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Greifvogelstation Bad Friedrichshall

Falken retten im Ehrenamt

Greifvogelstation Bad Friedrichshall: Falken retten im Ehrenamt
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 Fotos: Julian Rettig 

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Datum:

Es gibt Hilfe, wenn Greifvögel gegen Scheiben oder Lastwagen fliegen, sich in Stacheldraht verfangen und verletzt sind. Vogelfreund:innen versorgen und pflegen diese ungewöhnlichen Patienten. Zum Beispiel in der Nabu-Greifvogelstation Bad Friedrichshall.

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Helmut Weber, Leiter der Greifvogelstation, öffnet eine knarzende Holztür und tritt ein. Wenig später kommt der kräftige Mann wieder heraus und hält mit beiden Händen fest umschlossen ein braunes Federknäuel. Das Knäuel hat seine Augen geschlossen, liegt ruhig in seinen Händen – ein Waldkauz. Er nistet in Höhlen und auf Dachböden, ist vorwiegend nachtaktiv. Waldkäuze ernähren sich hauptsächlich von Mäusen, aber auch von kleineren Vögeln und Insekten. Greifvögel und Eulen wie der Waldkauz sind vorwiegend Fleischfresser. Sie haben einen Hakenschnabel und kräftige Krallen, mit denen sie ihre Beute erlegen.

Helmut Weber ist seit der Gründung der Station 1976 der ehrenamtliche Leiter der Greifvogelstation. 35.000 verletzte Vögel wurden seither gesund gepflegt und wieder ausgewildert, sagt er. Auch seine beiden Mitarbeiterinnen Christin Gedik und Veronika Ehlers arbeiten ehrenamtlich. Dazu kommen ein Minijobber und eine junge Frau, die ihren Bundesfreiwilligendienst hier ableistet. Bad Friedrichshall ist eine der 26 Vogelstationen, die es in Baden-Württemberg gibt, Stand 2015. Damals wurden die Tierpflegestationen im Südwesten ermittelt, aktuellere Zahlen hat das zuständige Landesministerium für Ländlichen Raum nicht. Denn Auffangstationen für hilfsbedürftige Wildtiere brauchen keine Erlaubnis nach dem Tierschutzgesetz und so gibt es Stationen von Einzelpersonen und auch von Naturschutzvereinen, so das Ministerium.

Der 71-jährige Weber - krauses, weißes Haar, rotes Polohemd, blaue Jeanshosen und spitz zulaufende, schwarze Anzugsschuhe - ist seit seiner Kindheit fasziniert von Greifvögeln, erzählt er. Im Laufe der Jahre hat er sich sein gesamtes Wissen selbst angeeignet. Er hat einen Teilzeitjob als Rettungssanitäter, ist Jagdausbilder und verfasst wissenschaftliche Untersuchungen zu Vögeln.

Mit zwei Fingern öffnet er den Schnabel des Waldkauzes. In der Zunge ist ein Loch, die Luftröhre. Greifvögel decken ihren Wasserbedarf hauptsächlich über die Nahrung ab. Führt man ihnen über den Schnabel Wasser zu, können sie daran ersticken. Weber lässt den Schnabel wieder zuschnappen und schiebt an der Seite des Vogels die Federn beiseite. Eine große Öffnung – das Ohr – kommt zum Vorschein. Die Ohren des Waldkauzes sind an den Seiten versetzt angebracht, so kann er anhand des Schalls schnell erkennen, wo sich die Beute befindet. Dieser Waldkauz ist in der Station, weil er sich in einem Stacheldraht verfangen und so einen Flügel verletzt hat. Nun zieht sich eine genähte Wunde an der Flügeloberseite entlang. Helmut Weber wirft den Waldkauz zurück in die Voliere und der Vogel fliegt mühsam auf einen Ast.

Neben dem Waldkauz befinden sich neun weitere Vogelarten in den Volieren der Greifvogelstation, etwa 100 Vögel insgesamt. Die Nabu-Greifvogelstation in Bad-Friedrichshall nimmt kranke Greifvögel und Eulen auf, um sie wieder auszuwildern. Einige der Vogelvolieren sind überfüllt. Helmut Weber und sein Team versuchen alle verletzten Tiere aufzunehmen, aber das Geld reicht nicht, um neue Volieren zu bauen. Die Kosten der Pflegestation belaufen sich im Jahr auf 42.000 Euro, sagt Weber. Etwa 40 Prozent davon werden vom Regierungspräsidium Stuttgart abgedeckt. Der Rest wird durch Spenden finanziert. Im Tierschutzgesetz verankert sind die Ernährung, Unterbringung und Verpflegung der Tiere. Die Bedürfnisse des Tiers müssen der Art entsprechend gedeckt sein. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat zusätzlich Leitlinien zur Haltung von Eulen und Greifvögel herausgegeben. Sie dienen zur Orientierung für die Halter, legen beispielsweise die Temperatur und die Größe der Voliere fest.

