Diesen Kurs verfolgt Habeck im Wahlkampf weiter. Mag er auch im salbungsvollen Kirchentagssprech das "Bündnis" propagieren, mag er auch im Habitus sanfter und in der Rhetorik weniger schneidig als Merz & Co. sein, so ist er doch dem Wärmepol seiner Bienenstockpartei entflogen und kämpft sich wie ein John Rambo – natürlich nach einem Critical-Masculinity-Coaching – alleine durch den Wahlkampfdschungel: die Ärmel auf Pressefotos hochgekrempelt, den Dreitagebart als Signum des hart arbeitenden Mannes im Gesicht (Krise! Keine Zeit für tägliche Rasur!), mitunter gar gewandet in eine Bomberjacke, wenngleich eine dünne. Dieses Kleidungsstück wollte die SPD-Bundesfamilienministerin Christine Bergmann 2001 an deutschen Schulen verbieten, da es ein eindeutig rechtsextremes Symbol sei. Und kaum war die Ampel Geschichte, kaum war Trump wiedergewählt, da kehrte Habeck zurück auf Elon Musks Mikrobloggingplattform X, das sozialmediale rote Tuch für Feministinnen, Linke, Postkolonialitätsbewegte & Co. Er wagte sich heroisch in den libertären Sündenpfuhl und steht dort seitdem seinen Mann. "Speak softly and carry a big stick" – Theodore Roosevelts Motto könnte auch für Robert Habeck gelten.
Es geht um Handfesteres als Identität
Mehr noch – ist der redliche Robert nicht irgendwie auch eine zeitgenössische Ausgabe des Philosophenkönigs? Bekanntlich wollte Platon, dass die intellektuelle Elite die Geschicke lenkt, denn er hielt sie für unbestechlich. Habeck umflort ein wenig die Aura dieses Philosophenkönigtums, präsentiert er sich doch als weiser, umfassend gebildeter und einsichtiger Intellektueller, der kraft seines Geistes über den Dingen steht und deshalb als einziger dafür sorgen kann, dass es doch noch zu einem "Bündnis" der im Lande verschreckt herumwimmelnden Identitätshorden kommen kann. Wenn es etwas gibt, das in der Antike als "männlich" galt, dann war es neben dem Held der Philosophenkönig. Frauen und Softies waren für den Job definitiv nicht vorgesehen.
Deshalb greift es zu kurz, in Habeck einfach nur ein CO2-neutrales Exemplar des "Neuen Mannes" im Sinne des effeminierten Softies zu sehen und daraus die Ablehnung durch rechte und konservative Kreise abzuleiten. Riefe er sanft, in eine pinkfarbene Tunika gehüllt, einen Kinderwagen schiebend und allerlei Fehler eingestehend: Atomkraft! Ausländer aus! Gendern ist Terror!, so applaudierten sie ihm wohl, wie sie der lesbischen Alice Weidel trotz ihrer Multikulti-Familie und ihrem globalistischen Goldman-Sachs-Hintergrund applaudieren.
Das 21. Jahrhundert ist im Umbruch, die Karten im globalen Machtspiel werden neu verteilt, die Identitäten, die Zugehörigkeiten und ihre wahrnehmbaren Formen sind allenfalls in den medial befeuerten Kulturkämpfen eindeutig. Unsere unübersichtliche Übergangszeit ist in Tat und Wahrheit voller überraschender Konstellationen: Die AfD-Führung ist ein identitätspolitisch perfekt gecastetes Duo (Mann – Frau, Handwerker – Akademikerin, Homosexuelle – Heterosexueller, West – Ost etc.); Frauen gelangten in den letzten Jahren in auffallend vielen konservativen und rechten Parteien in Spitzenpositionen, ob in Frankreich, Italien, Deutschland, Polen oder Argentinien; Merkel wirkte in ihrer unprätentiösen, nüchternen, bodenständigen Art wie eine Garantin für friedvolles Zusammenleben, wäre aber mit George W. Bush in den Krieg gezogen, konzentrierte selbst wohlwollenden Biografen zufolge die Macht im Kanzleramt, marginalisierte das Parlament und leistet mit ihrer postpolitischen Art der Landesverwesung der Postdemokratie Vorschub; der heutige Kanzlerkandidat der deutschen Grünen wiederum postet auf X, will die Bundeswehr aufrüsten und überlässt nicht mehr, wie es seine Parteidoktrin eigentlich vorsieht, einer Frau den Vortritt.
Zu allem Überfluss hat sich die Ehefrau des konservativen Kanzlerkandidaten Merz karrieretechnisch in einer Männerdomäne behauptet und waltet seit geraumer Zeit als Richterin sowie Amtsgerichtsdirektorin. Die Ehefrau des grünen Kanzlerkandidaten indes schreibt im Eigenheim Bücher, gibt Creative-Writing-Kurse, organisiert Hauskonzerte. Auch hier: alles nicht so eindeutig, wie es scheinen könnte. Vor diesem Hintergrund gehören die Diskussionen über Männlichkeitsbilder und Kulturen der Männlichkeit genau da hin – in den Hintergrund. Sie sind mitnichten unerheblich, aber es geht heute um sehr viel handfestere politische Fragen.
Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte im Departement Fine Arts der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und regelmäßiger Gastdozent an der Kunsthochschule Poznań, Polen. Seine Essays erscheinen unter anderem in der "Zeit", NZZ, FAZ und "Camera Austria". Seit 2003 ist er Sänger und Bassist des Metal-Duos Malmzeit und betreibt einen Heavy-Metal-Lieferservice.
8 Kommentare verfügbar
Friedlieb
am 20.02.2025der Habeck hat es geschafft, meine Gasrechnung zu verdoppeln. Aber Sie heizen sicher mit der heißen Luft, die von Berlin her weht.