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Alarmstufe Rot

Kein Ton, kein Licht

Alarmstufe Rot: Kein Ton, kein Licht
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Immer größer die Bühnen, immer aufwendiger die Licht- und Soundshows. Doch jetzt sorgt Corona für leere Arenen und Hallen, die Umsätze der Veranstaltungsagenturen, Messebauer, Tontechniker sind auf Null. Nun trägt die Branche ihre Not auf die Straße und stellt fest: Das ist gar nicht so einfach.

Vorige Woche Mittwoch, fünf nach Zwölf: Wieder hat das Bündnis "Alarmstufe rot" zur Demo auf den Stuttgarter Karlsplatz gerufen. Abgesperrt ist er mit schwarz-gelbem Flatterband, rote Pappwürfel mit Slogans wie "Alarmstufe rot – Vernichtung von Arbeitsplätzen stoppen!", "Kreditprogramm anpassen" fallen ins Auge. Auf der kleinen Bühne steht neben dem Moderator Patrick Fischer (Dosoni-TV) ein großer Flachbildschirm, auf dem die Namen der Redner eingeblendet werden. Die Tonanlage funktioniert perfekt. Klar, wer, wenn nicht die Veranstaltungsbranche, sollte eine perfekte Kulisse kreieren können.

Auch inhaltlich ist man gut vorbereitet. Unternehmer erläutern, wie schwer die Lage für die Veranstaltungsfirmen ist, Solo-Selbstständige erzählen von ihrem Null-Einkommens-Schicksal und zwei CDU-Politiker sind auch da: der Backnanger Oberbürgermeister und OB-Kandidat für Stuttgart, Frank Nopper, sowie der CDU-Landtagsabgeordnete Claus Paal. Nopper spricht von Corona als "riesiger Herausforderung" und hofft, dass sich das Leben bald zum Besseren wendet. In Backnang soll im Oktober, trotz allem, ein Festival mit Hygienekonzept stattfinden, und auch den Weihnachtsmarkt will er irgendwie ermöglichen.

Das quittieren die 250 bis 300 Demo-TeilnehmerInnen mit Applaus. Die eher diesseits der 50 Jahre alten Frauen und Männer stehen diszipliniert mit Mundschutz und Abstand locker verteilt auf dem Platz. Es ist deutlich zu spüren, dass hier kein geübtes Protestvolk steht. Keine Buhs, keine Trillerpfeifen, kein Gejohle. Moderator Fischer versucht, die Leute zu motivieren: "Wir sind die, die im Hintergrund arbeiten. Wir sind es nicht gewohnt, uns selber in den Mittelpunkt zu stellen. Aber jetzt müssen wir lautstark auf uns aufmerksam machen!"

Ob laut oder leise – der Abgeordnete Paal vermisst vor allem klare Ansprechpartner. Er fordert die Branche auf, einen Dachverband zu gründen, um ordentliche Lobbyarbeit betreiben zu können. Ansonsten lobt er die Maßnahmen der Bundes- und der Landesregierung, aber große Hoffnung macht er nicht. Denn: "Der Staat kann nicht die gesamte Wirtschaft am Laufen halten." Sein Hilfsangebot mündet in der Offerte, Unterlagen über die staatlichen Hilfsprogramme zu verschicken, denn: "Viel wisst ihr gar nicht". So hat die Landesregierung jüngst ein Sonderprogramm für Schausteller, Veranstaltungsbranche und Taxigewerbe beschlossen, das direkte Kredit-Tilgungszuschüsse in Höhe von bis zu 150.000 Euro pro Firma ermöglicht.

Paal sagt, er freue sich auf das für den Nachmittag angesetzte Gespräch, in dem er den Branchenvertretern "Hilfe zur Selbsthilfe" geben wolle. Eine Idee kommt ihm spontan. Er kenne jemanden aus der Veranstaltungsbranche, berichtet er, der früher Autoverkäufer gewesen sei. "Das kann man ja vielleicht wieder machen." Das kommt nicht gut an und Moderator Fischer von Dosoni-TV kontert: "Wenn die Hilfsprogramme alle richtig funktionieren würden, müssten heute nicht so viele hier stehen." Schließlich hätten alle gesunde Unternehmen gehabt und seien unverschuldet in die Krise geraten. "Was uns jetzt hilft, ist Geld." Wenn er als Einzelunternehmer Hartz IV beantrage, sage ihm das Arbeitsamt: "Verkauf erstmal deine teure Technik." Wie aber solle er dann jemals wieder arbeiten können?

