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Vom Prüfer zum Geprüften

Vom Prüfer zum Geprüften
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Stephan Kranz prüfte für den TÜV Atomkraftwerke in Baden-Württemberg. Dann wechselte er den Arbeitsplatz zur EnBW Kernkraft GmbH Philippsburg. Über unorthodoxe Seitenwechsel in einer gefährlichen Branche.

Der TÜV verdient jedes Jahr viele Millionen mit der Prüfung von Atomkraftwerken – ein Geschäft, das keine Nachlässigkeiten verträgt. Schon ein kleiner Fehler beim Betrieb eines Reaktors kann verheerende Folgen für Mensch und Umwelt haben. Damit das nicht passiert, sollen unabhängige Sachverständige die kerntechnischen Anlagen in Deutschland, zu denen auch Zwischenlager, Forschungsreaktoren und abgeschaltete Meiler gehören, regelmäßig auf Herz und Nieren prüfen.

Aber wie unabhängig kann ein Prüfer prüfen, der plötzlich den Arbeitsplatz wechselt – vom Prüfunternehmen zum Kernkraftwerk? 

Nach dem Atomgesetz hat der Bund die Kompetenz für Sachverständigenprüfungen. Dieser delegiert die Aufsicht an die Länder. Die wichtigsten Prüfungen von Atomkraftwerken übernimmt der TÜV im Auftrag der Atomaufsichtsbehörden der fünf Bundesländer, in denen noch Reaktoren in Betrieb sind: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Prüfungen werden zunächst von den Landesumweltministerien bezahlt, die Betreiber müssen die Kosten dann erstatten; manchmal erfolgt die Abwicklung auch direkt über den Betreiber.

TÜV Süd im Visier von Ermittlern

Den Kuchen des Milliardengeschäfts mit Atomkraftwerksprüfungen teilen sich im Wesentlichen der TÜV Nord und der TÜV Süd. Letzterer prüft auch die baden-württembergischen Atomkraftwerke.

Pikant: Gegen drei Mitarbeiter des TÜV Süd ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts der Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug in einem besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft wirft den TÜV-Mitarbeitern vor, der Immobiliengruppe S & K Gefälligkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben, die eine erhöhte Seriosität und Werthaltigkeit der S & K Gruppe gegenüber Anlegern und Vertrieben suggerieren sollten. S & K steht im Zentrum eines Betrugsskandals, bei dem es um eine dreistellige Millionensumme geht. Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Anfrage erklärte, sei eine tatsächliche "Prüfung" bei der S & K Unternehmensgruppe durch den TÜV Süd "nicht erkennbar und auch nicht erfolgt". Für die "Bescheinigungen" des TÜV Süd zahlte die S & K Gruppe nach Angaben der Staatsanwaltschaft mehr als 90 000 Euro. Der TÜV Süd bestreitet die Vorwürfe.

Was die Prüfung deutscher Atomkraftwerke betrifft, gelangte eine Arbeitsgruppe des Bundesumweltministeriums in einem internen Papier bereits vor mehreren Jahren zu dem Schluss, die "an den TÜV delegierte Verantwortung" nehme dieser "überhaupt nicht wahr". Wegen der lang laufenden Verträge sei "eine finanzielle Abhängigkeit der Sachverständigenorganisation" von den AKW-Betreibern entstanden, die eine "Unabhängigkeit der Begutachtung" beeinträchtige und sich "auf die Arbeit des einzelnen Sachverständigen auswirken" könnte.

Über die Jahre ist ein enges Verhältnis nicht nur zwischen Atomaufsicht und TÜV entstanden, sondern auch zwischen TÜV und Atomkraftwerksbetreibern. Dies ist mit Blick auf die Unabhängigkeit von Prüfungen problematisch. Nun wird bekannt, dass es sogar Fälle gab, in denen TÜV-Sachverständige unmittelbar zum AKW-Betreiber wechselten. Nach Recherchen der Kontext:Wochenzeitung hat es vier Fälle gegeben, in denen TÜV-Sachverständige nahtlos in den Dienst eines Atomkraftwerksbetreibers traten.

So wechselte der langjährige Sachverständige der TÜV Süd Energietechnik GmbH, Stephan Kranz, eigenen Angaben im Karrierenetzwerk Xing zufolge in die Sicherheitsanalyse der "EnBW Kernkraft GmbH, Philippsburg". Zuvor war Kranz beim TÜV im Rahmen atomrechtlicher Verfahren tätig und führte Sachverständigentätigkeiten aus, die alle EnBW-Atomkraftwerke in Baden-Württemberg betrafen, also Neckarwestheim 1 und 2, Obrigheim und die beiden Kernkraftwerke in Philippsburg, wo Kranz jetzt für die EnBW tätig ist.

