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Neues EnBW-Gaskraftwerk in Karlsruhe

Wasserstoff als Idee – Gas als Realität

Neues EnBW-Gaskraftwerk in Karlsruhe: Wasserstoff als Idee – Gas als Realität
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Ein neues Gaskraftwerk in Karlsruhe soll die Energielücke nach dem Kohleausstieg schließen. Dabei setzt der Stromkonzern EnBW auf Fracking. Doch Erdgas als Brücke ist umstritten, Wasserstoff bleibt ein vages Versprechen. Kritiker:innen fordern stattdessen erneuerbare Alternativen, die schon heute verfügbar sind.

Rheinhafen Karlsruhe – acht Kraftwerke stehen hier. Oder besser: standen. Zwei davon dienen als Notreserve, eines liefert noch Strom aus Kohle ins Netz. Der Rest ist stillgelegt oder bereits abgebaut. Ein Ort, der wirkt wie ein Geschichtsbuch der deutschen Energiepolitik. Um Kohle als einstigen Grundpfeiler der Stromversorgung hinter sich zu lassen, plant die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hier mit dem Rheinhafen-Dampfkraftwerk 9 (RDK9) ein weiteres Gaskraftwerk. Modern, wasserstofffähig, so lautet das Versprechen. Gas soll dabei als Brücke zwischen fossiler Vergangenheit und erneuerbarer Zukunft dienen.

Das neue Kraftwerk soll 850 Megawatt Strom, bis zu 220 Megawatt Wärme produzieren und Teile der vorhandenen Infrastruktur nutzen. Die Verwendung von Erdgas als Übergangsbrennstoff sichere die Bezahlbarkeit der Energie und unterstütze die Akzeptanz der Energiewende, so der Energiekonzern. Mit dem Bau will er 2026 beginnen. Um die Investition zu finanzieren, hofft die EnBW auf Fördergelder aus dem noch zu entwickelnden Kraftwerkssicherungsgesetz. Der vorliegende Gesetzesentwurf liegt seit dem Ampel-Aus in Berlin auf Eis. Doch um ihre Milliardeninvestition in neue Gaskraftwerke zu finanzieren, braucht die EnBW auch sichere Abnehmer. Daher soll der Gemeinderat am 29. April per Grundsatzbeschluss eine politische Willensbekundung für das RDK9 abgeben.

Mitte April eröffnete die EnBW in Stuttgart-Münster bereits ein neues Kraftwerk, in dem zur Energieerzeugung künftig Gas statt Kohle verbrannt wird. Mitte der 2030er Jahre soll das Kraftwerk ein zweites Mal umgerüstet werden – auf Wasserstoff. Mit Wasserstoff könnte die Energieerzeugung dann noch klimafreundlicher werden, betont die EnBW. "Wenn dieser dann in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht", schränkt der EnBW-Vorstand Peter Heydecker bei der Vorstellung der Stuttgarter Anlage allerdings ein.

Denn noch ist die Energie- und insbesondere die Wärmeversorgung mit Wasserstoff nicht viel mehr als eine Hoffnung. Sie baut auf eine Wette, dass sich Wasserstoff durch technologische Entwicklung und Skaleneffekte irgendwann einmal wirtschaftlich in großen Mengen herstellen lässt. Dafür ist eine große Menge an Energie notwendig, die zumindest aus erneuerbaren Quellen noch gar nicht ausreichend vorhanden ist. Eine teure Infrastruktur müsste erst noch geschaffen und Wasserstoff bei der Energieversorgung deutlich effizienter werden. Doch selbst dann bleibt offen, ob der absehbar teure Wasserstoff zum Heizen wirklich seinen Preis wert ist oder nicht eher in der Stahl- und die Chemieindustrie oder für den Luft- und Schiffsverkehr eingesetzt wird, die weniger klimaneutrale Alternativen haben.

EnBW setzt auf Fracking-Gas

Neben dem neuen Kraftwerk in Stuttgart plant die EnBW, die zu 46 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehört, auch in Altbach/Deizisau und Heilbronn neue Gaskraftwerke, die bis 2027 in Betrieb gehen und "Wasserstoff-ready" sein sollen. Zumindest in Stuttgart wären dafür aber noch Umbauten der Turbinen notwendig, um sie statt mit Gas mit Wasserstoff zu versorgen. Ob die Turbinen im Karlsruher RDK9 tatsächlich ohne weiteren Aufwand für Wasserstoff nutzbar seien, ließ die EnBW auf Kontext-Anfrage offen. Für Antworten dazu sei es noch zu früh. Ebenso offen ließ der Energiekonzern, woher der Wasserstoff denn kommen solle, wann mit Wasserstoff wirtschaftlich Energie zu erzeugen sein könnte und welcher Wasserstoff es denn nun eigentlich sein soll.

Denn neben dem grünen Wasserstoff, der mit erneuerbaren, also Sonnen- oder Windnergie hergestellt wird, gibt es noch den blauen Wasserstoff, der sich zwar auch emissionsfrei verbrennen lässt, aber mit Erdgas produziert wird. Die EnBW veröffentlichte dazu Anfang April eine selbst in Auftrag gegebene Studie, die den "kohlenstoffarmen" blauen Wasserstoff als "Säule der Dekarbonisierung" und "kostengünstigeren Umbaupfad" bezeichnet. Nach dem zugrundeliegenden Szenario wäre die Energieerzeugung mit blauem Wasserstoff nur etwa 30 Prozent teurer als derzeit mit Gas. Im Vergleich zum grünen Wasserstoff könne die EnBW 18 Prozent einsparen. EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos forderte Anfang April einen "pragmatischeren" Umgang mit blauem Wasserstoff, sonst sei die Energiewende nicht finanzierbar.

