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Citybahnhof Ulm

Sackgasse Bahnhof

Citybahnhof Ulm: Sackgasse Bahnhof
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Rund um den Ulmer Hauptbahnhof ist seit Jahren Baustelle. Eine durchgängige Passage, gebaut von Bahn und Stadt, sollte ungeahnte Perspektiven eröffnen. Doch die Stadt hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Die Bahn steigt aus.

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"Ulm baut um und zwar nach Plan", behauptet eine Internet-Seite der Stadt, "genauer gesagt nach einem Masterplan." Der Masterplan trägt den Titel 'Citybahnhof Ulm'. Eine eigene Website gibt es auch. Sie ist zwar seit ungefähr vier Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Aber nur hier finden sich ausführliche Informationen.

"Mit dem Bahnprojekt Stuttgart – Ulm rücken das Oberzentrum Ulm und die Region näher an die Metropolregion Stuttgart heran und etablieren sich im europäischen Fernwegenetz als Wirtschafts-, Kultur- und Wohnstandort", heißt es dort blumig. "Wie Perlen entlang einer Kette verbindet die 'Magistrale für Europa' Städte und Agglomerationen von hoher wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung." Von Paris bis Budapest. Oder Bratislava.

Die Unterführung: eng und dunkel

Derzeit verkehren im Bahnhof Ulm täglich 391 Züge. Durch die Neubaustrecke von Stuttgart, die Magistrale und die Regio-S-Bahn, die Ulm in zehn Jahren mit Aalen, Riedlingen, Biberach und Memmingen verbinden soll, werden es mehr werden. "Für die Zukunft" sagt die Citybahnhof-Website, "werden für Ulm ca. 300 Fernverkehrszüge und 500 Regionalzüge täglich erwartet. Dazu kommen noch Güterzüge. Weder die bestehende Trasse über die Geislinger Steige noch der Bahnhof Ulm können dies bewältigen."

Die Züge würde der Bahnhof wohl schaffen, auch wenn ein ursprünglich einmal im Planfeststellungsverfahren des Bahnprojekts Stuttgart – Ulm vorgesehener fünfter Bahnsteig nun doch nicht gebaut wird. Auch die Regio-S‑Bahn sei nicht gefährdet, teilt die Stadt Ulm auf Anfrage mit. Doch in der Unterführung, die Reisende zu den Bahngleisen bringt, herrscht im Berufsverkehr schon jetzt ein ziemliches Gedränge. Sie wird von Bahnsteig zu Bahnsteig schmaler und sieht nicht sehr einladend aus.

Die Idee des "Citybahnhof-Ulm-Konzepts" war nun, diese Unterführung durch eine großzügige Passage zu ersetzen, die von der neuen Shopping Mall "Sedelhöfe", unter dem Bahnhofsvorplatz und durch die Empfangshalle hindurch zu den Bahnsteigen und dann weiter, unter den zehn Gleisen, die anschließend noch folgen, bis zur Westseite des Bahnhofs führt. Dort sollte ein zweiter Bahnhofseingang entstehen. Fahrgäste, die aus der Ulmer Weststadt oder von der Bundesstraße 10 kommen, müssten nicht erst auf die andere Seite, sondern hätten einen direkten Zugang. Der Bahnhofsvorplatz wäre entlastet.

Im Juli haben nun die Sedelhöfe offiziell eröffnet – auch wenn längst noch nicht alles fertig ist. Zehn Jahre hat es gedauert. Ein Investor sprang ab. DC Developments aus Hamburg übernahm, hat nun zu 25 Prozent Büros und zu 20 Prozent Wohnungen gebaut, beide erst zur Hälfte vermietet. Die Miete der Wohnungen beträgt im Schnitt 14 Euro pro Quadratmeter. Auch die Ladenflächen sind noch nicht alle vergeben. Oben gibt es Zalando und Five Guys, im Untergeschoss Edeka, einen Drogeriemarkt und die Albert-Einstein-Apotheke.

Hätte, hätte, Fahrradkette

Hier beginnt die geräumige Passage, die unter der Straße hindurch hinüber zum Bahnhof führt. Die steilen Zugänge, hier Treppen, da Rolltreppen, lassen wenig Tageslicht hinein. Es wirkt nicht sehr belebt und war so ja auch nicht gedacht, denn die Passage hätte ja noch weitergehen sollen bis zur anderen Seite des Bahnhofs. Dazu hätte die Empfangshalle des Bahnhofs abgerissen und eine neue, zweigeschossige Halle gebaut werden sollen.