Mit sofortiger Wirkung freigestellt

Den Seitenwechsel des Philippsburg-Prüfers Kranz hielt der TÜV Süd zumindest für so relevant, dass er diesen der baden-württembergischen Atomaufsicht meldete, "mündlich" am "18. 11. 2013", wie es dort heißt. Wie lange zuvor Kranz beim TÜV Süd kündigte, kann man beim Ministerium nicht sagen. Nach der Mitteilung einigten sich der TÜV und das Ministerium darauf, dass Kranz "mit sofortiger Wirkung von den Sachverständigentätigkeiten in Bezug auf die Anlagen der" EnBW Kernkraftwerk GmbH "entbunden" wird, so das Umweltministerium. Nach seiner Kündigung war Kranz seinen Angaben zufolge noch mindestens drei Monate lang beim TÜV Süd beschäftigt. Auf eine Anfrage zu diesem Vorgang äußert sich Kranz nicht. Alle Sachverständigenaussagen von Kranz seien, so das Ministerium, "einer erneuten fachlichen Überprüfung unterzogen" worden. Diese nahm die Atomaufsicht allerdings nicht selbst vor, sondern überließ sie dem TÜV Süd. 

Auch der langjährige TÜV-Süd-Prüfer Steffen Vonderau wechselte laut seinem Xing-Profil zur EnBW, wo er für die "EnBW Kernkraft GmbH Philippsburg" tätig ist. Zuvor führte er Sachverständigentätigkeiten aus, die die von EnBW betriebenen Atomkraftwerke Philippsburg und Obrigheim betrafen.

Wann die ehemaligen TÜV-Sachverständigen ihren Arbeitsvertrag bei der EnBW unterschrieben und wann sie zuletzt als TÜV-Sachverständige im Zusammenhang mit einem EnBW-Kernkraftwerk tätig waren, war weder von diesen selbst noch vom TÜV Süd, noch vom Umweltministerium zu erfahren. Bei der EnBW heißt es, man könne "zu personenbezogenen Daten grundsätzlich keine Angaben machen". Ein TÜV-Süd-Sprecher erklärte auf Anfrage, man könne Fragen zu diesem Komplex "leider nicht beantworten". Das Umweltministerium beschwichtigt, Vonderau, der nach seinen Angaben im September 2009 zur EnBW wechselte, habe nach seiner Kündigung im Juni 2009 "weitgehend", also nicht die ganze Zeit, "Urlaub und Freizeitausgleich genommen und im Übrigen nur noch Routinetätigkeiten ausgeführt". Es habe dazu eine Kommunikation mit dem TÜV gegeben, "wohl nur mündlich" und auch hier "nicht aktenkundig". Wann Vonderau zuletzt als Sachverständiger für Philippsburg und Obrigheim tätig wurde, kann das Ministerium ebenso wenig sagen – "mangels Aktenlage". 

Der Physiker und Jurist Wolfgang Renneberg, Professor am Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien, bis 2009 Chef der Atomaufsicht im Bundesumweltministerium und einer der angesehensten Experten für Reaktorsicherheit, findet die Zwischenphasen der Seitenwechsler auf Anfrage "kritisch".

Ein Sachverständiger der TÜV Nord SysTec GmbH & Co. KG, zuständig im Bereich Kerntechnik, wechselte nach eigenen Angaben zu Vattenfall Europe Nuclear Energy. Ob der ehemalige TÜV-Sachverständige schon bei Vattenfall unterschrieben hatte, als er noch beim TÜV prüfte, war weder von Vattenfall noch von dem früheren Prüfer selbst zu erfahren. Man dürfe zu "Details von Beschäftigungsverhältnissen von Mitarbeitern sowie zu deren Lebensläufen keine Stellung nehmen", so ein Vattenfall-Sprecher. Ein anderer Sachverständiger der TÜV Nord SysTec wechselte nach eigenen Angaben zur Eon Kernkraft GmbH, Brokdorf.

Eine Sprecherin des TÜV Nord teilte auf Anfrage nur allgemein mit, man prüfe fortlaufend, "ob Interessenkonflikte bestehen". Könne ein solcher auftreten, stelle man "durch geeignete Maßnahmen eine frühzeitige Auflösung von erkennbaren Konfliktsituationen sicher, wie z. B. das Abziehen des Sachverständigen von bestimmten Projekten oder Freistellungen".

Von dem Betroffenen war keine Stellungnahme zu erhalten. Auch Eon äußert sich nicht. Bei einem Geschäft, in dem es um die Sicherheit von Millionen Menschen geht, würde man mehr Transparenz erwarten.


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1 Kommentar verfügbar

  • Blender
    am 06.07.2016
    Antworten
    An sich ist es nicht verwerflich, wenn jemand bei ENbw arbeitet der sich mit AKWs auskennt. Allerdings besteht,die Gefahr, dass die Geschäftsführung von ihm eher wissen will wo die Lücken der Kontrolle sind, um dort zu sparen, statt Probleme auszumerzen. Als Tüv Prüfer war er zwar auch nicht total…
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