Nach den Plänen der EnBW soll das Gaskraftwerk RDK9 2030 in Betrieb gehen und fünf Jahre später bereit sein, vollständig auf Wasserstoff umzustellen. Mit blauem Wasserstoff kommt die EnBW aber nicht vom Erdgas los. Ohnehin hat sie bereits langfristige Lieferverträge für Fracking-Gas aus den USA und Abu Dhabi geschlossen. Das extrem klimaschädlich produzierte Flüssiggas (LNG) aus Louisiana soll bis 2045 durch die baden-württembergischen Leitungen fließen. Den Karlsruher Umweltaktivisten und kritischen EnBW-Aktionär Harry Block ärgert das gewaltig. "Das Problem der CO2-Emissionen wird in andere Länder verschoben." Die EnBW führe die Öffentlichkeit hinters Licht, sagt Block und prophezeit: "Die neuen Gaskraftwerke werden für lange Zeit zunächst mit Erdgas, danach mit blauem Wasserstoff und vielleicht irgendwann mit dem teuren, in der Menge gar nicht vorhandenen grünen Wasserstoff gefahren werden."

Aus Sicht der EnBW stellt sich die Lage anders dar. Das RDK9 sei eine "hocheffiziente und zukunftsfähige Gas- und Dampfturbinenanlage, die im Vergleich zur Kohleverstromung mehr als die Hälfte des CO2 einspare. Ohne den Neubau würden die Kohlekraftwerke in der Netzreserve bleiben. Rückenwind könnte aus dem neuen Koalitionsvertrag kommen, in dem auch die Gasförderung in Deutschland Platz gefunden hat. "Nur falls die politischen Rahmenbedingungen den wirtschaftlichen Betrieb von Kraftwerken ermöglichen, kann und wird die EnBW investieren", sagt eine Unternehmenssprecherin. Allein für Baden-Württemberg rechnet die EnBW nach dem Kohleausstieg mit einer Stromlücke von 6.500 Megawatt.

Wärmekonzept fehlt noch

Die Karlsruher Energieversorgung ist derzeit nicht nur vom Kohlekraftwerk RDK8, sondern auch von der Abwärme der Mineralölraffinerie Oberrhein (Miro) abhängig. Rund 60 Prozent der Karlsruher Fernwärme stammt aus industrieller Abwärme. Wie lange die Abwärme der Miro noch zur Verfügung steht, sei "unsicher", sagt der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD). Die Raffinerie befinde sich in einer Transformation "in eine im Moment noch nicht bekannte Richtung". Auch vor diesem Hintergrund wollen die Stadtwerke in einigen Monaten ihr Konzept für die künftige Fernwärmeversorgung vorstellen.

Umso größer ist beim Karlsruher Klimabündnis das Unverständnis darüber, warum die Entscheidung über das neue Gaskraftwerk RDK9 unter Zeitdruck getroffen werden soll, anstatt die Ergebnisse dieses Konzepts abzuwarten. Erst dann könne seriös beurteilt werden, ob sich ein auf Stromproduktion ausgelegtes Kraftwerk in das Fernwärmekonzept integrieren lasse. In einem offenen Brief stellt das Klimabündnis 19 Fragen zu Wirtschaftlichkeit, Notwendigkeit und Klimaverträglichkeit des geplanten RDK9 auf. Antworten darauf gibt es von Seiten der Stadtverwaltung noch nicht. Auch Fragen von Kontext wollte die Stadt nicht beantworten. Grund: Der politischen Diskussion im Gemeinderat wolle man nicht vorgreifen.

Alternativen ausgebremst?

Harry Block und das Klimabündnis stellen auch die Frage, ob das nächste Kapitel im Geschichtsbuch der Energie nicht ganz anders geschrieben werden sollte – ohne neue fossile Brücken. Ein Vorbild ist Mannheim. Das Energieunternehmen MVV gab kürzlich die Planungen für eine zweite Flusswärmepumpe im Rhein bekannt. Bis 2028 soll die Anlage fertiggestellt sein und 150 Megawatt Wärme produzieren. Potenzial für eine emissionsfreie Wärmeversorgung am Rhein biete nicht nur der Fluss, sondern auch die Tiefengeothermie, sagt Block. Er fürchtet, dass diese Pläne durch das Großkraftwerk unter die Räder kommen. "Statt auf Flusswärmepumpe oder Geothermie setzt die EnBW auf Fantasieprodukte wie Wärmeerzeugung mit Wasserstoff. Alternative Energien werden aus dem Markt gedrängt und stattdessen lange Zeit nur LNG-Gas verbrannt."

Beim Neubau des RDK9 geht es auch um Geld. Mit den Gaskraftwerken sollen Spitzenlasten abgedeckt werden, wenn Wind und Sonne nicht genug Energie liefern. Doch wenn die Kraftwerke nicht unter Volllast laufen, ist ein wirtschaftlicher Betrieb durch die hohen Investitionskosten nicht möglich. Staatliche Förderung muss einspringen. Zumindest für Oberbürgermeister Mentrup sind die – noch ungewissen – Fördermittel des Bundes das schlagende Argument für den Zeitdruck bei der Entscheidung. Er wünscht sich, "zügig zu einer Entscheidung zu kommen, damit das Investitionsprogramm des Bundes zur Sicherstellung der Energie- und Wärmeversorgung nicht am Großraum Karlsruhe vorbeigeht".

Wer das nächste Kapitel der Energiegeschichte schreibt, entscheiden somit nicht die Technologien, sondern die Milliarden.

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5 Kommentare verfügbar

  • Dr. Jürgen Enseleit
    vor 3 Tagen
    Antworten
    Vielleicht sollten wir dringend unsere tägliche irrsinnig gigantische Verschwendung von Wasser, Energie und Kraftstoff beenden!
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