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Energiekosten und Betrug

Unseriös wird nun besonders teuer

Energiekosten und Betrug: Unseriös wird nun besonders teuer
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Parallel zu den Energiepreisen steigt die Dreistigkeit mancher Anbieter: Strom- und Gasverträge werden auf illegale oder zumindest unlautere Weise verändert, bisweilen sogar Geld unberechtigt weiter eingezogen.

Thomas Grunde aus Stuttgart bezog bis vergangenes Frühjahr Primastrom. So hieß zumindest das Produkt. In Deutschland kann sich ein Haushalt seine Strom- und Gastarife typischerweise aus hunderten Firmen aussuchen, und fast alle bieten dasselbe Produkt. Sie müssen sich deshalb krampfhaft etwas ausdenken, um sich in der Außendarstellung von der großen Konkurrenz abzuheben – und seien es Tricks bis hin zu unlauteren Geschäftspraktiken. Das fängt beim Namen an.

Seit Herbst 2021 nimmt immerhin die Klarheit im Markt zu. Wie seriös die unterschiedlichen Firmen arbeiten, zeigt sich nun an ihrer jeweiligen Reaktion auf die immensen, schon seit rund einem Jahr andauernden Preissteigerungen auf den Großhandelsmärkten. Manche der unseriösen Energieanbieter greifen sogar zum offenen Rechtsbruch.

So findet Thomas Grunde gar nicht prima, wie Primastrom sich im Oktober 2021 zu verhalten begann. Der Schriftverkehr in diesem Streit füllt mittlerweile einen dicken Aktenordner (und ist dabei vielleicht noch nicht mal zu Ende), deshalb relativ kurz zusammengefasst: Primastrom kündigte eine Preiserhöhung bei Gas und Strom an. "Mein monatlicher Gas-Abschlag wurde von 80 Euro auf 120 Euro erhöht", berichtet die Person, die für diesen Artikel Thomas Grunde heißt. "Einen Monat später wurde er auf 370 Euro erhöht. Schon nach zwei Wochen buchte Primastrom den erhöhten Betrag ab." Das war natürlich illegal, denn eine Preiserhöhung muss mit mindestens einem Monat Vorlauf bekanntgegeben werden. Primastrom ignorierte per Einschreiben verschickte Kündigungen und hielt Grunde monatelang hin. Trotz schriftlicher Kündigung der Einzugsermächtigung buchte die Firma von Februar bis April weiterhin die Abschlagszahlungen ab, woraufhin Grunde die Beträge zurückbuchte. Zwar hat Primastrom wegen vermeintlich zu geringer Zahlungen den Vertrag mittlerweile selbst gekündigt, doch Grunde erhält weiterhin Zahlungsaufforderungen und Klageandrohungen.

Primastrom sorgt für viel Unmut

Primastrom ist, wie das Schwesterunternehmen Voxenergie, mit diesem Geschäftsgebaren längst den Verbraucherzentralen aufgefallen. "Seit Januar 2022 melden sich täglich Verbraucherinnen und Verbraucher bei uns. Sie wissen nicht, wie sie auf Schreiben der Energieversorger Primastrom und Voxenergie reagieren sollen", schrieb etwa die Verbraucherzentrale Niedersachsen im Juli. Sie fügte hinzu: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir die Flut von Anfragen zur primastrom GmbH momentan kaum bewältigen können." Der Bundesverband der Verbraucherzentralen sucht Betroffene für eine Musterfeststellungsklage gegen die beiden Berliner Firmen. Am 1. September 2022 gab zudem die Bundesnetzagentur bekannt, Primastrom und Voxenergie unter Androhung eines Zwangsgeldes zu zwingen, "rechtswidrige Preiserhöhungen" zurückzunehmen.

Auch in der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist die Primaholding, der neben Primastrom und Voxenergie auch die Marke "Paketsparer" gehört, wohlbekannt. Sie zähle zu den "grenzwertigen Unternehmen", mit deren Treiben er seit Jahren zu tun habe, sagt Matthias Bauer, Abteilungsleiter Bauen, Wohnen, Energie. Während andere zuletzt nicht mehr groß in Erscheinung getreten seien, sei die Primaholding "das ganze Jahr über auffällig" gewesen. "Wir haben mehrere Prozesse gegen sie gewonnen, aber die machen fröhlich weiter, trotz Bußgeldandrohung", führt der Jurist aus. "Erst am vergangenen Freitag habe ich wieder telefonische Beratung gemacht, und von den 13 Anrufen, die ich entgegengenommen habe, betrafen 9 die Primaholding." Es gehe dabei um diverse Vergehen bis hin zu ungewollten Vertragsabschlüssen nach Anrufen durch die gar nicht so prima Firmen.

