chemielobby. Zumindest einer, den man mal versuchen könnte.

Allerdings hätten Argumente gegen die Macht der Großindustrie kaum eine Chance, ist sich einer der profiliertesten TFA-Experten, Professor Michael Müller vom Lehrstuhl für Pharmazeutische und medizinische Chemie an der Universität Freiburg, sicher: "Solange die Politik der Chemielobby mehr glaubt als der Wissenschaft, solange stehen wir auf verlorenem Posten. Siehe beispielsweise den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD, in dem es dezidiert heißt, dass ein Verbot von PFAS nicht in infrage kommt." Spiel, Satz und Sieg im Match zwischen Chemischer Industrie und Umwelt.

Das Zeug bleibt uns ewig

Was im Hinblick auf TFA eine besonders bittere Note enthält: Denn TFA, das kleinste und fieseste Molekül der PFAS Gruppe schlüpft überall durch und man kann es weder mit Aktivkohle, noch durch Verbrennen wieder einfangen. "Egal, wie hoch die Temperaturen sind", sagt Pharmakologe Müller. "Und wenn es in der Umwelt ist, bleibt es ewig, mindestens 50.000 Jahre lang. Sie kriegen das Zeug nicht mehr los, auch nicht durch noch so hohe Temperaturen. Es gibt keinerlei technische Möglichkeit, TFA unschädlich zu machen. Wer etwas anderes sagt, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls verfolgt er wirtschaftliche Interessen."

Jahr für Jahr regnet es mittlerweile 80 Tonnen TFA auf uns herab, allein in Deutschland. Und die Spitze der Bugwelle ist noch längst nicht erreicht. Denn TFA ist inzwischen überall: nicht nur im Wasser, sondern auch im Getreide, Wein, und infolgedessen längst auch im menschlichen Körper, in dem es sich immer weiter anreichert. Seit mindestens 20 Jahren ist das so. Was bei in diesem Jahr geborenen Kindern im Laufe ihres Lebens zu exorbitant höheren Konzentrationen des Giftes in ihrem Körper führen wird als bei heutigen Erwachsenen. Und bei der Erforschung der Gesundheitsgefahren ist man erst ganz am Anfang.

Angesichts solcher Szenarien hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nun eine Klage gegen das Regierungspräsidium Stuttgart angedroht. "Die zuständigen deutschen Bundesbehörden haben die Chemikalie jüngst als 'fortpflanzungsgefährdend, sehr persistent und sehr mobil' bewertet", schreibt die Organisation in der dazugehörigen Pressemitteilung. Und auch der BUND-Landesverband Baden-Württemberg erwägt eine solche Klage, nachdem er jahrelang vergeblich gefordert hatte, Solvay die Genehmigung für die Verklappung der acht Tonnen TFA in den Neckar zu verbieten.

Der Blick in den Abgrund

Aber was kann eine solche Klageandrohung wie die der DUH auf das Einleitungsverbot in den Neckar bewirken? "Bestenfalls nichts", meint Professor Müller, "Schlimmstenfalls das genaue Gegenteil. Denn man macht sich damit nur zum nützlichen Idioten für die Chemielobby, indem man vom eigentlichen Kern des Problems ablenkt und uns nur auf die Einleitung ins Wasser starren lässt, die selbstverständlich unbedingt verboten werden muss. Aber diese einseitige Fixierung nur auf das Abfallwasser verschleiert den Blick nach oben. In den Himmel über Bad Wimpfen." Und selbst das greift nach Meinung des Experten noch viel zu kurz, denn es könne längst nicht mehr nur um ein Verbot von TFA gehen, sondern unbedingt um ein generelles Verbot aller PFAS-Verbindungen.

Denn TFA ist ein Abbaustoff vieler der über 10.000 PFAS-Chemikalien, den zunächst noch gar niemand auf der Rechnung hatte. Das erklärt auch, weshalb die TFA-Belastung in Deutschland von Jahr zu Jahr steigt. Bis hin zu den 80 Tonnen, die auf uns jährlich herunterregnen. Von dieser Warte aus betrachtet, sind die acht Tonnen, die Solvay jährlich in den Neckar schütten darf, zwar eine Riesenumweltsauerei, aber letztendlich eben doch nur "Peanuts", eine Prozentzahl hinter dem Komma. Was genauso erschreckend wie eindeutig aufzeigt, welch gigantische Größenordnung das Problem mit dieser Ewigkeitschemikalie mittlerweile angenommen hat. Mit anderen Worten: Wir schauen bereits in den Abgrund. Dagegen hilft kein politisches Taktieren mehr, sondern nur ein rasches, mutiges Vorgehen. Ungefähr wie damals, bei den Protesten gegen die Atomkraft. Als sich daraus eine völlig neue politische Kraft herausgebildet hat. Aber das ist lange her.

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