Nach der Gründergeneration übernahmen wechselnde internationale Manager die Geschicke des Konzerns. Mit einer neuen ERP-Generation und milliardenschweren Zukäufen wuchs SAP zwar stetig. Doch der Konzern verschlief wichtige Trends. Während die IT-Welt längst auf Cloud und Software as a Service (SaaS) setzt, hielt SAP an seinem Lizenzmodell fest – zu lange. Anders als beim klassischen Lizenzmodell, bei dem Unternehmen die Software einmal kaufen und selbst installieren, wird Software im SaaS-Modell gemietet und laufend über die Cloud genutzt – inklusive Wartung, Updates und Support. Drei Milliarden Euro versenkte der Konzern in das Cloud-Programm Business ByDesign. "Ein Flop", wie Plattner später selbst konstatierte. Erst 2015 brachte SAP ein cloud-basiertes ERP-System auf den Markt. Doch einige Kunden hatten ihre Unternehmen da schon mit Konkurrenzsystemen bestückt.
Teure Zukäufe und Tausende Entlassungen
Längst war SAP dem deutschen Markt entwachsen – und das US-Geschäft rückte zunehmend ins Zentrum. Dort saßen die neuen Kunden, dort wuchs der Umsatz. Um mit der amerikanischen Konkurrenz Schritt zu halten, setzte SAP verstärkt auf milliardenschwere Zukäufe: Cloudfirmen wie SuccessFactors, Ariba oder Qualtrics sollten neue Technologien und moderne Benutzeroberflächen ins Unternehmen bringen. Doch der Plan ging nur teilweise auf. "Wir haben manche Unternehmen gekauft, nur weil sie eine nettere Benutzeroberfläche hatten. Das reicht aber nicht", räumte Aufsichtsratschef Hasso Plattner 2020 im "Handelsblatt" ein. Die Integration der vielen US-Töchter – also die technische und organisatorische Einbindung in SAPs Kernsysteme – sei bis heute nicht vollständig gelungen: "Das ist leider ein Fakt."
Auf die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz reagierte SAP mit einem deutlichen Stellenabbau. Seit vorigem Jahr werden im Rahmen eines Restrukturierungsprogramms Beschäftigte in den "alten Jobs" in Frührente geschickt oder mit großzügigen Abfindungsangeboten zum Verlassen des Unternehmens bewegt. Die SAP zahlte dabei etwa dreimal so hohe Abfindungen wie üblich. Drei Milliarden Euro ließ sich der Konzern die Restrukturierung kosten. Allein in Deutschland verließen bis Ende 2024 rund 3.500 Mitarbeiter:innen die SAP. Weltweit will das Unternehmen etwa 10.000 Stellen abbauen, also jede zehnte Stelle. Im ersten Quartal 2025 wies SAP, getrieben durch den Stellenabbau, einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro aus.
An der Börse kommt das gut an. In den vergangenen zwölf Monaten legte der Aktienkurs um über 50 Prozent zu. Überhaupt gehört die SAP zu den stärksten deutschen Aktien und hängte in den vergangenen 20 Jahren die meisten deutschen Aktienunternehmen ab. Während der DAX um 150 Prozent zulegte, stieg der Kurs der SAP-Aktie in den letzten 20 Jahren mehr als viermal so schnell, um 660 Prozent. Im Vergleich zu den großen US-Technologiegiganten ist das wenig, Apple und Microsoft wuchsen um ein Vielfaches.
Geld geht an Aktionäre, nicht an Beschäftigte
Dennoch kann SAP zufrieden mit seiner Geschäftsentwicklung sein. Das zeigt sich nicht nur an den kontinuierlich hohen Dividenden für die Aktionär:innen, sondern auch an den Gehältern der Vorstände. Fast 60 Millionen Euro erhielten die Vorstände der SAP im vergangenen Jahr. Allein der amtierende CEO Christian Klein erhielt – vor allem wegen des gestiegenen Börsenwerts – fast 19 Millionen Euro, 2023 waren es noch 7,2 Millionen, was einer Gehaltssteigerung von 165 Prozent entspricht.
Die übrigen Beschäftigten wurden mit deutlich geringeren Beträgen am Erfolg der SAP beteiligt. Um durchschnittlich 2,4 Prozent sollen die Gehälter für die über 20.000 SAP-Beschäftigten in Deutschland in diesem Jahr steigen. "Eine solche Erhöhung wird die Belegschaft nicht dazu motivieren, die durch den Abgang so vieler erfahrener Kolleg:innen entstandenen Lücken zu stopfen," sagt der SAP-Betriebsratsvorsitzende Eberhard Schick. Er kritisiert die Gehaltssteigerung als deutlich zu gering – auch vor dem Hintergrund der Gewinnziele von 10 Milliarden Euro in diesem Jahr. Doch SAP verteilt seine Gewinne lieber an seine Aktionär:innen: An sie sollen mindestens 40 Prozent der Gewinne ausgeschüttet werden.
Lohnsystem führt zu Ungleichheit
Beim Thema Gehaltserhöhung geht die SAP einen besonderen Weg. Die Geschäftsführung gibt einen Durchschnittswert vor und die jeweiligen Führungskräfte sollen im vorgegebenen Rahmen selbst entscheiden, wie hoch die Gehaltserhöhung bei den einzelnen Beschäftigten ausfällt. Für ihre Abteilung müssen die Führungskräfte dabei den Durchschnittswert halten oder einen Antrag auf Erhöhung stellen. Dieses System erhöht nicht nur den Druck auf Beschäftigte und ihre Führungskräfte. Es erhöht auch die Ungleichheit im Konzern. Nach Kontext-Informationen kann es bei SAP für dieselbe Arbeit bis zu 20.000 Euro Gehaltsunterschied geben.
Einen Tarifvertrag konnte die IG Metall bislang nicht durchsetzen. Wann es so weit sei, sei "noch nicht absehbar", sagt Schick, der auch Metaller ist. Die Betriebsratswahl im kommenden Jahr werde eine Richtung vorgeben. Um einen Tarifvertrag durchzusetzen, braucht die Gewerkschaft eine stärkere Basis. Wie viele Mitglieder sie bei SAP hat, verrät die IG Metall nicht. Bei einigen Beschäftigten wächst der Frust. Mehrarbeit, wachsende Ungleichheit und die geringe Lohnsteigerung lassen sie zweifeln, weiß der Betriebsratschef. "Unter der Oberfläche und in vielen Teams herrscht eine große Unzufriedenheit", sagt Schick. "Einen großen Aufschrei konnte ich bisher aber noch nicht hören."
Mangelnde Anerkennung der Belegschaft zeigt sich im Anbiedern an Donald Trump. Im Mai kündigte SAP an, in den USA alle Diversitätsprogramme und die bislang geltende Frauenquote zu streichen. Auch in Deutschland will der Konzern auf die Förderung von Frauen verzichten. In den vergangenen Jahren gaben sich SAP und ihre Vorstände öffentlich sehr divers und veröffentlichten Statements wie: "Wir sehen Unterschiede als Chancen zum Wachsen" und "Bei SAP gehörst du dazu. Also lass uns gemeinsam eine bessere Welt gestalten."
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