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Online-Plattformen

Fairness in der digitalen Welt

Online-Plattformen: Fairness in der digitalen Welt
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Kann die Marktmacht der US-Internetgiganten gebrochen werden? Experten sagen: nein. Doch alternative digitale Plattformen beginnen, im Verborgenen zu blühen.

Online-Plattformen für Engagierte

In den vergangenen Jahren ist eine Reihe von Plattformen entstanden, die sich auf die Vermittlung von Engagierten und Engagement-Organisationen spezialisiert haben. Dazu gehören unter anderem vostel.de, helpteers oder spezialisierte Vermittlungsdienste wie CorrelAid oder youvo. Organisationen können hier Projekte und Programme einstellen und bewerben, für die Engagierte gesucht werden. Auch das Peng!-Kollektiv in Berlin richtet den Fokus auf alternative Plattformen, weil die eine bessere Kontrolle über digitale Aktivitäten ermöglichen. Die Gruppe von Künstlern, Aktivisten, Handwerkern und Wissenschaftlern in Berlin entwickelt subversive Aktionskunst für die Zivilgesellschaft. Mit RiffReporter ist eine journalistische Genossenschaft entstanden. Ihr Ziel ist es, freie Journalisten zu stärken. (rl)

In Zeiten von Corona boomt die Online-Branche. Online-Versandhändler wie Amazon fahren sagenhafte Gewinne ein. Der Service ist gut, ein paar Klicks genügen und die Ware liegt am nächsten Tag auf dem Tisch. Trotz Bedenken wegen schlechter Arbeitsbedingungen beim US-Konzern drücken die meisten immer wieder den Button "zahlungspflichtig bestellen". Auch der Anbieter Zoom hat mit seiner Plattform für Online-Konferenzen während der Pandemie ungeahnten Zulauf erhalten. Wer nutzt nicht gern den bequemen Service?

Digitale Plattformen gelten als Krisengewinner, die Plattformisierung der Ökonomie wird in diesen Zeiten für jeden greifbar. Kein Wunder, dass inzwischen eine Handvoll Unternehmen zu den fünf wertvollsten in den USA zählen. Amazon, Google und Facebook gehören dazu.

Doch nicht alle wollen sich der Übermacht der US-Konzerne beugen. Es entstehen Alternativen, oft noch im Verborgenen. Fairmondo ist solch ein Anbieter. Auf der Online-Plattform können KundInnen neue und gebrauchte Artikel kaufen, verkaufen, tauschen, verschenken oder leihen. Bevorzugt werden fair gehandelte, nachhaltige und qualitativ hochwertige Produkte. Da geht es nicht nur um Profit, sondern auch um Gemeinwohl.

Fairmondo wurde schon 2012 unter dem Namen Fairnopoly gegündet. Trotzdem gilt die Berliner Firma weiterhin als Startup. Die Macher verstehen ihr Unternehmen als Experiment, das – mit inzwischen 2.000 Beteiligten – als Genossenschaft organisiert ist. Ein Prozent des Verkaufserlöses wird an Initiativen gespendet, die sich gegen Korruption einsetzen. Die Bewertungen der Kunden sind noch durchwachsen. Beim Service hapere es noch, klagen NutzerInnen im Netz.

Markus Beckedahl, Chefredakteur von "netzpolitik.org", erkennt den guten Willen der GründerInnen, meint jedoch, dass Fairmondo das Pech habe, eine Art grünes Amazon zu sein, das dem ausgefeilten Service und dem riesigen Angebot des US-Riesen nicht genug entgegensetzen könne. Als ungeheuren Glücksfall dagegen bezeichnet Beckedahl den Erfolg von Wikipedia mit einer gemeinwohlorientierten Infrastruktur. Dahinter steht eine Stiftung, betrieben wird die Plattform von unzähligen Ehrenamtlichen auf lokaler Ebene.

