Permanente Verfügbarkeit, extreme Erwartungen, Kontrolle auf Schritt und Tritt. Die Arbeitswelt habe zwar in Sachen Sicherheit und Sauberkeit sensationelle Fortschritte gemacht, sagt Rolf Siedler, "gleichzeitig werden aber die Anforderungen an Arbeitnehmer immer unrealistischer." Der Drucker verweigert den Dienst und der Arbeitszeitnachweis kommt einen Tag zu spät? Ein Kündigungsgrund! Siedler, Theologe und Philosoph, spricht von einer zunehmenden Null-Fehler-Kultur. Seit 22 Jahren arbeitet der 60-Jährige bei der Betriebsseelsorge der katholischen Kirche in Aalen, die allen Konfessionen kostenfrei offensteht. Menschen, die seine Hilfe suchen, sieht Rolf Siedler nicht als Klienten, Kunden oder Patienten, sondern als Gesprächspartner auf Augenhöhe, ganz egal, ob sie Führungskräfte, Facharbeiter oder Aushilfskraft sind. Doch egal ob gut oder schlecht bezahlt: Gemeinsam ist ihnen, dass sie kurz vor dem Kollaps stehen, weil ihnen ein unmenschlich dichter Berufsalltag zu viel abverlangt.
Auch Unternehmen wundern sich inzwischen, so Siedler, dass es ihnen reihenweise die besten Leute "weghaut". In seinen Seminaren sitzen junge Betriebswirte anfangs noch selbstsicher auf ihren Stühlen und belächeln die verordnete Betriebsseelsorge milde. So lange, bis Siedler von seinen Erfahrungen erzählt. Von Fällen, in denen Menschen über Jahrzehnte hinweg scheinbar problemlos funktionieren. Jahre, in denen Beschwerden ausgeblendet wurden, in denen sich immer mehr ansammelt, immer mehr Spannung aufstaut. Und schließlich ist es eine Kleinigkeit, die alle Schutzmauern bröckeln lässt. Dann wird es plötzlich leise im Raum. Wenn Siedler vom Büroangestellten berichtet, der sein Soll stets erfüllt und sich bei Hunderten Überstunden nie über seine Arbeitsbedingungen beklagt hat. Bis der Betrieb die Kaffee-Ecke wegrationalisiert. Ein vermeintlich nichtiger Vorgang, doch zu viel für den Mann Mitte 40, dem damit der letzte Rückzugsort weggestrichen wurde, der letzte Ruhepol, an dem er mal eine Pause einlegen, sich ab und zu ein paar Minuten mit Kollegen unterhalten konnte. Mucksmäuschenstill wird es im Seminar.
3 Kommentare verfügbar
Schwabe
am 06.04.2017Sich sachlich mit dem Kommentar auseinanderzusetzen den man kritisiert ist scheinbar nicht Sache der katholischen Kirche bzw. des Herrn Tauber - Verleumdung, Indiskretion und Unterstellungen schon eher.