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Stadttauben

Vom Haustier zum Hasstier

Stadttauben: Vom Haustier zum Hasstier
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 Fotos: Jens Volle 

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Die Stadttaube wird verachtet und getreten. Die Tierschützerin und Philosophin Anna-Vanadis Faix weiß, dass es dabei um Vorurteile geht, und kennt das bessere Taubenkonzept.

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Unter allen Tierarten machte sie die schlechteste Karriere: Die Taube war Symbol des Friedens, der Liebe und Unschuld. Heute kommt es allzu häufig vor, dass Menschen im Vorübergehen grob nach ihr treten. Das mag man symbolträchtig finden, die Geschichte der Taube als ein Paradebeispiel kultureller Abwertung und Ausgrenzung lesen. Dabei könnte alles so einfach sein, sagt die Tierschützerin und Philosophin Anna-Vanadis Faix. Vielleicht ist es an der Zeit, umzudenken. Verhindert wird die Versöhnung von Mensch und Taube durch Ignoranz und Vorurteile.

Insbesondere die Stadttaube, jene Taube also, die in der Königstraße an shoppenden Menschen vorbeikurvt, mit nickendem Kopf neben der Parkbank sitzt, sehr schnell herbeigetrippelt kommt, wenn eine Brotkrume zu Boden fällt, wird von vielen Menschen schlicht gehasst. Man schimpft auf die Taube, man blickt auf sie herab. Erst jüngst wurde in einem Dorf im Landkreis Böblingen, in einem Wohngebiet, mit einem Luftgewehr auf eines der Tiere geschossen. Die Taube wurde gefunden, von Tierschützer:innen versorgt, der Täter blieb wie so oft unerkannt.

Tauben in der Stadt werden oft mit Ratten verglichen – sehr zu Unrecht, denn sie sind reinlich, klug und übertragen keine Krankheiten. Auch die Rede von der Taubenplage ist unbegründet: "Dieser Eindruck", sagt Anna-Vanadis Faix, "entsteht, weil die Tiere auf der Suche nach Nahrung den ganzen Tag sichtbar sind. Aber eine Größe der Tierpopulation, die wir als Plage bezeichnen würden, gibt es bei den Tauben nicht."

Dass die Taube scharenweise durch Parks und Straßen huscht, hat einen Grund – und der hat mehr mit den Menschen zu tun, als die Menschen wahrhaben wollen. Denn die Taube, erklärt Faix, ist ein Tier auf der Schwelle zwischen Kultur und Natur, zuerst domestiziert und dann verstoßen. Tauben wurden als Haustiere gehalten über Tausende von Jahren. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, erklärt die Tierschützerin, lieferten Tauben den Menschen Fleisch und Eier. Die Hühnerhaltung erwies sich zuletzt als wirtschaftlicher, die Taube war nicht mehr gefragt, die Taube durfte gehen. Nur wohin? Zum Beispiel in die Königstraße.

Dort irrt das Tier umher und hungert. Artgerechte Nahrung finden Tauben auf der Straße kaum. Schmücken sie das eine oder andere Gebäude, die eine oder andere Jacke oder Frisur mit ihrem Kot, dann vielleicht, weil sie kurz zuvor aufpickten, was manch ein Zeitgenosse fallen ließ – die Reste einer Mahlzeit aus dem Fastfood-Restaurant zum Beispiel. Durchfall ist bei keiner Spezies ein Normalzustand. Tierschützer:innen berichten immer wieder von toten Tauben, die gefunden werden – nicht überfahren oder abgeschossen, sondern qualvoll verhungert, mitten in der Stadt.

Das lässt sich ändern, auf verblüffend einfache Weise. Wegweisend ist das sogenannte Augsburger Modell. Noch bis 1995 ließ die Stadt Augsburg Tauben von Stadtjägern abschießen. Bürger:innen fühlten sich durch ein hohes Vorkommen der Tiere belästig, Tierschutzverbände protestierten. Die Jagd reduzierte den Taubenbestand kaum, also ließ die Stadt sich auf die Zusammenarbeit mit den Tierschützern ein. Die bauten Taubenschläge, sorgten für eine artgerechte Fütterung der Tiere – und siehe da: Die Taube, sehr standorttreu, zog sich aus den Fußgängerzonen zurück, haust seither zufrieden und satt an Plätzen, an denen sie niemanden stört.

Augsburg verfügt mittlerweile über zehn Taubenschläge, darunter zwei Taubentürme. Die Schläge stehen in Parkhäusern, Türmen, Dachstühlen, auch in denkmalgeschützten Gebäuden. Sie werden vom Tierschutzverein Augsburg betreut; der Taubenkot wird von Reinigungskräften eingesammelt. Dass Tauben sich sehr stark vermehren, ist eine Eigenschaft, die ihnen vom Menschen angezüchtet wurde. Im Taubenschlag werden die Eier der Tauben gegen Gipsattrappen ausgetauscht, um die Population zu kontrollieren.

