Adam hängt nackt in seiner Höhenhängematte, als er hungrig, aber träge von Eva einen Apfel verlangt, den sie ihm nur dank Räuberleiter zureichen kann. Peng! Sofort kracht der Verdammungsspruch Gottes auf sie nieder – expressiv hingedonnert von der kleinwüchsigen Schauspielerin Saioa Alvarez Ruiz in Papstmontur, die vom Arm eines Roboterkranes gehalten wird (der sie später auch virtuos durch die Luft wirbeln lässt). Ja, Eva, böses Weib: verführt den nichtsahnenden Adam und muss zur Strafe ab jetzt unter Schmerzen gebären und sich dem Mann unterwerfen. Das ist Florentina Holzingers spezifischer Humor: die Vertreibung aus dem Paradies als lächerliche Willkür zu entlarven und gleichzeitig das eigene Tun ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Adam (natürlich gespielt von einer Frau) findet seine Textilfreiheit plötzlich peinlich, derweil es auf der Bühne munter weitergeht mit dem Nackttanz.
Scham? Nein, es geht hier um Nacktheit als legere Freiheitsgeste wider die Körpernormen. Außerhalb des Theaters (im Film oder in Magazinen) werden nackte Körper ja nur gezeigt, solange sie perfekt sind. Diesem Druck setzte das Theater des 20. Jahrhunderts immer wieder aus Protest die nackte Wahrheit entgegen. So auch Holzinger. Wobei speziell der entblößte weibliche Körper nach wie vor provoziert, ja aggressiv wirken kann. Weil es um Selbstermächtigung geht: sich als Frau auch enthüllt zu zeigen, wenn der Körper nicht der männlich fantasierten Norm entspricht. Und es geht Holzinger auch immer darum, Körper bei der Arbeit zu zeigen – abseits jeder Pornografie. Im Gegensatz zu vielen anderen Regisseur:innen, die von ihren Schauspieler:innen die Entblößung einfordern, steht sie zudem immer, auch während der Aufführungen, selbst nackt mit auf der Bühne. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.
Es ist jedenfalls ein klasse Coup der Staatsoper Stuttgart, sich dem neuesten Projekt von Florentina Holzinger, die international längst zu den prägenden choreografierenden Theatermacherinnen zählt, kooperativ angeschlossen zu haben. Nach Schwerin und den Wiener Festwochen durfte ihre Performance "Sancta" also jetzt in Stuttgart ihre dritte Premiere feiern.
Kurzoper dient als Show-Intro
Der Abend beginnt mit Paul Hindemiths Kurzoper "Sancta Susanna". Sie wurde 1922 für die Stuttgarter Oper geschrieben, wo sie aber aus Skandalfurcht nie zur Aufführung kam. Im Libretto des Expressionisten August Stramm geht's um eine Gruselstory weiblicher Lustunterdrückung: Von Frühlingsgefühlen und dem Liebesgetändel eines Pärchens im Klostergarten erweckt, wird sich die junge Nonne Susanna ihrer sexuellen Begierden bewusst, die sich schließlich am Klosterkirchenkruzifix an der Figur des gekreuzigten Jesus entladen. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Körperlichkeit und Sexualität als satanischer Frevel.
8 Kommentare verfügbar
Aphrodite
am 13.10.2024An welchem Detail genau wurden diese Menschen "weiblich gelesen"? Spielten die üblichen "weiblich gelesenen" Ganserers und Kellermanns auch mit?
Schon interessant, daß ein eigentlich interessanter Text über eine emanzipatorische Bühnenvorführung dann…