Die Ingenieure wiesen unter anderem das Eisenbahnbundesamt und das Stuttgarter Umweltamt schriftlich darauf hin. Stadt und Umweltamt veranlassten die Bahn daraufhin zu Wasseruntersuchungen. Und wiegelten bald ab: Die Proben – die die Firma Hölscher selbst genommen und untersucht hatte – seien unbedenklich gewesen. Ebenfalls im Mai gab es erste Anwohnerberichte, dass Mitarbeiter der Firma Hölscher vor Probeentnahmen erst einmal die Rohrleitung gründlich durchspülten. Ähnliche Beobachtungen, teils fotografiert oder gefilmt, folgten mehrfach.
Eine neue Dynamik brachte ein Verkehrsunfall im Juni 2014: Ein LKW riss in der Jägerstraße ein Rohrsystem um, daraus ergoss sich, gut sichtbar, eine rostbraune Brühe. Die Kontrollen wurden intensiviert, Ergebnisse wurden keine verkündet. Anfang August erstatteten die Ingenieure 22 dann die Strafanzeige. Kurz darauf räumte auch das EBA ein, dass "Einleitungsgrenzwerte für abfiltrierbare Stoffe" beim GWM "nicht durchgehend eingehalten worden sein könnten". Auch Stadt- und Landespolitik wurden vorübergehend hellhörig. Stuttgarts damaliger OB Fritz Kuhn (Grüne) mahnte bei der Bahn "eine transparente und klare Information der Öffentlichkeit" an. Und das baden-württembergische Umweltministerium, damals geführt vom Grünen Franz Untersteller, regte an, das Wasser von der unabhängigen Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz untersuchen zu lassen.
Proben mit erhöhten Werten sind "unplausibel"
Die Bahn ging darauf nicht ein, änderte aber doch etwas: Nicht mehr Hölscher prüfte sein System selbst, sondern das Prüflabor Agrolab, Sitz im bayerischen Bruckberg, wurde mit der Analyse beauftragt. Sonderbar dabei: Als Probenehmer vermerkte Agrolab im Prüfbericht den "Büroservice Daniela Hölzle Reinhard Hölzle" aus Stuttgart-Feuerbach. Heute ist zwar Reinhard Hölzle aus dem Firmennamen verschwunden, im Online-Branchenbuch findet sich aber als Angebot weiterhin nur "Büroservice" und nicht "zertifizierte Wasserprobenentnahme".
Die Anfang Oktober 2014 entnommenen Proben waren dennoch bemerkenswert: Während die Menge der ungelösten Feststoffe bei den meisten unter dem Grenzwert (20 mg/l) lag, war sie bei zweien extrem hoch: 570 beziehungsweise 542 mg pro Liter. Statt dem nachzugehen, wurden jene Proben nicht berücksichtigt und vernichtet. Heydemann erklärt, dass das Umweltamt dies mit der "4-von-5-Regel" gerechtfertigt habe – wenn nach vier vorangegangenen Proben in der fünften ein deutlich abweichender Wert auftrete, falle diese Probe unter den Tisch. Doch auch das Umweltamt räumte ein, Agrolab "hätte fragliche Analysewerte nicht ersatzlos aus den Prüfberichten streichen dürfen und die Rückstellproben aufbewahren müssen". Zugleich urteilte das Amt, dass "derart hohe Werte unplausibel sind und deshalb zu Recht (…) nicht berücksichtigt wurden".
Dass die Werte vielleicht doch nicht so unplausibel waren, legt der jetzt sichtbare Zustand der abgebauten Rohre nahe. Er ist auch die Hauptstütze für die neue Strafanzeige. "Wir haben jetzt Anhaltspunkte, dass Schäden eingetreten sind", sagt Dieter Reicherter, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Ob dies auch zutrifft, dazu müssten jetzt Nachforschungen angestellt werden. "Unser Hauptvorwurf ist ja, dass die zuständigen Behörden ihre Kontrollpflichten verletzt haben", sagt Reicherter.
3 Kommentare verfügbar
Jupp
am 13.09.2023Ein Grundwassermanagement gibt es ja schließlich bei fast jeder Großbaustelle.
Nicht, dass man sich hier wieder mal über erwas künstlich echauffiert, was überall normal ist.