Elke Dilger mag die Hoffnung nicht aufgeben. "Wir fliegen doch auch zum Mars", sagt sie und holt tief Luft, "dann muss es doch für unsere Fischer eine Lösung geben." Die 54-jährige Altenpflegerin ist die Vorsitzende des Berufsfischerverbands am Bodensee. Früher hat sie selbst leidenschaftlich gefischt, eine der ersten Frauen in diesem Beruf. Bis sie, wie Hunderte ihrer Kollegen, aufgeben musste. Nach 26 Jahren im Boot. Der Grund für ihre Entscheidung: Dem größten deutschen See, der vielbesungenen Zauberflut des Voralpenlandes, gehen die Fische aus. Ein ganzes Ursachenbündel ist dafür verantwortlich. Vor allem aber ist der Bodensee, so paradox das klingen mag, viel zu sauber geworden und damit zu nährstoffarm für die Fischbestände. Mit teuren Investitionen, hochgerüsteten Klärwerken und immer effizienteren Reinigungsstufen wurde der dreckige Bodensee zum Saubermann. Wo in den 1970er-Jahren Badeverbote wegen "Seuchengefahr" verhängt wurden, plätschert heute "hochwertiges Rohwasser" für die Wasserwerke. Der Bodensee liefert Trinkwasser für fünf Millionen Menschen, aber kein Futter mehr für die Fische.
Mit einer Fläche von 536 Quadratkilometern und durchschnittlich 101 Metern Tiefe ist der Bodensee der drittgrößte See Europas. Bislang gehörte zu diesem See auch eine der größten Binnenfischereien des Kontinents. In alten Beschreibungen wird neben der "mediterranen Heiterkeit" stets der Fischreichtum gerühmt, der "den Anwohnern Lebensunterhalt und Verdienst gewährt". Doch seit den 1990er-Jahren gehen die Fänge stark zurück.
(…) Inzwischen haben sie den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht: seit 1909, als das Deutsche Reich begonnen hatte, die Fischerträge am Bodensee zu erfassen. Die Zahlen von 2022 bestätigten nicht nur den Trend, sie übertrafen selbst die pessimistischsten Erwartungen. Am Obersee haben die 64 verbliebenen Berufsfischer nur noch 21 Tonnen Felchen gefangen, ein Rückgang von 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr, als 107 Tonnen registriert worden waren. Zählt man die Fänge aller anderen Fische dazu, dann sank der Gesamtertrag der Berufsfischer am Obersee im Vergleich zum Vorjahr um 34 Prozent auf 153 Tonnen. Wegen des vehementen Einbruchs verhängte die Internationale Kommission für die Bodenseefischerei (IBKF) ab dem 1. Januar 2024 ein dreijähriges Fangverbot auf Felchen. Das ist ein neuer Tiefpunkt der Fischereikrise am Bodensee und der Beginn einer neuen Ära ohne den bekannten Vorzeigefisch.
Mit den Fischen verschwinden auch die Fischer. 64 sind noch übriggeblieben, die letzten ihrer Art. Es waren mal mehr als 400, aber das ist eine Ewigkeit her. Zwei von ihnen, Wilhelm Böhler aus Hemmenhofen am Untersee und Stefan Riebel von der Insel Reichenau, stehen in Böhlers Fischereiwerkstatt und machen ihrer Wut und Verzweiflung Luft. Hinter ihnen hängen ein Dutzend feingewirkter Netze und – nicht ohne Symbolkraft – auch zwei Rettungsringe. Vor ihnen steht eine gut gelaunte Besuchergruppe im sommerlichen Outfit. Die beiden Fischer versuchen den Touristen die Lage der Dinge am Schwäbischen Meer zu erklären.
"Dia hont nix zom Fressa!"
Böhler ringt um Worte, die Stimme vibriert, seine Botschaften sind kurz und heftig. Es geht – natürlich – vor allem um die Felchen, die berühmtesten Bewohner des Bodensees, die dort ihre größte Population in ganz Europa erreichen. Felchen waren stets die wirtschaftlich wichtigsten Fische, die in ihren Glanzzeiten bis zu 80 Prozent der Fänge ausmachten. Vorbei! Seit Jahren schrumpft der Bestand in rasendem Tempo. Die jetzt zur Jahresmitte gefangenen Fische müssten eigentlich kugelrund sein, doch sie sind mager und ausgezehrt, wiegen nur noch 200 statt 400 Gramm. "Dia hont nix zom Fressa!", platzt es aus Böhler heraus. Die Fische würden hungern, sagt er, der See biete einfach zu wenig Nahrung, vor allem kaum noch Plankton. (…)
Was die Fischer am meisten ärgert, ist das Gefühl des Ausgeliefertseins. (…) Der Altersdurchschnitt der Bodenseefischer liegt inzwischen bei über 60 Jahren – zu alt, um in der digitalen Informationswelt der neuen sozialen Medien Krach zu schlagen. Zu klein sind die rund um den See verteilten Fischereiverbände, um als echte Pressure-Group wahrgenommen zu werden. Zudem ist die Fischerei am Bodensee weder systemrelevant, noch stellt sie eine wichtige Wählergruppe. Hart formuliert: Sie ist ein Auslaufmodell. Ohnmächtig müssen die Fischer zusehen, wie die wunderschöne Seelandschaft ihr wichtigstes Inventar verliert: die Fische. Zumal die Felchen, die Könige der Bodenseefische. Sie gehören zum See wie die weiße Flotte und das milde Klima. (…)
4 Kommentare verfügbar
Horst Tremp (Limnoterra)
am 09.06.2024Der Bodensee ist ein internationaler See (Schweiz, Österreich). Das geht ganz ohne Wikipedia.
Der größte deutsche See ist die Müritz.
Nur so nebenbei.....