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Männlichkeit und Politik

Der Softie mit dem Stahlhelm

Männlichkeit und Politik: Der Softie mit dem Stahlhelm
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Schlägt dem grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck Ablehnung entgegen, weil er einen neuen, sanfteren und selbstkritischeren Typus Mann verkörpert? Wenn es doch nur so einfach wäre!

Ein "Wuschelbär" also. So nannte der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz seinen grünen Konkurrenten Robert Habeck kürzlich im Unendlichen Podcast der Wochenzeitung "Die Zeit". Der Spottname sollte wohl insinuieren, dass Habeck zwar durchaus ein Bär sei, aber halt kein echter, sondern eine harmlose Spielzeugvariante desselben. Nett, jaja, aber nicht ernst zu nehmen. Für die große Politik, wo mit harten Bandagen gekämpft wird, doppelt ungeeignet.

In Gendertheorie-sensibilisierten Ohren schrillen da die Alarmglocken. Ist das Wuschelbärbild nicht eine ziemlich fiese Chiffre für ein ziemlich archaisches Männerbild? Hier der starke, aggressive Mann als echter Bär, dort der effeminierte Mann als Schrumpfbär – ein wuscheliges, gar kuscheliges Steifftier? Könnte die teils schroffe Ablehnung, die Habeck in Teilen der um die natürliche Ordnung besorgten Bevölkerung entgegenschlägt, damit zusammenhängen, dass er einen neuen, sanften Männertypus verkörpert? Einen, der trotz des Aufstiegs des Softies seit den 1970er-Jahren bei einer Mehrheit der Deutschen, zumindest der deutschen Männer, noch nicht salonfähig ist?

Vor allem jetzt, da das feine Porzellan all der Diskussionen über Symbole, Identitäten, Schreib- und Sprechweisen auf dem harten Boden materieller Verteilungskämpfe zu zerschellen droht, könnte es scheinen, als feiere der alte Typus Mann unweigerlich Urständ: Der Softie war nur ein Epiphänomen softer Zeiten! Man konnte ihn sich erlauben, solange es die Umstände erlaubten. Denn in Wahrheit sind es die Umstände, die regieren. Werden die Zeiten härter, kehrt auch der harte Mann zurück. Er weint nicht, er diskurriert nicht einfühlsam herum, er hängt nicht sanftäugig an Küchentischen ab, er schreibt keine Kinderbücher, er gesteht nicht zerknirscht Fehler ein, er handelt.

Wäre dem so, hätten wir es im Wahlkampf mit einer nachgerade idealtypischen Kontrastkonstellation zu tun: hier der schneidige Herr Merz, der direkt einer Neocon-Zigarrenlounge der 1980er entstiegen zu sein scheint, dort der sensible Postandrozentrist Habeck, der Joanna Russ' feministischem Roman "The Female Man" (1975) entsprungen sein könnte. Macho und Softie, rechts und links, gestern und heute, wie aus dem Bilderbuch! Aber ist es wirklich so einfach? Ein paar gute Gründe sprechen dagegen, die Kanzlerkonkurrenz auf das vordergründig schlüssig wirkende binäre Genderschema herunterzubrechen. Je präziser die Problembeschreibung und die Problemanalyse, desto erfolgversprechender fallen die Problemlösungsversuche aus.

Weiche Männer gibt es auch rechts

Im 21. Jahrhundert ist es weniger denn je möglich, Haltungen, Mentalitäten und Ideologien an bestimmten Formen, eingedenk Umgangsformen, abzulesen. Was soft wirkt, kann hart sein und umgekehrt. Gerade die Neue Rechte hat sich seit den 1960er-Jahren immens pluralisiert, was ihre Erscheinungsformen anbelangt. Man denke nur an den kanadischen Psychologen und Influencer Jordan Peterson, einen Star des liberal- und rechtskonservativen Spektrums. In vielerlei Hinsicht verkörpert Peterson den soften "Neuen Mann": Er spricht öffentlich über seine psychischen Probleme, er ist eminent emotional, er weint sogar vor laufender Kamera, er kann nicht ohne seine Familie sein und er ist ein bekennender Kätzchenstreichler, sogar auf offener Straße. Diese Seelenöffnung hin zum Weichen ist es doch, was Progressive seit Dekaden fordern! Gleichzeitig hält Peterson das traditionell männlich konnotierte Rationale und Logische hoch (IQ rules!) und vertritt maskulinistisch-konservative Positionen, die zwar nicht im strengen Sinne rechtsradikal sind, aber in Teilen anschlussfähig an das Milieu.