Genossenschaftliche Plattformen unterstützen

Beckedahl weiß, wie groß die Startschwierigkeiten für neue alternative Plattformen sind. Am Anfang sind die Investitionen groß bei ungewisser Aussicht auf Erfolg. Allein ein schönes Nutzererlebnis zu schaffen kostet viel Geld. Es gilt in der Branche die Regel, dass die Attraktivität der Plattform mit der Anzahl der Nutzer steigt. Große Plattformen werden immer größer. Kleine haben es schwer, sich überhaupt zu etablieren, siehe Fairmondo. Experten wie Beckedahl fordern deshalb vom Staat Schützenhilfe.

Jüngst hat das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) den Vorschlag gemacht, genossenschaftlich organisierte Plattformen durch eine Änderung des Vergaberechts zu stärken. "Unserer Ansicht nach sollte man gemeinwohlorientierte Kriterien wie geteilten Besitz in die Vergaberichtlinien mit aufnehmen", erläutert Jonas Pentzien vom IÖW. Seit fünf Jahren befasst er sich mit Plattform-Kooperativen, ist glühender Anhänger gemeinwohlorientierter Strukturen. Je intensiver sich der 32-Jährige mit dieser Form der Plattformen befasst, umso spannender findet er es zu beobachten, wie hier NutzerInnen, BetreiberInnen und AnbieterInnen nach ihren Vorstellungen Plattformen ausgestalten und nicht ein Geschäftsmodell, wie beispielsweise bei Facebook, vorgegeben wird. Auch Beckedahl sieht die Plattform-Unabhängigkeit als große und bedeutende Aufgabe. Es seien enorme Investitionen nötig. Eine öffentliche Förderung hält er für unabdingbar.

Eine Nachfrage beim baden-württembergischen Wirtschaftsministerium zum Vorschlag des IÖW ergibt, dass die Verantwortlichen zwar die Wettbewerbsbedingungen der kleinen Anbieter verbessern wollen, zurzeit aber keine Veranlassung und keinen Hebel sehen, etwas zu ändern. Eine einseitige Bevorzugung genossenschaftlicher Plattformen sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, heißt es auf Anfrage. Ohnehin würde eine Reihe von nachhaltigen Kriterien bei den Vergaberichtlinien schon berücksichtigt – neben Preis und Kosten auch qualitative, umweltbezogene, innovative oder soziale Zuschlagskriterien.

Jonas Pentzien kritisiert, es werde zu einseitig auf gesetzliche Regelungen zur Eindämmung der Internet-Giganten gesetzt. Diese seien zwar nötig, aber bei weitem nicht ausreichend, um mehr digitale Eigenständigkeit zu erreichen. Das zeigt auch ein Blick auf die EU. Die versucht es momentan mit Regulierung, um US-Konzerne wie Facebook und Google in die Schranken zu weisen. Schon Ende des vergangenen Jahres wurden zwei Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Mit dem Digital Services Act sollen die Inhalte stärker reguliert und mit dem Digital Markets Act soll Wettbewerb gestärkt werden. Bis zur Verabschiedung werden wohl noch zwei Jahre vergehen.

Das Unbehagen wächst

Fachleute wie Pentzien verweisen aber auch darauf, dass sich in Deutschland und Europa digital schon mehr tut als es den Anschein hat. Das Unbehagen in der Bevölkerung gegenüber den Tech-Giganten wird größer. Das zeigt auch die jüngste Welle des Wechsels vom Messenger-Dienst WhatsApp zu Signal. Whatsapp teilt seine erhobenen Daten mit Facebook, um sie noch besser vermarkten zu können. Hinter Signal steht eine gemeinwohlorientierte Stiftung.

Die Coronakrise hat nach Ansicht von Pentzien die Problematik verschärft. "Einerseits werden wir immer abhängiger von digitalen Plattformen und gleichzeitig wird die Möglichkeit zur Teilhabe immer geringer", erklärt der Politikwissenschaftler. Der 32-Jährige sucht Antworten auf die Frage, wie "die digitale Plattformökonomie auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad gesetzt werden kann". In der Szene gilt er inzwischen als ausgewiesener Experte.

