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Internationale Deutsche Bodybuilding-Meisterschaft

Geschmeidiges Granit

Internationale Deutsche Bodybuilding-Meisterschaft: Geschmeidiges Granit
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 Fotos: Julian Rettig 

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Sie verwandeln ihre Körper in lebendige Skulpturen: Bei der Internationalen Deutschen Bodybuilding Meisterschaft in Wiesloch zeigen sich die größten Muskelberge der Republik verblüffend grazil.

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Es ist die wahrscheinlich schmackhafteste Hantel der Welt: Die Kinder von Nabil Benmeziane haben Mitleid mit ihrem Vater bekommen, weil der Verzehr von Süßspeisen in der Wettbewerbsvorbereitung völlig ausgeschlossen ist. Also haben sie für den Moment gebastelt, wenn Papa endlich wieder darf. Das Resultat ist eine Hantel in Alufolie, verziert mit Schokoriegeln. Benmeziane freut sich sichtlich, gerade wurde er auf der Internationalen Deutschen Meisterschaft im Bodybuildung zum Gesamtsieger in der Kategorie "Männer Physique" gekrönt – und als Titelträger betont er pflichtschuldig, dass er nicht alle Snickers auf einmal verschlingen werde. 

Wer aus seinem Körper eine wandelnde Skulptur machen will, hat schlechte Chancen, wenn er oder sie dabei die Ernährung vernachlässigt. Bodybuilding ist ein Hobby, das Hingabe einfordert: Um Muskelschwund vorzubeugen, braucht es viele Proteine, einige Athlet:innen vertilgen deshalb ungefähr ein halbes Kilo Huhn pro Tag. Allerdings hat es sich als Mythos herausgestellt, dass tierische Proteine den menschlichen Leib eher zum Lehrmaterial für anatomische Studien machen als pflanzliche. Und so breitet sich die fleischfreie Ernährung als Trend in der Szene aus. Ernährungspläne können durchaus ein paar individuelle Präferenzen berücksichtigen, kein Muskelberg muss zum Frühstück zwangsläufig 20 rohe Eier trinken. Gemeinsame Klammer bei der Nährstoffaufnahme bleibt aber: Bounty, Mars und Twix sind für dicke Muskeln nix. 

Ein Athlet, der seinen Namen lieber nicht im Zusammenhang mit diesem Akt der Zügellosigkeit lesen möchte, packt, kurz nachdem ihm jemand eine Medaille um den Hals gehängt hat, zwei Hefezöpfe aus und inhaliert einen davon in Sekundenschnelle. Davor, verrät er, war er sechs Monate abstinent. Michaela Pitzner kann es sich hingegen noch nicht genehmigen, sich gehen zu lassen. Sie ist zwar gerade Internationale Deutsche Meisterin in der Kategorie Fitness Figur geworden. Aber es steht dieses Jahr noch ein Wettbewerb in Rom an, ihr zehnter in diesem Jahr – "und danach erst mal Pizza!", strahlt sie voller Vorfreude. 

Verena Kentzia macht seit etwa einem Jahr richtig ernst. Fitness war ihr schon immer wichtig, sie hat auch schon viel länger trainiert. "Aber nicht so diszipliniert." Ihre größte Motivation dabei ist, ihren zwei Kindern zu zeigen, wie sich durch große Anstrengungen ambitionierte Ziele erreichen lassen. Auch wenn das in etwa so zeitaufwändig wie ein zweiter Vollzeitjob ist. "Wir Mädels trainieren an fünf Tagen in der Woche", sagt sie über sich und ihre Mitstreiterinnen. Das kremple schon das ganze Leben um. Da müsse man lange vorausplanen. Gut durchdachtes Training ist besonders wichtig, weil bei der Bewertung von Muskelpartien Kriterien wie Symmetrie und Proportionen eine entscheidende Rolle spielen. "Manche haben alles", sagt sie, "andere haben gute Beine, guten Bauch, keinen Po." Bei ihrer ersten Internationalen Deutschen Meisterschaft ist Kentzia in der Disziplin "Fitness Figur II über 165 CM" auf dem fünften Platz gelandet. Das motiviert sie, sich im nächsten Jahr noch härter anzustrengen und einen Titel zu gewinnen. 

Selbstoptimierung ohne Konkurrenzdenken

Aber was soll das überhaupt sein, eine Internationale Deutsche Meisterschaft? Das erklärt Guido Falk, Geschäftsführer beim Deutschen Bodybuilding- und Fitnessverband (DBFV). Der Name habe einen historischen Hintergrund: Den DBFV gebe es nämlich schon seit 1966 und Bodybuilding sei seit jeher unter Gastarbeitern beliebt. Es hätte dann aber die inländischen Befindlichkeiten zu sehr gekränkt, wenn ein Italiener zum Deutschen Meister geworden wäre. Daher haben sie die Internationale Deutsche Meisterschaft ins Leben gerufen, bei der man auch ohne Staatsangehörigkeit Titel abräumen kann. 

