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Ausstellung "Frei Schwimmen"

Im Becken der Gesellschaft

Ausstellung "Frei Schwimmen": Im Becken der Gesellschaft
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Weit mehr als nur Abkühlung und Badespaß: Seit es öffentliche Schwimmbäder gibt, sind sie auch Schaubühne moralischer Fragen. In seiner aktuellen Sonderausstellung erkundet das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, wie Bäder unser gesellschaftliches Miteinander widerspiegeln.

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Sehen und gesehen werden, dazu gehören oder ausgeschlossen sein, den eigenen Körper zeigen oder doch lieber verbergen. Wer heiße Sommernachmittage gerne auf der Wiese im Freibad verbringt, hat sich vielleicht schon mal selber gefragt, ob der neue Bikini wirklich so gut sitzt wie im TikTok-Video, oder ob man sich die Eintrittskarte mal wieder unter unangenehmen Blicken aufgrund der eigenen Hautfarbe gekauft hat.

Schon diese kurze Auflistung zeigt: Im Freibad geht es nicht nur um Abkühlung, Wassersport und Planschspaß, vielmehr zeigen wir beim Baden, wie wir als Gesellschaft zusammenleben und welche moralischen Fragen uns dabei prägen. Genau diesem Aspekt widmet sich noch bis zum 14. September das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart. Die Ausstellung "Frei Schwimmen – Gemeinsam?!" erkundet, wie Frei- und Hallenbäder das soziale Miteinander widerspiegeln – und wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt und verändert hat.

200 Jahre Schwimmgeschichte

An das ausländerfeindliche Banner, das im Juli 2023 im Stuttgart-Untertürkheimer Inselbad von Mitgliedern der rechtsextremen Gruppe "Reconquista21", ehemals "Wackre Schwaben", aufgehängt wurde, kann sich Sebastian Dörfler, Kurator der Ausstellung, noch gut erinnern. Damals wurden Freibäder immer wieder Schauplätze von Krawallen und Gewalttaten. Laut Medienberichten sollen daran auch junge Männer mit Migrationshintergrund beteiligt gewesen sein. Rechte Gruppierungen nutzten diese Vorfälle für eigene Zwecke und verzerrte Interpretationen.

"Remigration für sichere Freibäder" stand auf dem Transparent der rechten Gruppe im Inselbad, erzählt Dörfler. "Für uns war das der Auslöser." Eineinhalb Jahre später öffnete die Ausstellung, die ihr Thema schon in der Gestaltung aufgreift: Der blaue Boden mit den weißen Bahnenmarkierungen erinnert an ein Schwimmbecken. Und so laufen die Besucher:innen durch einen unterwasserartigen Denkraum über gesellschaftliches Miteinander an Badeorten.

Die Schau blickt auf über 200 Jahre deutsche Schwimmgeschichte zurück, vom Kaiserreich über das NS-Regime bis in die Gegenwart. Dabei wird deutlich: Inklusion spielte in Bädern lange nur eine zweitrangige Rolle. "Früher ging man eben in das Bad seiner jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe", erklärt Dörfler. Das Fürstenbad für Wohlhabende, das Armenbad für Bedürftige, ein verdecktes Bad für Kriegsversehrte, ein Damen- und ein Herrenbad.

Gemeinsam oder doch getrennt?

Während das Thema öffentliche Gesundheit im 19. Jahrhundert zunehmend in den Fokus rückte, galten Badeanstalten vor allem als Orte der Körperhygiene. Allerdings strikt nach Geschlechtern getrennt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs schwammen Männer, Frauen und sogar Ehepaare ausschließlich in getrennten Becken. Ab den 1920er-Jahren entwickelte sich jedoch eine recht freizügige Badekultur. In der lockeren Badebekleidung und dem entspannten Umgang zwischen den Geschlechtern erkennt Dörfler viele Parallelen zu heutigen Gepflogenheiten.

Trotz der Liberalisierung betreibt das Freiburger Lorettobad – das 1841 zunächst als Herrenbad und ab 1886 dann als Damenbad eröffnet wurde – bis heute ein exklusives Frauenbecken, ein Rückzugsort für viele seiner Besucherinnen (Kontext berichtete). Mit der Verbindungstür zwischen seinem Familien- und Damenbereich hat das Freibad auch seinen Platz in der Ausstellung gefunden. Nicht zufällig befindet sich dieser gleich neben dem Bereich Sexismus, ergänzt Kurator Dörfler. "Wir wollten damit eben hinterfragen, woher überhaupt der Wunsch kommt, sich abzugrenzen und unter sich zu bleiben."

Eine Frage des Geschlechts

Im Stettener Freibad, in dem 6.000-Einwohner-Ort im Remstal bei Stuttgart, hat Eberhard "Ebbe" Kögel während seiner 13-jährigen Tätigkeit als Bademeister bei Kindern und Jugendlichen zahlreiche sich verändernde Verhaltensmuster beobachtet. Mädchen seien heute im Alter von sieben oder acht Jahren oft "bewegungsbegabter" als Jungen – und meist auch bessere Schwimmerinnen, analysiert er. "Bei uns im Freibad hatten wir große Ringe, auf die sich die Kinder aus dem Wasser hochziehen und draufsetzen konnten. Jungs taten sich damit oft schwer, viele Mädchen schafften das in einem Schwung."