Er sieht in der Übermacht der großen Plattformen eine Gefahr für die Demokratie. So entscheide Twitter autonom, wer sich auf der Plattform äußern darf. Die Abschaltung eines Accounts, auch wenn es sich um den von Ex-US-Präsident Donald Trump handelt, sieht er kritisch. Auch Evelyne Gebhardt, verbraucherpolitische Sprecherin der SPD im EU-Parlament, hat sich kritisch geäußert. Die Parlamentarierin aus Baden-Württemberg bekräftigt auf Anfrage, dass "die Rechte der VerbraucherInnen sowohl online als auch offline stärker geschützt werden sollten".

"Auch wenn die großen internationalen Plattformen häufig im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, ist in ihrem Windschatten eine Vielzahl von kleinen Alternativen entstanden", schreibt Jeanette Hofmann im dritten Engagementbericht des Bundesfamilienministeriums aus dem vergangenen Jahr.

Die Professorin für Internetpolitik an der Freien Universität Berlin berät die Bundesregierung genauso wie internationale Organisationen. Sie ist der Überzeugung, dass es eine Chance gibt, wirtschaftlich funktionierende und vor allem auch gerechtere Gegenmodelle zur US-Übermacht zu entwickeln. Alternativen sieht sie im regionalen und lokalen Kontext, in Nischen, die die Großen nicht abdecken. Ein Beispiel ist nebenan.de. Eine Plattform rund um konkrete Angebote und Dienstleistungen in der eigenen Nachbarschaft. Im Gegensatz dazu streben die großen kommerziellen Plattformen mit ihren Algorithmen danach, den Markt weltweit zu dominieren. Dabei kommt ihnen der Netzwerkeffekt zugute: je größer eine Plattform ist, umso unwahrscheinlicher wird es, dass sich Konkurrenten im gleichen Bereich etablieren.

Derartige Monopole sind nur sehr schwer aufzubrechen. Hofmann warnt vor der Gefahr der Zentralisierung der Angebote, der Abhängigkeit von einzelnen Anbietern und einer Normierung des Handelns. So definiert bei Instagram zum Beispiel ein Ranking-Algorithmus, welche Fotos die größte Sichtbarkeit erhalten. Dadurch werde eine Reputationsökonomie befördert, die nicht nur das individuelle Handeln, sondern auch demokratische Entscheidungsprozesse beeinflussen könne.

Alternative Plattformen müssen gemeinnützig werden

Hofmann sieht den Knackpunkt in der Funktionsweise der Plattformen. Ein Unternehmen wie Facebook setzt auf die Monetarisierung von Daten der Nutzer – mit ihnen verdient der Konzern sein Geld. Der Besitz der Daten verspricht weitere Geschäftsmöglichkeiten, der Wert der Firmen steigt kontinuierlich.

Eine Plattform wie nebenan.de funktioniert dagegen nach einem gebührenbasierten Geschäftsmodell. Bei der Plattform vostel beispielsweise geht es um die Vermittlung von Freiwilligen. "Es gibt konkrete Bedarfe und Bedingungen, denen die großen kommerziellen Plattformen des Silicon Valley nicht gerecht werden", betont Jeanette Hofmann. Dass manche dieser alternativen Plattformen für Werbung die Reichweite kommerzieller Plattformen wie WhatsApp nutzten müssen, bestätige nur deren Marktmacht und den Handlungsdruck, kleinere Anbieter stärker zu fördern.

Hofmann setzt sich gegenwärtig für die Gründung eines Dachverbands ein, um alternativen Plattformen wie betterplace, gut.org oder fairplaid mehr Gewicht zu geben. Außerdem beklagt die Expertin, dass das Gemeinnützigkeitsrecht ans digitale Zeitalter angepasst werden müsse. Plattformen hätten gegenwärtig kaum eine Chance, als gemeinnützig anerkannt zu werden.