Seit Oktober 2021 sei die energierechtliche Beratung allgemein besonders gefragt, schildert Bauer: "Bis dahin hatten wir 400 bis 500 Anfragen im Monat. Dann wurden es um die 1000, erst im Mai nahm es ab. Seit August sind wir wieder im Bereich von 1000." Manche Strom-Firmen verlangen mittlerweile enorm hohe Preise, hat Bauer festgestellt. Er führt das auf das unterschiedliche Einkaufsverhalten auf den Großhandelsmärkten zurück: Die Preisschwankungen der letzten Zeit betreffen die Firmen umso mehr, je weniger Strom oder Gas sie sich lange im Voraus gesichert haben.

Firmen, die ihre Gewinne mit kurzfristigem Einkaufsverhalten an den Großhandelsmärkten erzielen und dann bei kurzfristigen großen Preissteigerungen auf die Nase fallen, weil sie ihrer Kundschaft nicht nach Belieben die Preise erhöhen können, geraten seit letztem Winter unter Beschuss, selbst vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Auch juristisch gab es zuletzt einen Schuss vor den Bug: Ende August entschied das Landgericht Düsseldorf in einem Verfahren der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen die Extraenergie GmbH, dass Preisgarantien auf jeden Fall einzuhalten sind. Die Firma hatte "wegen höherer Beschaffungskosten" die Preise erhöht, .

Schwarzwald Energy versucht, billig davonzukommen

In Sachen Preisgarantie hatte Kontext schon im Januar über eine dubiose Geschäftspraxis von Schwarzwald Energy (SE) berichtet. Die mehrheitlich den Stadtwerken Calw gehörende Firma warb 2021 mit einer Preisgarantie von zwei Jahren und mehr, schrieb aber in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), dass sie die Verträge zum Ende des ersten Vertragsjahres kündigen konnte. So litten dann im vergangenen Winter – also vor dem Russland-Ukraine-Krieg – viele gekündigte Haushalte unter genau der Situation, vor der sie sich hatten schützen wollen: Inmitten einer Energiepreiskrise standen sie ohne ihren günstigen Strom- oder Gasvertrag da. SE bot ihnen zwar neue Verträge an, aber zu viel höheren Preisen.

Auf den Artikel hin meldeten sich weitere Betroffene bei der Kontext-Redaktion. Eine Person berichtet heute, relativ Glück gehabt zu haben: SE habe den betreffenden Vertrag auf eine Weise falsch gekündigt, die das Unternehmen selbst einsah. Demzufolge hatte die Firma nach Vertragsabschluss in den AGB die Kündigungsfrist von sechs auf vier Wochen verringert, ohne sich dazu die Zustimmung einzuholen, und dann mit vierwöchiger Frist gekündigt. Der Vertrag läuft nun zu den alten Konditionen weiter.

Martin Hamer aus Hamburg streitet hingegen weiterhin mit SE. Im Mai 2021 schloss er einen Gasvertrag, der einen Preis von 4,6 Cent pro Kilowattstunde (kWh) bis Ende 2023 garantierte, erzählt er. SE kündigte demnach den Vertrag zu Ende April 2022 – mit einer Frist von sechs Wochen. "Wir haben der Kündigung widersprochen und nach Erhalt der Endabrechnung die Aufrechnung mit dem uns bis zum Ende der vereinbarten Preisbindung entstehenden Schaden erklärt", berichtet Hamer. Er zahlt nun beim Hamburger Grundversorger Eon nach eigener Aussage 13 Cent pro kWh, ab November seien es 16,8 Cent. Insgesamt entstehe ihm so ein Schaden in Höhe von 1.600 Euro, verglichen mit einem Weiterlaufen des SE-Vertrags bis Ende 2023. Wenn die Gaspreise weiter steigen, erhöht sich der Schaden weiter.

"Die Verbraucherzentrale Hamburg hält das Vorgehen von SE und die Kündigung trotz Preisbindung mindestens für unlauter, kann aber keine verbindliche Rechtsauskunft geben", hält Hamer fest. Er wandte sich an die Schlichtungsstelle Energie, die von der Branche sowie dem Bundesverband der Verbraucherzentralen betrieben und von der Bundesregierung gefördert wird. Die stützte gegenüber Hamer die Auffassung von SE, wonach AGB, die einer Preisgarantie entgegenstehen, rechtens sind. Der gelackmeierte Ex-Kunde bekam laut eigener Aussage von SE mittlerweile eine Zahlung in Höhe von 100 Euro angeboten, um die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er lehnt das ab und will den ihm entstandenen Schaden notfalls einklagen. Seine Rechtsschutzversicherung sehe da eine Chance auf Erfolg, berichtet er.

