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Zyniker und Philanthropen in Hellas

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Zehntausende Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten versauern in griechischen Flüchtlingsgettos. Die auffälligsten Sammelstellen des politischen Versagens will Athen nun verlagern ins Hinterniemandsland der Provinz. Ein Bericht von den Abgründen der Politik und der Hilfe der kleinen Leute.

Wenn auf der Erde die Liebe herrschte, wären alle Gesetze entbehrlich.
(Aristoteles, 384 bis 322 v. Chr.)

An Großsprechern hat es in Hellas' Historie selten einmal gefehlt. Manch Tausende Jahre alter Klassiker geistert noch heute durch die Geschichtsbücher. Schwätzer haben eher kürzere Halbwertszeiten. Panagiotis "Panos" Kammenos, nationalistischer Rechtsaußen und Regierungspartner von Ministerpräsident Alexis Tsipras, gehört wohl eher letzterer Kategorie an. Der griechische Verteidigungsminister hatte im vergangenen Jahr der EU und ausdrücklich Deutschland noch gedroht, Europa mit Flüchtlingen zu überschwemmen.

Von einer aus Griechenland gesteuerten Menschenflut kann allerdings heute kaum noch die Rede sein. Kammenos musste mittlerweile erkennen, dass er am kürzeren Hebel sitzt. Die balkanischen Nachbarländer haben kurzerhand die Grenzen dichtgemacht – mit freundlicher finanzieller Hilfe aus Mitteleuropa. Inzwischen müssen Kammenos' Soldaten Flüchtlingslager aus dem Boden stampfen.

Die Zeit drängt. Im Hafen von Piräus ist der Druck groß. Vielleicht ist die Not im verschlammten Idomeni an der Nordgrenze des Landes größer, aber das zählt weniger. Die Sommersaison steht bevor. Die Tourismusindustrie hofft nach 2015 auf ein erneutes Rekordjahr. Die Hafenkais müssen dann gesäubert sein von den Biwaks der Elenden aus Syrien, Irak oder Afghanistan. Wenn die Luxusliner anlegen, will man den Passagieren vor dem Landgang nicht den Anblick dieses Elends zumuten.

Flüchtlinge mit Geld dürfen in Griechenland bleiben

Zynisch? Ja sicher, aber so hört sich der Sound einer politischen Kaste an. Obermilitär Kammenos mag ein Dampfplauderer sein, aber was soll man vom Kabinettskollegen Dimitris Mardas halten? Der stellvertretende Außenminister und Abgeordnete der Syriza machte vor wenigen Tagen den Flüchtlingen aus Syrien ein seltsames Angebot. Wer 250 000 Euro in griechische Immobilien investiert, so der habilitierte Wirtschaftswissenschaftler, dürfe zu besseren Bedingungen in Hellas bleiben. Derselbe Mardas hat übrigens unlängst die Schadensersatzansprüche Griechenlands aus dem Zweiten Weltkrieg gegenüber Deutschland auf 279 Milliarden Euro beziffert. Wenn rhetorisch gar nichts mehr geht, geht immer noch was gegenüber den ehemaligen Besatzern.

Aus ausgelassenen Fabrikhallen oder Kasernen werden nun die Camps für die an der Ägäis-Küste Gestrandeten. In der ostmakedonischen Kreisstadt Drama wird derzeit ein ehemaliges Institut für die Erforschung der Tabakpflanze zum Flüchtlingsheim umgerüstet. Eine alte Lagerhalle weit vor den Toren der Stadt beherbergt bereits 300 Menschen. Der technische Angestellte Lukas koordiniert die Hilfe für das Camp. "Alles haben die Menschen aus den umliegenden Dörfern vorbeigebracht: Essen, Medizin, Windeln. Es war so viel. Wir wussten am Anfang gar nicht, wohin damit." Warum sind diese materiell armen Menschen großzügiger als die Betuchten? Für Lukas liegt der Schlüssel für die Hilfsbereitschaft in Drama, auf Lesbos oder Chios in der Geschichte der Helfer. "Unsere Großväter und Großmütter waren meistens selber Flüchtlinge – vertrieben nach dem Ersten Weltkrieg von den Türken aus Kleinasien, der Gegend um Konstantinopel oder von der Schwarzmeerküste. Die Flüchtlinge von heute sind auf denselben Straßen oder Meeren unterwegs."

