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Freiheit Wissenschaft

"Es gibt keine grundlegende Sicherheit"

Freiheit Wissenschaft: "Es gibt keine grundlegende Sicherheit"
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Seit Monaten setzt die US-Regierung unter Donald Trump Hochschulen im Land massiv unter Druck. Förderungen werden gestrichen, Mitarbeitende entlassen. Aber wie resilient sind die Unis in Deutschland? Ein Gespräch mit Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski und Michael Weber, Präsident der Uni in Ulm.

Frau Olschowski, Herr Weber, das Thema Wissenschaftsfreiheit wird auch bei uns stark diskutiert. Die Ereignisse in Amerika, der Druck, den die US-Regierung auf die dortigen Universitäten ausübt, macht viele nachdenklich. Ist die Lage bei uns eine andere, Frau Olschowski?

Petra Olschowski: Für mich ist die Wissenschaftsfreiheit ein zentrales Thema. Als Landesregierung tun wir alles, um unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen größtmögliche Autonomie zu geben. Durch unser Landeshochschulgesetz stärken wir die Gremien und durch die Hochschulfinanzierungsvereinbarung geben wir unseren Einrichtungen in Baden-Württemberg Sicherheit und Verlässlichkeit. Über Jahre und unabhängig von politischen Mehrheiten.

Alles bestens also?

Olschowski: Leider nein. Heute halten wir die in Deutschland vom Grundgesetz geschützte Wissenschaftsfreiheit hoch, aber das könnte eine andere Regierung ändern. Eine wirkliche Resilienz im Sinne von: Völlig egal, wen die Menschen da draußen wählen, wir schützen die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, die gibt es nicht. Denn natürlich kann der Gesetzgeber Gesetze ändern oder die Finanzierung anpassen. Vielmehr ist es ein dauerhafter Auftrag an die handelnden Personen in Politik und Wissenschaft, sich für die Wissenschaftsfreiheit einzusetzen. Dass es keine grundlegende Sicherheit gibt, sehen wir gerade fast jeden Tag in den USA.

Also ist auch bei uns die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr?

Olschowski: Sagen wir es so: Es gibt dafür selbst bei uns keine Garantie. Aber ich würde doch behaupten, dass wir uns aktuell in Deutschland nicht in inhaltliche Fragen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen einmischen und so wenig wie möglich in Organisatorisches. Für Baden-Württemberg gilt dies in ganz besonderem Maße, da wir die Wissenschaftsfreiheit zusätzlich in der Landesverfassung absichern. Auch durch die bereits erwähnte Hochschulfinanzierungsvereinbarung geben wir unseren Einrichtungen größtmögliche Handlungsspielräume. Wir schreiben nicht vor, wofür die Hochschulen diese finanziellen Mittel einsetzen sollen. Denn wir sind überzeugt, dass unsere Einrichtungen ihre Bedarfe in Forschung und Lehre selbst am besten einschätzen können.

Michael Weber: Man muss auch bedenken, dass bei uns in Deutschland die Freiheit von Forschung und Lehre im Grundgesetz in einem der vordersten Artikel steht und damit zu den Grundrechten innerhalb Deutschlands zählt. Da ist es deutlich schwieriger, mit politischen Mitteln dagegen anzugehen, wie wir das jetzt beispielsweise in den USA sehen. Aber wenn politische Parteien stärker würden, die der Wissenschaftsfreiheit gegenüber nicht so aufgeschlossen sind wie die meisten anderen, würden diese sicherlich alles probieren, um auch in die Universitäten und das Hochschulwesen hineinzuregieren.

In den USA geht es übers Geld.

Olschowski: Die Finanzierung ist immer ein Kontrollmittel. Jetzt werden US-Universitäten äußerst wichtige Bundeszuschüsse durch die Politik entzogen. Das heißt: Die Wissenschaftsfreiheit kann, wie bei uns in Deutschland, im Grundgesetz verankert sein und dennoch gibt es Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen – auf einer scheinbar niederschwelligen, aber sehr wirkungsvollen Ebene.