Umgekehrt ist Arnold Schwarzenegger zwar ein Macho, der noch im hohen Alter fette Poser-Autos fährt, mit seinen Buddys Gewichte pumpt, teure Zigarren pafft, Bodybuilding-Wettbewerbe veranstaltet und Geldmachen geil findet (im neuen Jahrtausend ist er in den Milliardärsclub aufgestiegen). Seitdem er aber Trump kritisiert, sich gegen Putin stellt und für Umweltschutz eintritt, ist er für diejenigen Rechten, die in ihm einst einen Gewährsmann sahen, ein Verräter. Allen Muskeln, allen Hummer Jeeps, allem Machotum zum Trotz. Die Formen und die mit ihnen traditionell assoziierten Inhalte klaffen weit auseinander.

Die heutige Rechte akzeptiert durchaus die "weichen Seiten" des Mannes – solange sie sich für die eigenen ideologischen Ziele einspannen lassen. Nicht der softe Habeck'sche Habitus, sondern die konkreten politischen Positionen, die er vertritt, stoßen auf Widerstand. Wäre das nicht so, dann würde die Neue (und alte) Rechte neben aus ihrer Sicht effeminierten Männern wie Habeck schon gar keine Frauen in Machtpositionen akzeptieren. Das aber hat sich geändert. Ob Le Pen, Meloni, Weidel im Rechtsaußen-Milieu oder Thatcher, Merkel, Kemi Badenoch im (liberal-)konservativen Milieu – die Kombination "weiblich", "mächtig" und "rechts" ist kein Widerspruch mehr.

Was die rechten Männer betrifft, so könnte die zweite Amtszeit Trumps für den sogenannten Westen zwar eine Zäsur bedeuten. Doch in den letzten Jahrzehnten schadete ein allzu martialisch-maskulinistisch-machistisches Auftreten der rechten Sache im Westen eher, als es ihr nützte, rief es doch Erinnerungen an den Horror der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wach. Man denke nur an den onkeligen Vordenker der Neuen Rechten, den Franzosen Alain de Benoist. Der Befürworter gradueller Meta-Politik vermeidet seit den späten 1960er-Jahren tunlichst Assoziationen an das Brutale, Militaristische und Militante. Seine Diktion ist gepflegt, sein Auftreten höflich, seine Argumentation geschliffen, sein Äußeres unverdächtig. Im Gegensatz zur alten Rechten, die im Hund ihr soldatisches Totemtier fand, umgibt sich de Benoist mit Katzen.

Ein Softie mit Mackergetue

Würde es nicht um konkrete politische Positionen gehen (Steuern, Energiegewinnung, Migration, Grenzschutz, Meldestellen, Staatsquote etc.), sondern nur um weltbildkonforme Verkörperungen von Männertypen, dann hätten Rechte jüngst sogar Anlass gehabt, ihre Robertophobie abzulegen. Denn Habeck war der erste prominente deutsche Politiker, der sich einen Stahlhelm aufsetzte, in die Ukraine fuhr, sich ein Bild vor Ort machte und forderte, zum Entsetzen der friedensbewegten Teile seiner Partei, man müsse Waffen statt nur Worte liefern. Als der "Wuschelbär" das tat, hockte der krawattierte Traditionsmännerbestand von SPD und CDU gemütlich im windschiefen "Haus Europa" und erging sich in posthistorischen Autosuggestionsübungen: Es werde schon nicht so schlimm kommen, wie es längst gekommen war.

Habeck war Avantgarde und sah, was andere, vermeintlich "Männlichere" oder "Härtere", nicht sahen, weil sie sich feige vor der Realität wegduckten. Das idealistische Vorfeld der Grünen und die Pazifistifundis seiner Partei verprellte er. Damit verkörpert der Spitzengrüne im Grunde den prototypischen, also männlich konnotierten, Helden, wie ihn G. W. F. Hegel charakterisierte: Der Held reißt sich los von der Gruppe, macht sein eigenes Ding, setzt neue Werte und geht neue Wege.

Diesen Kurs verfolgt Habeck im Wahlkampf weiter. Mag er auch im salbungsvollen Kirchentagssprech das "Bündnis" propagieren, mag er auch im Habitus sanfter und in der Rhetorik weniger schneidig als Merz & Co. sein, so ist er doch dem Wärmepol seiner Bienenstockpartei entflogen und kämpft sich wie ein John Rambo – natürlich nach einem Critical-Masculinity-Coaching – alleine durch den Wahlkampfdschungel: die Ärmel auf Pressefotos hochgekrempelt, den Dreitagebart als Signum des hart arbeitenden Mannes im Gesicht (Krise! Keine Zeit für tägliche Rasur!), mitunter gar gewandet in eine Bomberjacke, wenngleich eine dünne. Dieses Kleidungsstück wollte die SPD-Bundesfamilienministerin Christine Bergmann 2001 an deutschen Schulen verbieten, da es ein eindeutig rechtsextremes Symbol sei. Und kaum war die Ampel Geschichte, kaum war Trump wiedergewählt, da kehrte Habeck zurück auf Elon Musks Mikrobloggingplattform X, das sozialmediale rote Tuch für Feministinnen, Linke, Postkolonialitätsbewegte & Co. Er wagte sich heroisch in den libertären Sündenpfuhl und steht dort seitdem seinen Mann. "Speak softly and carry a big stick" – Theodore Roosevelts Motto könnte auch für Robert Habeck gelten.