Kögel führt das auf die häufig noch geschlechtsspezifische Sportauswahl der Kinder zurück. Während viele Jungen in dem Alter Fußball spielen, besuchen viele Mädchen Ballettunterricht oder Turnen – Sportarten, die alle Muskelgruppen trainieren und Körperbeherrschung vermitteln. Das helfe bei Bewegungen im Wasser und beim Schwimmen. Doch mit der Pubertät kehre sich der Trend um. "Gerade im Schulschwimmunterricht ist es dann ganz schwierig, Mädchen zu motivieren", bedauert Kögel. "Die Mädchen, die vorher gut waren, werden plötzlich schlechter. Andere Dinge treten dann bei ihnen in den Vordergrund."

Schwimmen und Glauben vereinen

Ein Grund ist, dass bei manchen Religion und Traditionen eine stärkere Rolle spielen. Während seiner Zeit im Hallenbad begegnete Kögel immer wieder Schulklassen, in denen beispielsweise Mädchen türkischer Herkunft nicht am Schwimmunterricht teilnehmen durften, weil ihre Eltern es untersagten.

Seit 2014 gibt es diese Möglichkeit allerdings nicht mehr. Das baden-württembergische Kultusministerium hat seitdem Befreiungen vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen abgeschafft. Auch das Verwaltungsgericht Freiburg bestätigte im April 2025 diese Linie und wies die Klage einer Familie aus einer christlichen Glaubensgemeinschaft, die ihre Kinder vom Schwimmunterricht abmelden wollte, zurück. Als Kompromisslösung für muslimische Schülerinnen gilt laut Kultusministerium der Burkini.

Ein solcher Ganzkörperbadeanzug ist ebenfalls Teil der Ausstellung und hat das Kurator:innenteam besonders beschäftigt. "Es ist ja eigentlich ein Symbol für Integration", meint Dörfler. "Denn die Frau, die einen Burkini trägt, will mitschwimmen, ganz egal mit wem. Strengen islamischen Auslegungen widerspricht das völlig."

Wenn Freibäder zu "Integrationsmaschinen" werden

Für Ebbe Kögel sind Freibäder und Integration ohnehin längst untrennbar miteinander verbunden. Statt nur Freizeit- und Erfrischungsorte zu sein, können sie zu "Integrationsmaschinen" werden, sagt er. Es seien Begegnungsorte, an denen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten zusammenkommen – Einheimische, Zugezogene oder Geflüchtete. Wie das Schwimmbad geführt wird, sei dafür entscheidend. "Eine Willkommenskultur entsteht nicht von allein, man muss aktiv daran arbeiten. Und die Aufsichtführenden spielen dabei eine zentrale Rolle."

Ein Badegast ist ihm ganz besonders im Gedächtnis geblieben und ist prominent in der Ausstellung und in einem Podcast des SWR vertreten. Als Mohamed zum ersten Mal ins Stettener "Bädle" kam, war er acht Jahre alt, sprach kaum Deutsch und wollte schwimmen lernen. Das syrische Flüchtlingskind beobachtete erst die anderen Badegäste und wagte sich dann selbst ins Wasser.

"Das fiel mir recht schnell auf", erinnert sich Kögel. "Ich bin dann, wann immer es ging, mit ihm ins Wasser gegangen und habe ihm Schwimmtechniken gezeigt." Auch die Stammgäste unterstützten ihn, sodass Mohamed letztlich nie auf sich allein gestellt war. "Das hätte nicht unbedingt so sein müssen, aber es war tatsächlich so", bekräftigt der Bademeister. "Wenn das so funktioniert, ist das ein Idealzustand".

Immer mehr Nichtschwimmer:innen in Grundschulen

Doch nicht alle Kinder in Deutschland haben dieses Glück. Laut einer Studie der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft konnten im Jahr 2022 rund 20 Prozent der Grundschulkinder nicht schwimmen. In einkommensschwachen Haushalten lag der Anteil sogar bei 49 Prozent. "Das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung", warnt Kögel.

Als einen der Hauptgründe sieht er die Corona-Pandemie. "Damals sind zweieinhalb Jahre Schwimmunterricht komplett ausgefallen. Die Folgen spüren wir erst jetzt." Hinzu komme der gestiegene Druck auf Lehrkräfte, insbesondere seit dem tragischen Tod eines siebenjährigen Jungen im Schulschwimmunterricht 2023 in Konstanz.

Nicht zuletzt hänge die Situation auch mit fehlenden finanziellem Geld zusammen. Viele Bäder sind heute auf die ehrenamtliche Unterstützung von Schwimmvereinen angewiesen, die Spenden sammeln oder sogar Reparaturarbeiten selbst übernehmen. "Ohne diese Hilfe wären viele Freibäder längst geschlossen", betont Ausstellungskurator Dörfler.

Auch das Stettener "Bädle" wird seit über 20 Jahren von einem lokalen Verein selbstverwaltet. Dass es einmal ein Ort für Begegnungen, wie die zwischen Kögel und Mohamed, und dadurch Schaubühne einer Ausstellung werden würde – daran dachte bei der Gründung des Vereins wohl niemand.


Die Ausstellung "Frei Schwimmen – Gemeinsam?!" ist noch bis zum 14. September zu sehen im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Konrad-Adenauer-Straße 16, 70173 Stuttgart. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr, Montag geschlossen. Der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. Donnerstags ab 18 Uhr ist der Eintritt frei.

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