Die Zeit drängt. Im Hafen von Piräus ist der Druck groß. Vielleicht ist die Not im verschlammten Idomeni an der Nordgrenze des Landes größer, aber das zählt weniger. Die Sommersaison steht bevor. Die Tourismusindustrie hofft nach 2015 auf ein erneutes Rekordjahr. Die Hafenkais müssen dann gesäubert sein von den Biwaks der Elenden aus Syrien, Irak oder Afghanistan. Wenn die Luxusliner anlegen, will man den Passagieren vor dem Landgang nicht den Anblick dieses Elends zumuten.
Flüchtlinge mit Geld dürfen in Griechenland bleiben
Zynisch? Ja sicher, aber so hört sich der Sound einer politischen Kaste an. Obermilitär Kammenos mag ein Dampfplauderer sein, aber was soll man vom Kabinettskollegen Dimitris Mardas halten? Der stellvertretende Außenminister und Abgeordnete der Syriza machte vor wenigen Tagen den Flüchtlingen aus Syrien ein seltsames Angebot. Wer 250 000 Euro in griechische Immobilien investiert, so der habilitierte Wirtschaftswissenschaftler, dürfe zu besseren Bedingungen in Hellas bleiben. Derselbe Mardas hat übrigens unlängst die Schadensersatzansprüche Griechenlands aus dem Zweiten Weltkrieg gegenüber Deutschland auf 279 Milliarden Euro beziffert. Wenn rhetorisch gar nichts mehr geht, geht immer noch was gegenüber den ehemaligen Besatzern.
Aus ausgelassenen Fabrikhallen oder Kasernen werden nun die Camps für die an der Ägäis-Küste Gestrandeten. In der ostmakedonischen Kreisstadt Drama wird derzeit ein ehemaliges Institut für die Erforschung der Tabakpflanze zum Flüchtlingsheim umgerüstet. Eine alte Lagerhalle weit vor den Toren der Stadt beherbergt bereits 300 Menschen. Der technische Angestellte Lukas koordiniert die Hilfe für das Camp. "Alles haben die Menschen aus den umliegenden Dörfern vorbeigebracht: Essen, Medizin, Windeln. Es war so viel. Wir wussten am Anfang gar nicht, wohin damit." Warum sind diese materiell armen Menschen großzügiger als die Betuchten? Für Lukas liegt der Schlüssel für die Hilfsbereitschaft in Drama, auf Lesbos oder Chios in der Geschichte der Helfer. "Unsere Großväter und Großmütter waren meistens selber Flüchtlinge – vertrieben nach dem Ersten Weltkrieg von den Türken aus Kleinasien, der Gegend um Konstantinopel oder von der Schwarzmeerküste. Die Flüchtlinge von heute sind auf denselben Straßen oder Meeren unterwegs."
Dauer-Haft?
Von den 50 000 registrierten Männer, Frauen und Kindern wollen nach einer aktuellen Umfrage zwar nur 0,4 Prozent in Griechenland Asyl beantragen. Aber was passiert mit den Menschen, die nicht unter den Rücktransport-Deal mit der Türkei fallen, wenn die Grenzen nach Norden weiter dicht bleiben? Dauerhaft in Griechenland? Das sei wohl ein frommer Wunsch der "Europäer", meint Lukas. Einige würden vielleicht bleiben. Es gebe auch viele orthodoxe Christen unter den Syrern und Irakern, bei denen die Integration leichter falle. Aber die meisten lassen sich eben doch nicht aufhalten. "Die finden Wege. Wenn nicht über Skopje, dann über Albanien und Italien." Mit "Skopje" meint Lukas – und mit ihm eine überparteiliche Einheitsfront von ganz rechts bis ganz links – die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.
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Frank-Michael Lange
am 04.05.2016