Tauben können Krebs erkennen

Problem gelöst. Nur: Weshalb funktioniert das nicht auch anderswo? In manchen Städten waren Tierschützer:innen zumindest teilweise erfolgreich. Herrenberg beispielsweise richtete drei Futterstellen ein, sammelt dabei gute Erfahrungen. In Böblingen existieren Taubenschläge, bei denen es allerdings an fachgerechter Betreuung mangelt. Sehr häufig scheitern die Tierschützer mit ihrem Anliegen an Vorurteilen: Füttert man die Taube, denkt manch ein Verantwortlicher gewiss noch immer, dann vermehrt sie sich. Und außerdem: Tauben sind dreckig, dumm, gefräßig, sind minderwertige Tiere.

Anna-Vanadis Faix spricht in diesem Zusammenhang von einem Speziezismus. Der Begriff wurde 1970 eingeführt von dem britischen Psychologen und Tierschützer Richard Ryder und meint die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Art. Eine Neigung, bestimmte Tierarten gering zu achten, besitzt der Mensch schon lange. Immanuel Kant und der Aufklärung folgte die Haltung, Tiere, denen eine geringe Intelligenz unterstellt wurde, zu verachten. Bei Tauben bestünde da kein Anlass. Die Tiere sind in der Lage, sich bis zu 200 Gesichter zu merken und können – so berichtete das "Ärzteblatt" schon 2015 – sogar Krebs erkennen: Sie betrachten Röntgenbilder und picken, wenn sie Karzinome sehen. Ihre Trefferquote entspricht der von ausgebildeten Radiologen.

Letztendlich sind die Kriterien, nach denen der Mensch ein Tier beurteilt, nach denen er bestimmt, ob es als schützenswert zu erachten sei oder nicht, willkürlich. Die Taube ist dafür das beste Beispiel. "Tiere, die aus unseren Rastern fallen, sprechen wir den Schutz ab. Den Hund schicken wir zum Friseur, das Schwein zum Schlachter", sagt Faix.

In Mühlhausen gibt es jetzt einen Taubenwagen

Vergleichen lässt sich der Umgang mit Mensch und Tier in der sogenannten defensiven Architektur: Wo Bänke so gebaut sind, dass Obdachlose nicht auf ihnen schlafen können, gibt es auch "Spikes", die die Tauben von den Dächern fernhalten. "Jeder lebt gerne in einer sauberen, aufgeräumten Stadt", sagt Faix. "Aber indem wir über architektonische Maßnahmen ausgrenzen, lösen wir das Problem nicht. Wir schaffen nur ein negatives Stadtbild. Wir machen uns selbst das Leben schwer. Und Obdachlose oder Tauben können vielleicht gar nichts dafür, wenn es in der Stadt dreckig ist."

Anna-Vanadis Faix wurde in Herrenberg geboren, lebt in Gärtringen. Sie studierte in Tübingen Philosophie und Volkswirtschaftslehre, interessiert sich auch für Wissenschaftsphilosophie und Physik, promoviert derzeit in München in praktischer Philosophie. Sie hat sich mit Businesskonzepten beschäftigt und mit den oft unausgesprochenen Vorannahmen, auf denen sie beruhen, mit Systemen, die als selbstverständlich gelten, ohne je hinterfragt zu werden.

Zum Tierschutz kam Anna-Vanadis Faix früh. Bevor sie ihr Abitur ablegte, arbeitete sie schon in einem Tierheim mit. Über den Tierschutzverein Böblingen kam sie in Kontakt mit dem Verein Straßentaube und Stadtleben, der seinen Sitz in Balingen hat. "Ich hatte schon immer eine gewisse Form von Empathie für Tiere und ich habe erfahren, wie groß das Leid der Stadttauben ist." Gemeinsam mit anderen Tierfreund:innen versucht sie zu helfen, versorgt verletzte Tauben, bemüht sich, Kommunen zu einer Änderung im Umgang mit Tauben zu bewegen, zum Bau von Taubenschlägen, zur Aufhebung von Fütterungsverboten. Die Stadt Stuttgart investiert jährlich 250.000 Euro in die Pflege von Tauben und die Betreuung mehrerer Taubenschläge und Taubentürme, seit Juni besitzt auch der Stuttgarter Stadtbezirk Mühlhausen einen Taubenwagen – langsam scheint das Blatt sich zu wenden.

Die Taube gilt als ein soziales Tier. Sie ist Symbol der Seele und des Friedens. "Schau, die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau / Geh ma Tauben vergiften im Park / Die Bäume sind grün und der Himmel ist blau / Geh ma Tauben vergiften im Park." Das sang Georg Kreisler in den 1950ern in einem seiner berühmtesten Lieder, bitterer Spott auf den freundlichen Spießer mit der bösen Seele.

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3 Kommentare verfügbar

  • Dietmar Rauter
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Vielleicht hat jemand auch einen Tip, wie man dem Täuberich sein ständiges Macho-Gegurre abgewöhnt. Das geht durch Mark und Bein und lässt einen nicht ausschlafen, insbesondere bei geöffnetem Fenster. Der orgelt vom Dach lauter als die Kirchenglocken.
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