Es geht um Handfesteres als Identität

Mehr noch – ist der redliche Robert nicht irgendwie auch eine zeitgenössische Ausgabe des Philosophenkönigs? Bekanntlich wollte Platon, dass die intellektuelle Elite die Geschicke lenkt, denn er hielt sie für unbestechlich. Habeck umflort ein wenig die Aura dieses Philosophenkönigtums, präsentiert er sich doch als weiser, umfassend gebildeter und einsichtiger Intellektueller, der kraft seines Geistes über den Dingen steht und deshalb als einziger dafür sorgen kann, dass es doch noch zu einem "Bündnis" der im Lande verschreckt herumwimmelnden Identitätshorden kommen kann. Wenn es etwas gibt, das in der Antike als "männlich" galt, dann war es neben dem Held der Philosophenkönig. Frauen und Softies waren für den Job definitiv nicht vorgesehen.

Deshalb greift es zu kurz, in Habeck einfach nur ein CO2-neutrales Exemplar des "Neuen Mannes" im Sinne des effeminierten Softies zu sehen und daraus die Ablehnung durch rechte und konservative Kreise abzuleiten. Riefe er sanft, in eine pinkfarbene Tunika gehüllt, einen Kinderwagen schiebend und allerlei Fehler eingestehend: Atomkraft! Ausländer aus! Gendern ist Terror!, so applaudierten sie ihm wohl, wie sie der lesbischen Alice Weidel trotz ihrer Multikulti-Familie und ihrem globalistischen Goldman-Sachs-Hintergrund applaudieren. 

Das 21. Jahrhundert ist im Umbruch, die Karten im globalen Machtspiel werden neu verteilt, die Identitäten, die Zugehörigkeiten und ihre wahrnehmbaren Formen sind allenfalls in den medial befeuerten Kulturkämpfen eindeutig. Unsere unübersichtliche Übergangszeit ist in Tat und Wahrheit voller überraschender Konstellationen: Die AfD-Führung ist ein identitätspolitisch perfekt gecastetes Duo (Mann – Frau, Handwerker – Akademikerin, Homosexuelle – Heterosexueller, West – Ost etc.); Frauen gelangten in den letzten Jahren in auffallend vielen konservativen und rechten Parteien in Spitzenpositionen, ob in Frankreich, Italien, Deutschland, Polen oder Argentinien; Merkel wirkte in ihrer unprätentiösen, nüchternen, bodenständigen Art wie eine Garantin für friedvolles Zusammenleben, wäre aber mit George W. Bush in den Krieg gezogen, konzentrierte selbst wohlwollenden Biografen zufolge die Macht im Kanzleramt, marginalisierte das Parlament und leistet mit ihrer postpolitischen Art der Landesverwesung der Postdemokratie Vorschub; der heutige Kanzlerkandidat der deutschen Grünen wiederum postet auf X, will die Bundeswehr aufrüsten und überlässt nicht mehr, wie es seine Parteidoktrin eigentlich vorsieht, einer Frau den Vortritt. 

Zu allem Überfluss hat sich die Ehefrau des konservativen Kanzlerkandidaten Merz karrieretechnisch in einer Männerdomäne behauptet und waltet seit geraumer Zeit als Richterin sowie Amtsgerichtsdirektorin. Die Ehefrau des grünen Kanzlerkandidaten indes schreibt im Eigenheim Bücher, gibt Creative-Writing-Kurse, organisiert Hauskonzerte. Auch hier: alles nicht so eindeutig, wie es scheinen könnte. Vor diesem Hintergrund gehören die Diskussionen über Männlichkeitsbilder und Kulturen der Männlichkeit genau da hin – in den Hintergrund. Sie sind mitnichten unerheblich, aber es geht heute um sehr viel handfestere politische Fragen.


Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte im Departement Fine Arts der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und regelmäßiger Gastdozent an der Kunsthochschule Poznań, Polen. Seine Essays erscheinen unter anderem in der "Zeit", NZZ, FAZ und "Camera Austria". Seit 2003 ist er Sänger und Bassist des Metal-Duos Malmzeit und betreibt einen Heavy-Metal-Lieferservice.

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8 Kommentare verfügbar

  • Friedlieb
    am 20.02.2025
    Antworten
    Ach Peter,
    der Habeck hat es geschafft, meine Gasrechnung zu verdoppeln. Aber Sie heizen sicher mit der heißen Luft, die von Berlin her weht.
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