Heulen wie ein Schlosshund

Helmut Weber öffnet weitere Volieren. Dahinter stecken Uhus, Schleiereulen, Waldohreulen. Meistens teilen sich Artgenossen die Voliere, aber nicht immer. Weber schiebt eine weitere Holztür auf, dahinter erstreckt sich ein großes Gehege mit Wänden aus Holz, einigen Bäumen und einem großen Netz darüber. Es krächzt und kreischt, Flügelflattern. Dann ein dumpfer Schlag: Einer der Mäusebussarde ist gegen das Plexiglas in der Holzwand geprallt. Er fliegt jedoch weiter, als wäre nichts passiert. Hinter den Bäumen verstecken sich zwei Störche und ein Reiher. Über ihnen fliegen Mäusebussarde quicklebendig. Ihre Verletzungen sind geheilt und sie können bald ausgewildert werden, erzählt Weber. Jetzt aber muss er los, zurück in die Rettungswache, seinem Arbeitsplatz.

Christin Gedik und Veronika Ehlers sind schwer beschäftigt mit der Fütterung der Vögel. Seit fast einem Jahr ist Christin Gedik in der Station, zuvor war sie in einem großen Konzern in der Personalentwicklung tätig. Die 55-Jährige ist mit ihrer kurzen, schwarzen Funktionshose und lockerem weißen Oberteil arbeitspraktisch unterwegs. Die zurückgesteckten Haare unterstreichen ihren simplen Kleidungsstil. Ihre Augen strahlen Ruhe aus. Mit ihrer Arbeit möchte Gedik zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen. In dieser Station wird sehr vielen Greifvögeln und Eulen ein zweites Leben geschenkt. Aber einige wenige schaffen es nicht. Sie werden tot zur Station gebracht. Viele Vögel sterben aufgrund eines Zusammenstoßes mit Scheiben, Autos, Lastwagen. Schätzungsweise 100 Millionen Vögel (Stand 2017) verenden in Deutschland allein durch Glasscheiben.

Manche verletzten Vögel, die in der Station abgegeben werden, müssen vom Tierarzt eingeschläfert werden. "Das ist der Kreislauf des Lebens. Das klingt so abgedroschen, aber eigentlich ist uns allen klar: Das Leben beginnt und es endet", sagt Veronika Ehlers. Für die beiden Freiwilligen ist es schmerzhaft, einen Vogel zu verlieren. "Ich habe hier schon geheult wie ein Schlosshund", erzählt Gedik. "Und ich habe sie getröstet", erinnert sich ihre Arbeitskollegin. Die beiden bereiten gerade das Futter in der Vogelintensivstation vor. Die Intensivstation liegt in einem weißen Häuschen, das durch einen langen Gang mit den Volieren verbunden ist.

Gefüttert werden lebende Mäuse und tote Küken

Es liegt ein muffiger Gestank im Raum. Er stammt vom Futter der Greifvögel – tote Küken. Etwa 500 Küken werden täglich an die Vögel verfüttert. Die toten Tiere stammen von einem Lieferanten aus den Niederlanden. Zur Herkunft der Küken will der Tierfutterlieferant auf Kontext-Anfrage keine Angaben machen. Seit 2022 ist es in Deutschland verboten, Küken zu töten, in anderen Ländern der EU allerdings nicht. Die Tierschutzorganisation "Peta" berichtet auf ihrer Website, dass seit dem Erscheinen des neuen Gesetzes Eier ins Ausland gebracht werden, weil dort die männlichen Legeküken nach wie vor legal getötet werden dürfen.

Auf einem langen Metalltisch in der Mitte des Raums werden die verletzten Vögel behandelt. Privatleute, die Feuerwehr oder die Tierrettung bringen die Tiere zur Station. Die Mitarbeiter:innen wiegen sie, stellen fest, ob sie unterernährt sind, hören Herz und Lunge ab. Sie behandeln kleine Verletzungen, verabreichen Medikamente und füttern schwache Tiere.

Von einem toten Küken entfernt Christin Gedik mit einer Schere Federn, Beinchen und Schnabel. Übrig bleiben das Muskelgewebe und die Innereien.

Gedik nimmt ein Stofftuch, macht drei geschwinde Schritte bis zu einem kleinen Käfig. Sie öffnet die Gittertür, greift mit einer Hand hinein, dann mit der anderen. Die ehrenamtliche Helferin zieht die beiden Hände langsam wieder aus dem Käfig heraus. Schließt das Gitter. Kehrt zum Tisch zurück. Ein Turmfalke liegt in ihren Händen. Er ist rostbraun gefiedert und schwarz besprenkelt. Die Krallen des Tieres liegen im Tuch. Gedik setzt den Turmfalken auf dem Tisch ab, eine Hand umgreift ihn immer noch. Die andere Hand wandert zu der vorbereiteten Pinzette, mit der sie ein Stück Fleisch aufnimmt. Der Vogel öffnet und schließt immer wieder seinen Schnabel, nimmt das Fleisch schnell auf, frisst das nächste.

In der Intensivstation ist es leise, kein Zwitschern oder Keckern erfüllt die Luft, die Intensivpatienten in den Käfigen haben sich zurückgezogen. Derzeit befinden sich hier nur Turmfalken. Sie müssen zur Ruhe kommen und dürfen nicht fliegen, weil ihre Verletzungen heilen müssen. Der Falke, den Gedik füttert, ist vermutlich gegen etwas geprallt. Seine Beine waren gelähmt, er lag nurmehr auf dem Bauch. Jetzt kann er langsam wieder auf seinen Beinen stehen. Noch ein bisschen wackelig. Ungeschickt. Aber bald wird er wieder stärker sein und zurück in seine Heimat fliegen.

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