Wer langfristig wirtschaftet, ist stabiler und seriöser

Die besagte Schlichtungsstelle Energie, deren Hauptaufgabe die Entlastung der Justiz ist, berichtet auf Anfrage von einer starken Zunahme der energierechtlichen Konflikte, die von Haushalten an sie herangetragen werden: Bis Ende August habe sie rund 13.000 Schlichtungsanträge erhalten, wohingegen es im gesamten Jahr 2021 nur rund 7.700 Anträge gewesen seien. Geschäftsführer Thomas Kunde führt aus: "Die Schwerpunktthemen der Schlichtungsanträge 2022 sind bisher: Schadensersatzansprüche der Verbraucher, beanstandete Preiserhöhungen, Sonderkündigungen nach Preiserhöhungen, Zustandekommen des Vertrages sowie Kündigung des Vertrages durch das Energieversorgungsunternehmen."

Wie oft Schwarzwald Energy mit seiner fragwürdigen Praxis betroffen war, will Kunde nicht sagen, denn das sei vertraulich. Im Juli allerdings teilte die Schlichtungsstelle Familie Hamer aus Hamburg schriftlich mit, es seien 85 Fälle. "In der großen Mehrzahl" war das Aushebeln der Preisgarantie durch SE der Grund für den Streit, ist da zu lesen. "Zahlreiche Konflikte" seien durch die von der Schlichtungsstelle angeregte Zahlung von 100 Euro beigelegt worden.

Nun gibt es aber überraschende Lichtblicke in der Düsternis des Energienepps und -wuchers. "In der gegenwärtigen Situation sind viele Grundversorger preiswerter, weil sie langfristige Verträge mit den Gasanbietern abgeschlossen haben", hielt etwa der MDR fest, als er kürzlich über einen Haushalt im Erzgebirge berichtete, dem die Firma Mitgas die Gas-Abschlagszahlung verzwölffachen wollte. Auch Martin Hamer aus Hamburg stellte, wie erwähnt, überrascht fest, dass er bei seiner Grundversorgung den billigsten Tarif bekam. Ähnlich ergeht es Thomas Grunde aus Stuttgart, der von Primastrom zur Grundversorgung gewechselt hat.

"Die Mehrheit der Grundversorger ist jetzt günstig", ist auch das Fazit von Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Das hatten wir noch nie." Bauers Einsicht ist nun: "Konservative Geschäftsführung ist jetzt das bessere Geschäftsmodell." Also langfristigeres Denken, wo nicht das Spekulieren auf kurzfristig erzielbare Margen auf den Energiemärkten im Vordergrund steht. Eine weitere Devise Bauers: "Die Verbraucher dürfen nicht mehr nur den Vergleichsportalen vertrauen – sie müssen sich selbst kümmern." Anders gesagt: Wer nur auf den Preis achtet, landet eventuell bei einer unseriösen Firma und dann irgendwann in der Patsche.

Ein weiteres Positivbeispiel laut Bauer: "Echte Ökostromanbieter", die also schon immer die Energiewende vorantreiben, ohne – wie Schwarzwald Energy – mit zweifelhaften ausländischen Ökostromzertifikaten zu arbeiten. "Die haben sich immer über die Qualität ihres Produkts definiert, und nicht über den Preis", erklärt der Energieberater. Solche langfristig denkenden Firmen seien nun ebenfalls weniger stark von den Turbulenzen auf den Energiemärkten betroffen.

Bauer will ungern Firmen empfehlen, aber Naturstrom dürfte eine der von ihm gemeinten sein. Seit ihrem bundesweiten Markteintritt 1999 erhält sie das Siegel "Grüner Strom Label", das das anspruchsvollste Ökostromzertifikat in Deutschland ist. Aufgrund des besonders unsicheren Ausblicks zu Jahresbeginn 2022 hat sich Naturstrom schon Ende Januar an den Märkten so eingedeckt, dass bis Jahresende der Bedarf der Kundschaft gesichert ist, teilt Firmensprecher Tim Loppe mit. Es war eine weise Entscheidung, denn seitdem sind die Preise immens gestiegen. Wie lange im Voraus sich Naturstrom typischerweise welchen Prozentsatz seines Strombedarfs auf dem Markt sichert, will Loppe nicht sagen – Geschäftsgeheimnis. Er hält nur fest: "Wir fangen bis zu drei Jahre vor Belieferung mit der Beschaffung an und erhöhen dann sukzessive die abgesicherten Mengen."

Klar ist aber auch: Je länger das Preisniveau auf den Weltmärkten so hoch bleibt wie jetzt, desto mehr Firmen werden die Preise stark erhöhen müssen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 27.09.2022
    Antworten
    Unseriös soll besonders teuer werden?
    „Die GROẞEN lässt man laufen, die kleinen…“ hier leicht verändert, und damit plausibel [1].
    1996 Nicole https://www.youtube.com/watch?v=AFRNzpjyFhc 3:20 Min.

    meta.tagesschau.de mit dieser Internetseite zum kommentieren: Wie ein Gaspreisdeckel funktioniert…
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