Business ist bedeutender als Kultur

Seit Mitte März liegt die Branche brach, weil wegen Corona Großveranstaltungen verboten sind. Am meisten schmerzt sie, dass wirtschaftsbezogene Veranstaltungen ausfallen, also Messen, Kongresse, Corporate Events, Markenerlebnis-Events, Verkaufsförderwettbewerbe, Mitarbeitermotivationsveranstaltungen, Produktpräsentationen. Denn all dies macht fast 90 Prozent des gesamten Veranstaltungsmarktes aus, erläutert eine nunmehr extra erstellte Studie des "Research Institute for Exhibition and Live-Communication" (RIFEL), das laut eigener Aussage "erste Forschungsinstitut der Live-Kommunikationsbranche auf internationaler Ebene". Demnach bringen Konzerte, Sport und andere öffentliche Veranstaltungen nur knapp zwölf Prozent des Umsatzes, der sich im vorigen Jahr insgesamt auf knapp 130 Milliarden Euro summierte. Alleine der Business-Veranstaltungsmarkt beschäftige 1,9 Millionen Menschen, heißt es. Deutschland sei weltweit Tagungsland Nummer 2 und mit knapp 180 internationalen und nationalen Messen Messeland Nummer 1.

Als wäre das noch nicht bedeutend genug, betonen die Studienverfasser ausführlich die gesellschaftliche Bedeutung. Unter der Überschrift "Gründe für die Beliebtheit von Business-Events in der Wirtschaft" wird behauptet: "Eine lebendige Demokratie und Mitarbeitermitbestimmung und –teilhabe in Unternehmen ist ohne Veranstaltungen ebenso wenig denkbar wie eine erfolgreiche soziale Marktwirtschaft." Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich.

Aber vielleicht ist einfach noch nicht erforscht, wie Motivationsveranstaltungen mit Zauberern oder Reisegutscheine für den besten Verkäufer zur Mitarbeitermitbestimmung beitragen. Sei's drum. Groß ist die Veranstaltungsbranche jedenfalls, und viele Menschen, die dort arbeiten, fürchten um ihr Einkommen.

Rabea Swoboda ist die Chefin von Keller Design, einem Messebauunternehmen aus der Nähe von Calw. Sie ist mit einigen ihrer 15 Beschäftigten auf den Karlsplatz gekommen, weil ihr das Wasser bis zum Hals steht. "Anfangs haben wir noch Corona-Trennwände gebaut. Aber das ist ja ein Tropfen auf den heißen Stein", erzählt Projektleiterin Corinna Friess, die seit fast zehn Jahren bei Keller Design arbeitet, dort schon gelernt hat. Jetzt habe man Angst vor Absagen von Veranstaltungen im Herbst. Denn selbst wenn geplante Messen in kleinerem Rahmen stattfinden könnten: "Die Kunden schränken gerade ihre Marketingsbudgets ein", so Friess. Zwar helfe das Kurzarbeitergeld, um die Beschäftigten noch zu halten, doch es blieben Fixkosten wie Miete und Instandhaltung. Dafür wollen sie von der Politik Geld. Und Swoboda macht sich Sorgen um Azubis. Sie hat einen, der wäre jetzt fertig. "Soll ich den übernehmen?" Auch dafür brauche sie finanzielle Unterstützung.