Falk organisiert die Meisterschaften mit, die 2025 ihr 20-jähriges Jubiläum am Standort Wiesloch feiern, immer im Kongresszentrum Palatin. Das hat den Vorzug, erläutert Falk, dass es hier auch ein großes Hotel gibt, in dem "die ganze Bodybuilding-Familie unterkommt". Fast 200 Athleten und Athletinnen haben am vergangenen Samstag in Wiesloch ihre Körper präsentiert, das Publikum ist nicht viel größer. Auffällig war dabei, wie sehr Fleiß, Disziplin und Selbstoptimierung dabei im Bodybuilding als Tugenden gelten – und zugleich nicht zu einem Konkurrenzdenken führen, das Mitbewerber:innen nicht einmal das Schwarze unter den Nägeln gönnt. Vielmehr hat es den Eindruck, dass die Pumperinnen und Pumper sich gegenseitig bekräftigen und anspornen. Bei der Medaillenvergabe leer auszugehen, hat keinerlei Tobsuchtsanfälle ausgelöst, ganz überwiegend sieht es danach aus, als ob die Unterlegenen ihren Kontrahent:innen den Triumph aufrichtig gönnen.

Falk sagt, das Bodybuilding mache man ja auch nicht gegen andere, sondern für sich selbst: um an sich zu arbeiten, die Grenzen des Möglichen Schritt für Schritt zu verschieben. Im Profi-Bereich ist Doping dabei extrem geläufig. Der Arzt Luitpold Kistler, der zu den Nebenwirkungen von Steroiden forscht, geht sogar davon aus, dass der Anteil von Anabolika-Konsument:innen im Hochleistungs-Bodybuildung bei 100 Prozent liegt. "Schauen Sie sich die Muskelpakete bei 'Mister Olympia' an: Das ist anders nicht machbar", sagte er im Interview mit dem "Spiegel". 

Wenn der Trizeps zu Tränen rührt

Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft treten allerdings Amateure an, Guido Falk hofft darauf, dass die Quote hier deutlich niedriger ist. Ziel von Fitness sei doch eigentlich, einen gesunden und sportlichen Lebensstil zu fördern, die beste Version seiner selbst zu verwirklichen. Steroide bergen jedoch etliche Gefahren für die Gesundheit bis hin zu einem drastisch erhöhten Risiko, an einem plötzlichen Herztod zu sterben, auch im jungen Alter. Bei ihren Meisterschaften würden alle Teilnehmenden auf externe Merkmale untersucht, etwa die typische Anabolika-Akne. Auf der Website des DBFV heißt es dann weiter, der Verband führe auch flächendeckende Dopingkontrollen durch – mit dem Zusatz: "Wenn eine Subventionierung erfolgt". Da die Kasse eher klamm ist, lässt sich wohl nicht ausschließen, dass in Wiesloch die eine oder der andere nachgeholfen haben könnte. 

Reich zu werden, ist vermutlich der schlechteste Vorsatz, um mit dem Bodybuilding anzufangen. Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft wird ein Titel je nach Kategorie mit 300 bis 1.000 Euro Preisgeld belohnt. In den Vorjahren gab es gar nichts. So lassen sich keine Karrieren finanzieren. Wenn das Hobby zum Beruf werden soll, muss daher meistens der Körper zur Werbefläche werden. Viele Athlet:innen verdienen sich ein Zubrot, indem sie als Fitness-Influencer:innen auf Social Media Marken wie TopTan bewerben: eine Creme für den Körper in der "Farbe des Erfolgs", die die Haut der Athlet:innen in Brathähnchen-Braun strahlen lässt. 

Mit Beauty-Produkten werden die Astralkörper bühnenfertig gemacht, für die extra Portion Glanz greifen Frauen und Männer auf Babyöl und Honig zurück. Visagist:innen sorgen für den letzten Feinschliff. Dann, beim Posen vor dem Publikum, ist es an der Zeit, die Früchte der monatelang praktizierten Disziplin zu ernten. Verblüffend leichtfüßig und geschmeidig setzen sich die Muskelberge in Szene, tänzeln grazil zu gefühlsbetonter Pop-Musik wie Adeles "Skyfall". Und als ein Athlet die Resultate seiner Anstrengungen in der sogenannten seitlichen Trizepspose demonstriert, schallt es aus dem Publikum mit brüchiger Stimme und den Tränen nah: "Jaaaaa, das ist unser Junge!"

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