In den USA ist die Wissenschaftsszene in Aufruhr. Haben Sie schon Anfragen von Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftlern: Hallo, mir ist es hier nicht mehr sicher genug, ich würde gerne in Deutschland bei Ihnen forschen?

Weber: In der Breite spüren wir das nicht, das muss man ganz klar sagen. Die Entwicklungen in den USA sind jetzt erst ein paar Wochen alt. Die Menschen, die sich an den dortigen Universitäten etabliert haben, sind dort ja auch in ihrem Umfeld verwurzelt. Die haben ihre Familien da, ihre Häuser, Wohnungen. Das wirft man nicht sofort alles über Bord und versucht, sich woanders hinzubewegen.

Also doch kein Braindrain, von dem die Europäer profitieren könnten?

Weber: Was wir sicherlich bald merken werden, ist ein schwindender Zuspruch für die USA als Zielland. Ich vermute, dass vor allen Dingen Postdoktoranden oder auch Doktoranden, die sehr gerne ihren nächsten Karriereschritt temporär in den USA gemacht haben und dort auch Perspektiven gesehen haben, sich stärker anderswohin orientieren werden.

Gilt das generell?

Weber: Das ist natürlich abhängig von den jeweiligen Fachkulturen. Wir haben in Ulm eine starke Medizin. In der Medizin war es eigentlich schon immer so, dass im Lebenslauf ein zweijähriger Aufenthalt auf einer guten Stelle in den USA mitentscheidend war, ob man später eine Professur bekommt oder nicht. Das wird sich ändern.

Olschowski: Im Moment stehen Forschende aus den USA noch nicht Schlange, erste Interessensbekundungen gibt es allerdings und deutlich mehr Bewerbungen für Projektleitungen. Laut einer Umfrage des Wissenschaftsjournals "Nature" im März ziehen 75 Prozent der US-Forschenden in Betracht, ihr Land zu verlassen. Ziemlich sicher werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende aus anderen Nationen, die normalerweise in die USA gegangen wären, Europa verstärkt in den Blick nehmen. Und dann erkennen sie auch Deutschland und insbesondere Baden-Württemberg mit den vielen Spitzeneinrichtungen als attraktive Ziele.

Trumps Politik würde also Deutschland international attraktiver machen?

Olschowski: Zunächst einmal schadet Trumps Politik dem Wissenschaftssystem weltweit. Wissenschaft ist international, sie denkt nicht in Grenzen und Nationalitäten – und das muss auch so sein. Insofern profitiert niemand von dem, was in den USA im Moment passiert. Zugleich können wir in Deutschland und Europa im Moment weitgehende Verlässlichkeit garantieren. Das kann interessant sein. Aber nicht nur für US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, sondern eben auch für Studierende und Forschende aus Indien, Afrika, Südamerika oder ganz egal welcher Herkunft. Sie werden sich eher für Deutschland entscheiden als jetzt, in diesen unsicheren Zeiten, in die USA zu gehen.

Das klingt alles sehr erfreulich, hat nur einen Schönheitsfehler: Stichworte Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auch an den deutschen Hochschulen und Universitäten.

Olschowski: Alle Konflikte der Welt spiegeln sich an allen Orten wider. Und natürlich auch an den Hochschulen. Aber schauen wir einmal auf die Studierendenmobilität: Deutschland ist mittlerweile das viertbeliebteste Ziel internationaler Studierender nach den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien. Und das ist ein gutes Zeichen für eine offene Kultur.

Wie ist das in Ulm? Ist der Campus weit weg von den Niederungen der Gesellschaft?

Weber: So weit weg, wie es immer heißt, ist der Ulmer Campus ja eigentlich gar nicht. Mit der Straßenbahn ist man in sieben Minuten von der Stadtmitte an der Uni. Eine Universität ist das Spiegelbild der Gesamtgesellschaft. Natürlich in einem leicht verschobenen Maße.

Wie meinen Sie das?

Weber: Einerseits, was die Altersstruktur angeht. Andererseits sind das natürlich alles Menschen, die studieren oder auch in der Wissenschaft tätig sind. Das heißt, da gibt es eine Offenheit im Umgang miteinander. Auch die Offenheit durch die wissenschaftlichen Fragestellungen, bei der ich mich um ein Thema kümmere und nicht um die Person. Das hilft ganz deutlich.