Keine Lobby für Unternehmer und Beschäftigte

Am meisten belastet die Demonstrierenden, dass sie keine Perspektive haben. "Dabei haben wir coronakonforme Konzepte für Veranstaltungen vorgelegt", sagt Thomas Epple. Er ist einer der Chefs der Neumann & Müller GmbH & Co. KG, die ihren Stammsitz in Esslingen am Neckar hat. Mit 800 Beschäftigten deutschlandweit ist sie der größte Branchen-Player in der Republik. Der großgewachsene Mann, der mit seinem gepflegten Bart an Protagonisten aus Barbershop-Werbeplakaten erinnert, ist schon oft in Indien gewesen. "Das verändert die Sicht." Epple hat sich nie für Politik interessiert, erzählt, dass er mal fünf Jahre lang keine Zeitung gelesen und keine Nachrichten gehört hat. "Das hat gut getan." Er war bei dem nachmittäglichen Gespräch mit dem CDU-Abgeordneten Paal dabei und ließ sich erläutern, dass die Branche einen Dachverband benötige. Es sei ihm nicht klar gewesen, bekennt er, "dass das so wichtig ist". Warum auch: Bis dato liefen die Geschäfte hervorragend. Und kurze wirtschaftliche Krisen habe man stets gut bewältigt. "Wir sind ja eine kreative Branche. Wir entwickeln immer Ideen. Aber jetzt?" Selbst seinem großen Unternehmen ginge nun langsam die Luft aus.  

Epple führt durch die 4.000 Quadratmeter des Esslinger Lagers. Hier reihen sich Traversen (Alu-Gitter-Träger) aneinander, Mischpulte, Lautsprecher, Kabel, Stahlseile, Scheinwerfer. Das werde alles jährlich geprüft, versichert Epple, "wir sind Sicherheitsspezialisten, "also können wir auch sichere Veranstaltungen managen." Das sei auch schon Politikern vorgeführt worden, allerdings habe er den Eindruck, dass sie glaubten, mehr Stimmen zu bekommen, "wenn sie Nein sagen als wenn sie differenziert vorgehen." Der Geschäftsführer hat das Problem, dass für sein großes Unternehmen einige Förderprogramme nicht greifen, weil diese nur für kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten und höchstens 50 Millionen Euro Jahresumsatz gelten. Auch die Azubi-Prämie, die der Bund aufgelegt hat, kann Neumann & Müller deswegen nicht beantragen.

Hat die Firma keine Rücklagen, wenn das Geschäft in den vergangenen Jahren so geboomt hat? Das schon, sagt Epple, "aber irgendwann ist halt Schluss." Er wünscht sich ein "flexibleres" Kurzarbeitergeld, das es seinen Leuten ermöglicht, eine gewisse Anzahl von Stunden trotzdem zu arbeiten. Zum Beispiel in der Instandhaltung oder im IT-Bereich, "weil wir ja neue Konzepte entwickeln müssen."

Betriebsräte sind hier unbekannt

Was würde wohl sein Betriebsrat dazu sagen? Bei Neumann & Müller nichts, weil es dort keinen gibt. Auch keine Tarifbindung. Epple sagt, er sei "wahnsinnig glücklich", dass sie weder Betriebsrat noch Tarif hätten. Und wie so oft werden auch hier Betriebsrat – auf den Beschäftigte ein gesetzliches Recht haben – und Tarifvertrag – für den Gewerkschaften zuständig sind – durcheinander gebracht. Doch offenbar gibt es in der gesamten Branche kein Verlangen nach gesetzlichen und/oder tariflichen Sicherheiten. Das ergeben Nachfragen bei der IG Metall, die zum Beispiel für Messebauer zuständig wäre, und bei Verdi, die im gesamten Dienstleistungsbereich aktiv ist. Betriebsräte, geschweige denn ein funktionierender Haustarifvertrag, sind nicht bekannt. "Das sind oft sehr kleine Firmen mit fünf bis 50 Beschäftigten", weiß Siegfried Heim von Verdi Baden-Württemberg. Aus solch kleinen Firmen würden sich auch in anderen Bereichen nur selten Mitarbeiter melden.  Dazu komme, dass die Veranstaltungsbranche verhältnismäßig jung sei und dort oft Menschen arbeiteten, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben und sich in ihrer Firma wie in einer großen Familie fühlten. Heim: "An die kommt man fast nicht ran."

Unter ihrem Motto "Alarmstufe Rot" rufen die Kapitalverschönerer nun an diesem Mittwoch (9. September) zur Groß-Demo nach Berlin auf. Zur Sitzungswoche des Bundestags wollen sie ihre Forderungen an die Politik übergeben. Angesichts der bislang verhältnismäßig mageren Teilnahme von Beschäftigten greift Thomas Epple für seine Leute in die Tasche. Die Reisekosten will er übernehmen.


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