Eine Plattform wie nebenan.de funktioniert dagegen nach einem gebührenbasierten Geschäftsmodell. Bei der Plattform vostel beispielsweise geht es um die Vermittlung von Freiwilligen. "Es gibt konkrete Bedarfe und Bedingungen, denen die großen kommerziellen Plattformen des Silicon Valley nicht gerecht werden", betont Jeanette Hofmann. Dass manche dieser alternativen Plattformen für Werbung die Reichweite kommerzieller Plattformen wie WhatsApp nutzten müssen, bestätige nur deren Marktmacht und den Handlungsdruck, kleinere Anbieter stärker zu fördern.
Hofmann setzt sich gegenwärtig für die Gründung eines Dachverbands ein, um alternativen Plattformen wie betterplace, gut.org oder fairplaid mehr Gewicht zu geben. Außerdem beklagt die Expertin, dass das Gemeinnützigkeitsrecht ans digitale Zeitalter angepasst werden müsse. Plattformen hätten gegenwärtig kaum eine Chance, als gemeinnützig anerkannt zu werden.
Wie Jonas Pentzien bewertet auch Hofmann genossenschaftlich organisierte Plattformen mit dem Ziel einer gemeinwohlorientierten digitalen Ökonomie positiv. So habe airbnb als Alternative zu Hotelübernachtungen einen Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt ausgelöst. Dagegen sei fairbnb von Reisenden, Gastgebern und Kommunen als Genossenschaft getragen und füge sich in kommunale Strukturen ein.
Gegen digitalen Totalitarismus
Die Idee demokratisch verfasster Plattformen ist nicht neu. Die frühere SPD-Parteichefin und Arbeitsministerin Andrea Nahles hat den Vorschlag schon 2018 aufgegriffen als Instrument gegen Monopolbildung und "digitalen Totalitarismus". Das IÖW will, dass auch die öffentliche Hand alternative Plattformen aufbaut, wie das die Berliner Verkehrsbetriebe schon vor zwei Jahren mit Jelbi getan haben.
Die Entwicklung alternativer genossenschaftlicher Plattformen hat vor etwa einem halben Jahrzehnt eingesetzt. Das Konzept geht zurück auf Trebor Scholz, den Gründer des Instituts für kooperative digitale Ökonomie in New York. Schon 2014 hat er die Grundzüge des Plattform-Kooperativismus entwickelt als Grundlage einer neuen Art der sharing economy. Sind die ersten Plattform-Gründungen oft an zu viel Idealismus und zu wenig Geschäftssinn gescheitert, setzen sich seit etwa zwei Jahren verstärkt Geschäftsmodelle durch, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind.
Pentzien nennt als Beispiele Carsharing-Modelle im Südwesten Deutschlands. Mobicoop hat sich in Frankreich als Alternative zu BlaBlaCar entwickelt. In England habe sich equal Care coop im Pflegebereich etabliert und resonate als Alternative zu spotify. In Spanien bietet La Zona eine nachhaltige, regionale Alternative zu Amazon. Pentzien sieht in den neuen Entwicklungen die Möglichkeit für einen eigenständigen europäischen Weg, um wenigstens ein Stück digitale Souveränität zurückzuerobern. Auch Beckedahl von "netzpolitik.org" sieht darin eine realistische Chance für einen eigenständigen digitalen Weg in Europa. Die acht Milliarden Euro Haushaltsabgabe für öffentlich-rechtliche Anstalten könnten für den Aufbau alternativer Plattformen verwendet werden, schlägt er vor. Entwickelt auch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Dagegen investiert die Bundesregierung unter dem klingenden Namen Gaia-X-Projekt viel Geld in die Schaffung einer dezentralen und europäischen Cloudstruktur. Ziel der Initiative ist es, die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen IT-Anbietern und datengetriebenen, marktbeherrschenden Plattformen zu reduzieren. Was da unter Federführung der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften angekündigt wird, klingt nach einer großen Vision, deren Erfüllung noch fraglich ist. Grundsätzlich hält Beckedahl das Gaia-X-Projekt für einen richtigen Ansatz, der aber zehn bis 15 Jahre zu spät komme. Google & Co., sagt er, hätten auf diesem Feld einen uneinholbaren Vorsprung.
Die Ziele klingen verlockend: Die Idee einer digitalen Souveränität europäischer Prägung zielt auf eine Digitalisierung, die Wahlfreiheit lässt, die europäischen Rechts- und Wertvorstellungen folgt, sich der Welt öffnet und fairen Wettbewerb fördert. Das klingt gut. Aber sehr nach Wunschvorstellung.
1 Kommentar verfügbar
Tanja Tasche
am 08.05.2021nebenan.de ist wirklich eine schöne und geerdete facebook-Alternative.
Das aus meiner Sicht größte Potential sehe ich bei dem Online-Marktplatz von Kaufland. Es würde mich echt freuen, wenn das Projekt relevante Marktanteile zu Lasten des gelben Riesens…