Dagegen wollen die Betreuerinnen im Haus Hohenfried etwas unternehmen. "Wir wollen das Selbstbewusstsein der Frauen stärken", erklärt Anna-Lena Wißmüller. Deshalb hat sie zusammen mit ihren Kolleginnen die beiden Stuttgarter Kampfsportlerinnen Jessica Wagner und Yvonne Wolz ins Haus geholt für einen Selbstverteidigungskurs. "Re.act" nennen die beiden schlagkräftigen Frauen ihre Workshops, die sie für soziale Einrichtungen, Schulen oder Firmen anbieten. Im September haben sie schon einmal einen Kurs in der Flüchtlingsunterkunft am Nordbahnhof gegeben. Frauen zu empowern, steht im Zentrum ihrer Arbeit. Wolz ist Instruktor von Krav Maga, einer israelischen Kampfsportart, Wagner ist Thaiboxerin. Ihr Credo: neben Schlag- und Tritttechniken auch mentale Stärke fördern. Die Parole: raus aus der Opferrolle.
Die steckt den meisten Frauen hier sichtlich in den Knochen. Einige Heimbewohnerinnen laufen geduckt, als ginge es darum, unsichtbar zu werden. Manche sind barfuß oder in Flipflops erschienen. Wenn Wagner und Wolz selbstbewusst erklären, welche Körperstellen am besten geeignet sind, um sich ungewünschten Körperkontakt vom Hals zu halten, prallen Welten aufeinander. Als Wolz eine Pratze in die Luft hält und Mumina auffordert, fest dagegen zu hauen, kichert die junge Syrerin und wendet sich ab. Es ist dieselbe Verlegenheitslache, die sie mit fast allen Frauen im Raum teilt, wenn sie zulangen sollen. Der Schlag auf die Pratze erfolgt sanft und mit flacher Hand, als hätte sie Angst, etwas zu tun, das sie nicht darf. Danach setzt sie sich rasch an den Rand des Raums, um ihrem Baby die Flasche zu geben.
Zwischen Pratzen und Babyfläschchen
Dass Mumina, Betul und die anderen Frauen hier lernen, wie man sich selbst behauptet, wissen ihre Männer nicht. Als Anna-Lena Wißmüller und Hannah Kohlhase vom Haus Hohenfried durch die Zimmer in der Unterkunft ziehen, um Werbung für den Kurs zu machen, ist die Rede von ein bisschen Sport. Die Partner der Frauen sollen nicht wissen, dass es darum geht, sich zur Wehr zu setzen. Zu groß ist die Sorge, dass das für einzelne Frauen böse enden könnte. Von einzelnen Männern wisse man, dass sie nicht damit einverstanden wären, wenn sie wüssten, dass ihre Frau an einem Selbstverteidigungskurs teilnimmt. "Die haben Schiss, dass sich ihre Frau emanzipiert", sagt Kohlhase, die einen Bundesfreiwilligendienst im Haus leistet. Was hinter verschlossenen Türen passiert, sieht auch der Security-Mann nicht, der Ansprechpartner sein soll, wenn es Ärger gibt.
Den gibt es oftmals auch, weil bei der Konzeption von Unterkünften nicht zu Ende gedacht wurde, weiß Doris Köhncke vom Fraueninformationszentrum FIZ in Stuttgart. Es gäbe seitens des Sozialamts zwar mittlerweile ein Bewusstsein für die Probleme von Frauen in Flüchtlingsheimen und man sei bemüht, sie in den Griff zu bekommen. Auch Unicef und das Familienministerium haben in diesem Sommer einen Leitfaden herausgegeben, der die Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in den Unterkünften sichern soll. Doch an der Umsetzung hapere es noch. "Da wird zum Beispiel bei Systembauten vergessen, dass für das Frauenstockwerk in Heimen ein anderer Schlüssel für die Flurtüren her muss als auf dem Männerstockwerk", erklärt Köhncke. "Oder man denkt zwar an die räumliche Trennung durch Männer- und Frauenstockwerke. Doch die Waschmaschinen stehen in einem Gemeinschaftsraum." Da kann der Gang in den Keller für manche Frau belastend werden.
2 Kommentare verfügbar
Ute Lang
am 02.08.2019Wann läuft den der Vertag aus ?
Brauchen Sie noch irgendwelche Spenden?
Mit freundlichen Grüßen
Fr. Lang