Dauer-Haft?

Von den 50 000 registrierten Männer, Frauen und Kindern wollen nach einer aktuellen Umfrage zwar nur 0,4 Prozent in Griechenland Asyl beantragen. Aber was passiert mit den Menschen, die nicht unter den Rücktransport-Deal mit der Türkei fallen, wenn die Grenzen nach Norden weiter dicht bleiben? Dauerhaft in Griechenland? Das sei wohl ein frommer Wunsch der "Europäer", meint Lukas. Einige würden vielleicht bleiben. Es gebe auch viele orthodoxe Christen unter den Syrern und Irakern, bei denen die Integration leichter falle. Aber die meisten lassen sich eben doch nicht aufhalten. "Die finden Wege. Wenn nicht über Skopje, dann über Albanien und Italien." Mit "Skopje" meint Lukas – und mit ihm eine überparteiliche Einheitsfront von ganz rechts bis ganz links – die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.

"Makedonia is Greece." Dieser Slogan prangt seit Jahrzehnten überall in Griechenland und vor allem im Norden der Republik. Und so kann sich ein Deutscher durchaus und meistens gefahrlos als Merkel-Fan oder Schäuble-Versteher outen, aber man sollte sich hüten, in der sogenannten Makedonien-Frage Sympathien für die nördlichen Nachbarn zu artikulieren. In Thessaloniki, der Metropole Makedoniens, haben Demos zu diesem Thema immer noch Konjunktur. An der Paralia, der Uferstraße zwischen dem städtischen Wahrzeichen Weißer Turm und Hafen, haben nationalistische Ultras zum Umzug aufgerufen. 150 Gestalten, darunter auch durchaus gut gekleidete Rentner, schwenken Fahnen und singen Lieder zur Leitmelodie "Griechenland den Griechen".

In Sichtweite, im städtischen Museum im Weißen Turm, hält eine Grundschullehrerin nur eine Stunde später die Gegenrede zu diesen Parolen. Die Viertklässler erfahren von Frau Konstantina, dass Thessaloniki schon seit Jahrhunderten offen und großzügig zu Neuankömmlingen war. So haben Ende des 15. Jahrhunderts die osmanischen Herrscher die aus dem katholischen Spanien vertriebenen Juden mit offenen Armen empfangen. Zehntausende sogenannte Sephardim siedelten sich in Thessaloniki an und verhalfen der Stadt zu noch größerem Wohlstand. Vor hundert Jahren waren es die Armenier, die auf der Flucht vor türkischer Verfolgung Asyl in der Hafenstadt erhielten.

Nur wenige Kilometer entfernt von Weißem Turm und Demos von Ultra-Chauvinisten tagt Ende März ein Tourismus-Kongress. In dem Veranstaltungsgebäude mit viel Glas und freiem Blick aufs Meer trumpft der Vertreter einer Edel-Hotelanlage groß auf. Das vergangene Jahr war schon spitze, und dieses Jahr soll es noch besser werden. Die Gäste des Ressorts auf dem Peloponnes schweben per Helikopter ein und bleiben von womöglich lästigen Beschwernissen des griechischen Alltags vollkommen abgeschirmt. Das Ambiente hat seinen Preis. Ab 2000 Euro pro Nacht ist jeder Fremde willkommen. Höchstpreis: 25 000 Euro. Es soll Menschen geben, so der Hotelier, denen es dort so gut gefällt, dass sie sich nach dem ersten Aufenthalt als Dauergast einkaufen.

Es kann für Fremde also wirklich schön sein in Griechenland. 


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7 Kommentare verfügbar

  • Frank-Michael Lange
    am 04.05.2016
    Antworten
    Im Artikel steht von allem etwas und von allem nichts…Trotzdem, wie immer bei Fritz Schwab, flott geschrieben und eine gelungene kurze und prägnante Analyse des Geschehens, hier in Sachen Flüchtlinge im Kontext Griechenland! Man könnte leider als Zyniker auch mit den Worten von Wolfgang Port noch…
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