Daraus wird bis auf Weiteres nichts. Am 1. Oktober hat die Bahn der Stadt eröffnet, dass sie nun 15 Millionen Euro in die "Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit, Verbesserung der Aufenthaltsqualität und Aufwertung des Erscheinungsbildes" des Bahnhofs investieren will mit Mitteln aus dem Bahnhofsmodernisierungsprogramm II des Landes. Mehr nicht. Von einer neuen Empfangshalle weiß sie nichts. Laut Citybahnhof-Website hätte die Stadt oder ein Investor die Halle "voraussichtlich 2019" in Angriff nehmen sollen. Die Unterführung zu den Gleisen will die Bahn nicht erneuern, nur aufpolieren. Sie habe ja noch eine Restlaufzeit von 25 Jahren.

Darüber hat die Stadt nun am 13. Oktober den Gemeinderat informiert. Bereits dreimal hatten die Fraktionen in den vergangenen Monaten nachgefragt. "Eine reine Sanierung der Oberflächen, wie sie die DB AG derzeit verfolgt, ist vollständig abzulehnen", teilt die Verwaltung in der Beschlussvorlage mit. Denn: "Die Passage zu den Gleisen kann bereits heute kaum noch die Fahrgastströme während des Berufsverkehrs aufnehmen und verteilen." Was also, wenn hier künftig 800 statt 400 Zügen halten?

"Was nützt es, mehr Züge fahren zu lassen, wenn der Ulmer Bahnhof auf dem Stand der 50er Jahre bleibt?", fragt auch Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch. Die Stadt habe bereits den Fluss Kleine Blau verlegt, damit die Bahnhofspassage gebaut werden kann. Sie habe das Intercityhotel gekauft, den neuen Fußgängersteg über die Gleise gebaut, ebenso die Passage zu den Sedelhöfen und ein neues Parkhaus. Sie sei alles in allem mit 120 Millionen Euro in Vorleistung gegangen, so Czisch, weitere 30 Millionen kämen für die Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes hinzu.

"Granatenfehler"

Die Stadt Ulm will ihren Bahnhof zu einem modernen Verkehrsknoten ausbauen. Dazu hat sie die Straßenbahnline 2 gebaut und mit der Bahn 2008 eine Rahmenvereinbarung getroffen, die allerdings, wie sich jetzt herausstellt, nur bis Ende 2010 gültig war. "Da keine weiteren Vereinbarungen unterzeichnet wurden, ist die Gültigkeit formell abgelaufen", heißt es lapidar in der Gemeinderatsvorlage.

Ivo Gönner, der langjährige Oberbürgermeister und glühende Stuttgart-21-Befürworter, hält die Entscheidung der Bahn für einen "großen Vertrauensbruch" und einen "Granatenfehler". Die Stadt habe der Bahn sogar angeboten, das Bahnhofsgebäude zu kaufen, erzählt er auf Kontext-Nachfrage. Dazu hätten aber für den Bahnbetrieb notwendige Anlagen ausgebaut werden müssen. "Mit der Bahn braucht man einen langen Atem", meint Gönner. "Wenn’s nicht diese Generation ist, dann macht’s halt die nächste."

Standhaftigkeit galt schon in der Antike als Tugend. Nur hat sich die Ausgangslage seit 2008 geändert. "Eröffnet – und schon aus der Zeit gefallen", titelte die "Schwäbische Zeitung" zur Eröffnung der Sedelhöfe. Auch die Passage ist eigentlich von gestern, nicht nur weil sie nun auf absehbare Zeit ein Rumpf bleibt. Die Bürger wünschen sich oberirdische Querungen. Eine Untersuchung im Jahr 2016 ergab sogar, dass anstelle der vorgesehenen vierspurigen Straße auch nur eine Spur pro Fahrtrichtung "in der Spitzenstunde aus verkehrlicher Sicht machbar" sei. Der Gemeinderat fand eine salomonische Lösung: Er votierte für drei Spuren.