USA: massive Einflussnahme durch die Regierung

Die US-Regierung unter Donald Trump versucht, Universitäten im Land durch den Entzug von Fördergeldern und Zuschüssen gefügig zu machen. Im März verfügte die Regierung die Überprüfung staatlicher Förderung für insgesamt 60 Hochschulen. Ein Grund: angeblicher Antisemitismus durch pro-palästinensische Proteste gegen das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza und eine daraus resultierende angeblich verfehlte "Ideologie". Mittlerweile haben mehrere Unis auf Druck der Regierung Programme, die sich mit dem Nahen Osten befassen, überarbeitet oder eingestellt, die Elite-Uni Harvard entließ beispielsweise zwei Führungspersonen des Zentrums für Nahoststudien. Die Uni klagt aktuell gegen die Blockade von Fördergeldern durch die Regierung unter Trump, der droht mit dem Entzug der Steuerbefreiung, von der Harvard profitiert. Trumps Forderung, keine ausländischen Studierenden mehr an der Elite-Uni zuzulassen, ist aktuell von einem Gericht kassiert worden. Zumindest noch. Die Trump-Regierung hat zudem Diversitätsprogramme gestrichen, wer in Förderanträge verbotene Begriffe wie Covid, Transgender oder Klimawandel benutzt, riskiert es, keine Gelder mehr bewilligt zu bekommen oder gekündigt zu werden.  (red)

Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung gibt es aber dennoch?

Weber: Leider ja. Für die Fälle, die es dann doch gibt, haben wir etablierte Prozesse und Antidiskriminierungsstellen, an die sich die betroffenen Personen wenden können. Dabei legen wir sehr großen Wert darauf, dass den Personen tatsächlich geholfen wird.

Olschowski: Größere Probleme sehe ich für Baden-Württemberg nicht. Uns sind auch keine entsprechenden Problemanzeigen bekannt. Wir hatten jedoch seit dem 7. Oktober 2023 einen Anstieg antisemitischer Vorfälle. Allerdings auch nur an einigen wenigen Standorten. Es ist sehr unterschiedlich.

Inwiefern?

Olschowski: Es hat viel mit der Stadtstruktur zu tun. An Orten wie Freiburg oder Heidelberg gibt es schon seit Jahren pro-palästinensische Strömungen. Dort kommt es eher zu Aktivitäten, die auch oft aus der Stadt an die Universitäten getragen werden und bei denen sich jüdische Studierende zu Recht unwohl fühlen. Dagegen müssen wir etwas tun.

Ist Antisemitismus an Unis ein besonderes Problem?

Olschowski: Die Universität Konstanz hat eine bundesweite Studie veröffentlicht: Demnach haben rund sechs Prozent der Studierenden ein ausgeprägtes antisemitisches Weltbild, in der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil allerdings bei 20 Prozent. Die Hochschulen sind also keinesfalls herausragende Orte für Antisemitismus. Aber sie haben eine hervorgehobene Stellung und werden gesehen. Daraus ergibt sich ein besonderer Auftrag: Hochschulen sind Orte des Dialogs, an denen aktuelle gesellschaftliche Debatten geführt und Entwicklungen gespiegelt werden. Selbstverständlich müssen wir alles tun, damit es nicht zu antisemitischen oder rassistischen Vorfällen an unseren Einrichtungen kommt, denn an diesem Punkt enden diese offenen Räume. Ich nehme das sehr ernst. Und das tun die allermeisten Studierenden, die Forschenden und die Hochschulleitungen im Land auch. Alle arbeiten daran.

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1 Kommentar verfügbar

  • gerhard manthey
    vor 12 Stunden
    Antworten
    Was ist denn nun mit den Zivil- und Friedensklauseln in den Statuten der Universitäten, die ausgehend von der Bayern-Staatsregierung, der Bundeswehr peu a peu die Forschungen an den Universitäten ermöglichen soll, ohne dass sie sich dagegen wehren können? Das ist nicht thematisiert worden, wie das…
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