Wie Jonas Pentzien bewertet auch Hofmann genossenschaftlich organisierte Plattformen mit dem Ziel einer gemeinwohlorientierten digitalen Ökonomie positiv. So habe airbnb als Alternative zu Hotelübernachtungen einen Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt ausgelöst. Dagegen sei fairbnb von Reisenden, Gastgebern und Kommunen als Genossenschaft getragen und füge sich in kommunale Strukturen ein.

Gegen digitalen Totalitarismus

Die Idee demokratisch verfasster Plattformen ist nicht neu. Die frühere SPD-Parteichefin und Arbeitsministerin Andrea Nahles hat den Vorschlag schon 2018 aufgegriffen als Instrument gegen Monopolbildung und "digitalen Totalitarismus". Das IÖW will, dass auch die öffentliche Hand alternative Plattformen aufbaut, wie das die Berliner Verkehrsbetriebe schon vor zwei Jahren mit Jelbi getan haben.

Die Entwicklung alternativer genossenschaftlicher Plattformen hat vor etwa einem halben Jahrzehnt eingesetzt. Das Konzept geht zurück auf Trebor Scholz, den Gründer des Instituts für kooperative digitale Ökonomie in New York. Schon 2014 hat er die Grundzüge des Plattform-Kooperativismus entwickelt als Grundlage einer neuen Art der sharing economy. Sind die ersten Plattform-Gründungen oft an zu viel Idealismus und zu wenig Geschäftssinn gescheitert, setzen sich seit etwa zwei Jahren verstärkt Geschäftsmodelle durch, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind.

Pentzien nennt als Beispiele Carsharing-Modelle im Südwesten Deutschlands. Mobicoop hat sich in Frankreich als Alternative zu BlaBlaCar entwickelt. In England habe sich equal Care coop im Pflegebereich etabliert und resonate als Alternative zu spotify. In Spanien bietet La Zona eine nachhaltige, regionale Alternative zu Amazon. Pentzien sieht in den neuen Entwicklungen die Möglichkeit für einen eigenständigen europäischen Weg, um wenigstens ein Stück digitale Souveränität zurückzuerobern. Auch Beckedahl von "netzpolitik.org" sieht darin eine realistische Chance für einen eigenständigen digitalen Weg in Europa. Die acht Milliarden Euro Haushaltsabgabe für öffentlich-rechtliche Anstalten könnten für den Aufbau alternativer Plattformen verwendet werden, schlägt er vor. Entwickelt auch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Dagegen investiert die Bundesregierung unter dem klingenden Namen Gaia-X-Projekt viel Geld in die Schaffung einer dezentralen und europäischen Cloudstruktur. Ziel der Initiative ist es, die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen IT-Anbietern und datengetriebenen, marktbeherrschenden Plattformen zu reduzieren. Was da unter Federführung der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften angekündigt wird, klingt nach einer großen Vision, deren Erfüllung noch fraglich ist. Grundsätzlich hält Beckedahl das Gaia-X-Projekt für einen richtigen Ansatz, der aber zehn bis 15 Jahre zu spät komme. Google & Co., sagt er, hätten auf diesem Feld einen uneinholbaren Vorsprung.

Die Ziele klingen verlockend: Die Idee einer digitalen Souveränität europäischer Prägung zielt auf eine Digitalisierung, die Wahlfreiheit lässt, die europäischen Rechts- und Wertvorstellungen folgt, sich der Welt öffnet und fairen Wettbewerb fördert. Das klingt gut. Aber sehr nach Wunschvorstellung.


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1 Kommentar verfügbar

  • Tanja Tasche
    am 08.05.2021
    Antworten
    Ein spitzen Artikel, vielen Dank!

    nebenan.de ist wirklich eine schöne und geerdete facebook-Alternative.

    Das aus meiner Sicht größte Potential sehe ich bei dem Online-Marktplatz von Kaufland. Es würde mich echt freuen, wenn das Projekt relevante Marktanteile zu Lasten des gelben Riesens…
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