Nun wird seit Jahren vor dem Bahnhof ein neues Parkhaus mit 540 Stellplätzen gebaut, das dazu noch den Busbahnhof um 200 Meter nach Süden schiebt. Wozu? Es gibt bereits das Deutschhaus-Parkhaus mit 594 und jetzt auch die Tiefgarage der Sedelhöfe mit weiteren 700 Plätzen. Wollte die Stadt Ulm nicht mehr Menschen zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr zu bewegen?

New York in Ulm

Zum Masterplan Citybahnhof gehört aber nicht nur der Bahnhof selbst und sein unmittelbares Umfeld. Ganze Areale sollen der Stadtentwicklung neu erschlossen werden. Das Dichterviertel auf der Bahnhofs-Westseite, bisher eingeklemmt zwischen Bahngleisen und der autobahnartigen B 10, sollte durch die direkte Anbindung an den Bahnhof eine Aufwertung erfahren. "Die Stadt Ulm hält nach wie vor daran fest", heißt es nun auf Kontext-Nachfrage.

Tatsächlich hat sich dort bereits einiges getan: Am äußersten Ende, am Blaubeurer Tor, also dem Kreisverkehr um das alte Tor der Bundesfestung mit der B 10 darüber, ist vor Kurzem ein zweiter Häuserblock fertig geworden, erstellt von dem Entwickler Pro Invest, der dort gleich selbst Quartier bezogen hat.

"Ein Hauch von New York steht jetzt in Ulm", titelte die "Augsburger Allgemeine". Der dreieckige, sechsgeschossige Block enthält 111 "Serviced Apartments", also eine Art Hotel, und die betreute Seniorenresidenz Elisa. Gegenüber befinden sich das Leonardo Royal Hotel und Wohnungen. 87 Quadratmeter gibt es derzeit etwa zum Schnäppchenpreis von 1.080 Euro. Wer sich vom Bahnhof über die Schillerstraße mit ihren kleinen, etwas heruntergekommenen Häuschen dem Areal nähert, der erfährt, was Aufwertung bedeutet.

Das Dichterviertel soll auch direkt mit dem Theaterviertel verbunden werden. Das klingt einleuchtend, auch wenn die beiden Quartiere aus ganz unterschiedlichen Gründen so heißen. Im Dichterviertel sind die Straßen nach Schiller und Goethe, Kleist und Mörike benannt; im Theaterviertel steht im denkmalgeschützten Bau von 1969 das Theater Ulm. Es befindet sich in einer eigenwilligen Umgebung: Telekom und Bahngelände, ein Autohaus, etwas Kleingewerbe und viele Parkplätze.

Baustellen behindern sich gegenseitig

"Die Schlüsselgrundstücke für die weitere städtebauliche Entwicklung des Theaterviertels befinden sich in privatem Eigentum", heißt es in der Gemeinderatsvorlage, "nach aktuellem Stand zeichnet sich hier derzeit keine zeitnahe Entwicklung ab." Aber direkt hinter dem Theater, an der Zeitblomstraße, soll anstelle der einzigen beiden Wohnhäuser ein neues Kinder- und Jugendtheater entstehen: eine "Zauberburg" in den Worten der Wettbewerbs-Jury, nach Entwürfen des Architekten Max Dudler.

Die Zeitblomstraße wiederum, die dritte Fahrradstraße Ulms, soll in einen Steg über die Bahngleise zum Dichterviertel münden. Allerdings steht hier das Parkhaus für Dauerparker der Bahn im Weg, das erst geräumt werden kann, wenn unten an der Schillerstraße ein weiteres neues Parkhaus steht. Mit dem Bau kann jedoch nicht vor 2022 begonnen werden, weil bis dahin andere Bauvorhaben im Dichterviertel die Zufahrt behindern.

Ulm blickt dennoch auch weiterhin unverdrossen in die Zukunft: In zehn Jahren steht eine Landesgartenschau auf dem Programm. Als Gelände dafür haben sich die Gartenarchitekten ausgerechnet das Gebiet an der B 10 ausgesucht. Von der Wilhelmsburg soll ein Grünstreifen an den ehemaligen Festungsanlagen entlang bis zum Donauufer führen. Dazu muss der Verkehr deutlich reduziert werden. "Verrückte Idee oder ein bewusst hoch gestecktes Ziel aus Kalkül?" fragt die Stadt Ulm. "Sicherlich beides!", antwortet sie selbst.


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