Rheinhafen Karlsruhe – acht Kraftwerke stehen hier. Oder besser: standen. Zwei davon dienen als Notreserve, eines liefert noch Strom aus Kohle ins Netz. Der Rest ist stillgelegt oder bereits abgebaut. Ein Ort, der wirkt wie ein Geschichtsbuch der deutschen Energiepolitik. Um Kohle als einstigen Grundpfeiler der Stromversorgung hinter sich zu lassen, plant die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hier mit dem Rheinhafen-Dampfkraftwerk 9 (RDK9) ein weiteres Gaskraftwerk. Modern, wasserstofffähig, so lautet das Versprechen. Gas soll dabei als Brücke zwischen fossiler Vergangenheit und erneuerbarer Zukunft dienen.
Das neue Kraftwerk soll 850 Megawatt Strom, bis zu 220 Megawatt Wärme produzieren und Teile der vorhandenen Infrastruktur nutzen. Die Verwendung von Erdgas als Übergangsbrennstoff sichere die Bezahlbarkeit der Energie und unterstütze die Akzeptanz der Energiewende, so der Energiekonzern. Mit dem Bau will er 2026 beginnen. Um die Investition zu finanzieren, hofft die EnBW auf Fördergelder aus dem noch zu entwickelnden Kraftwerkssicherungsgesetz. Der vorliegende Gesetzesentwurf liegt seit dem Ampel-Aus in Berlin auf Eis. Doch um ihre Milliardeninvestition in neue Gaskraftwerke zu finanzieren, braucht die EnBW auch sichere Abnehmer. Daher soll der Gemeinderat am 29. April per Grundsatzbeschluss eine politische Willensbekundung für das RDK9 abgeben.
Mitte April eröffnete die EnBW in Stuttgart-Münster bereits ein neues Kraftwerk, in dem zur Energieerzeugung künftig Gas statt Kohle verbrannt wird. Mitte der 2030er Jahre soll das Kraftwerk ein zweites Mal umgerüstet werden – auf Wasserstoff. Mit Wasserstoff könnte die Energieerzeugung dann noch klimafreundlicher werden, betont die EnBW. "Wenn dieser dann in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht", schränkt der EnBW-Vorstand Peter Heydecker bei der Vorstellung der Stuttgarter Anlage allerdings ein.
Denn noch ist die Energie- und insbesondere die Wärmeversorgung mit Wasserstoff nicht viel mehr als eine Hoffnung. Sie baut auf eine Wette, dass sich Wasserstoff durch technologische Entwicklung und Skaleneffekte irgendwann einmal wirtschaftlich in großen Mengen herstellen lässt. Dafür ist eine große Menge an Energie notwendig, die zumindest aus erneuerbaren Quellen noch gar nicht ausreichend vorhanden ist. Eine teure Infrastruktur müsste erst noch geschaffen und Wasserstoff bei der Energieversorgung deutlich effizienter werden. Doch selbst dann bleibt offen, ob der absehbar teure Wasserstoff zum Heizen wirklich seinen Preis wert ist oder nicht eher in der Stahl- und die Chemieindustrie oder für den Luft- und Schiffsverkehr eingesetzt wird, die weniger klimaneutrale Alternativen haben.
EnBW setzt auf Fracking-Gas
Neben dem neuen Kraftwerk in Stuttgart plant die EnBW, die zu 46 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehört, auch in Altbach/Deizisau und Heilbronn neue Gaskraftwerke, die bis 2027 in Betrieb gehen und "Wasserstoff-ready" sein sollen. Zumindest in Stuttgart wären dafür aber noch Umbauten der Turbinen notwendig, um sie statt mit Gas mit Wasserstoff zu versorgen. Ob die Turbinen im Karlsruher RDK9 tatsächlich ohne weiteren Aufwand für Wasserstoff nutzbar seien, ließ die EnBW auf Kontext-Anfrage offen. Für Antworten dazu sei es noch zu früh. Ebenso offen ließ der Energiekonzern, woher der Wasserstoff denn kommen solle, wann mit Wasserstoff wirtschaftlich Energie zu erzeugen sein könnte und welcher Wasserstoff es denn nun eigentlich sein soll.
Denn neben dem grünen Wasserstoff, der mit erneuerbaren, also Sonnen- oder Windnergie hergestellt wird, gibt es noch den blauen Wasserstoff, der sich zwar auch emissionsfrei verbrennen lässt, aber mit Erdgas produziert wird. Die EnBW veröffentlichte dazu Anfang April eine selbst in Auftrag gegebene Studie, die den "kohlenstoffarmen" blauen Wasserstoff als "Säule der Dekarbonisierung" und "kostengünstigeren Umbaupfad" bezeichnet. Nach dem zugrundeliegenden Szenario wäre die Energieerzeugung mit blauem Wasserstoff nur etwa 30 Prozent teurer als derzeit mit Gas. Im Vergleich zum grünen Wasserstoff könne die EnBW 18 Prozent einsparen. EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos forderte Anfang April einen "pragmatischeren" Umgang mit blauem Wasserstoff, sonst sei die Energiewende nicht finanzierbar.
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Dr. Jürgen Enseleit
vor 3 Tagen