KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Bundestagswahlkampf

Samstagmittag in der Innenstadt

Bundestagswahlkampf: Samstagmittag in der Innenstadt
|

Datum:

An den Wahlkampfständen der CDU ist von Aufregung über die gemeinsame Abstimmung mit der AfD wenig zu spüren. Jedenfalls nicht in Stuttgart und Backnang. CDU-Landeschef Manuel Hagel futtert derweil Burger in Berlin.

Es gibt keine Proteste, keine Beleidigungen. Die Polizei fährt ein paar Mal vorbei an diesem Samstagvormittag am Stand der Frauen-Union in der Stuttgarter Innenstadt. Das Werbematerial am Stehtisch wird kaum weniger, das Interesse Vorbeikommender ist überschaubar.

Ein Passant verwickelt Elisabeth Schick-Ebert, die CDU-Direktkandidatin im Wahlkreis Stuttgart I, in eine Diskussion über das am Vortag im Bundestag gescheiterte Zustrombegrenzungsgesetz. Der junge Mann hält wenig vom Plan, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte zu stoppen, also für Menschen ohne Bleiberecht, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zurück können in ihre erste Heimat und zum Teil schon seit Jahren in Deutschland leben. Er argumentiert mit der geringen Zahl an Flüchtlingen, um die es gehe. Damit, dass nicht zum christlichen Menschenbild passe, Väter, Mütter und Kinder nicht zusammenzuführen. Schick-Ebert weicht ins Grundsätzliche aus, verlangt, sich dem Thema Migration zu stellen wegen der großen Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung und weil "vom Wegschauen" nur die AfD profitiere.

In der Tat lohnt es, sich die entsprechende Passage in diesem Gesetz genau anzuschauen, das im Parlament durchgefallen ist wegen der Dissidenten aus den Reihen von CDU und FDP. Im Sommer 2018, noch von der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU), war beschlossen worden, aus humanitären Gründen tausend Personen pro Monat den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten in Deutschland zu ermöglichen. Laut dem Gesetzestext wurden 2023 durch das Bundesverwaltungsamt insgesamt nur 11.630 Zustimmungen zur Ausgabe von Visa erteilt. Erklärt wird der Stopp mit den "absehbarerweise erschöpften Integrationskapazitäten". Als wären alleinstehende Männer in Sorge um und Sehnsucht nach Frau und Kindern nicht schwieriger zu integrieren als vereinte Familien.

Es geht im neuen CDU-Plan von vergangener Woche aber nicht um eine Aussetzung oder eine zeitliche Befristung. Es geht um die Nicht-Gewährung. Apodiktisch heißt es: "Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und dem Völkerrecht, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention, vereinbar." Schon in der Ausschussberatung am 6. November hatten Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken dem widersprochen. Durch derartige verfassungswidrige Vorschläge begebe sich die Union "in den vorpolitischen Raum der AfD, statt zur nötigen Versachlichung und Lösung beizutragen".

Stützen können sich die Kritiker:innen der Unions-Idee auch auf den Europäischen Gerichtshof, der 2021 ausführlich darlegte, dass aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) keine generelle Verpflichtung eines Staates abgeleitet werden könne, eine Familienzusammenführung zu gewähren. Aber er erklärte auch, dass eine komplette Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nicht erlaubt ist: Staaten dürfen demnach den Familiennachzug für zwei Jahre ausschließen, müssen danach aber den Einzelfall prüfen.

In den Argumentationshilfen, die aktuell unter CDU-Wahlkämpfer:innen kursieren, fehlen solche Einzelheiten. Holzschnittartig wird stattdessen beteuert, dass für die Union ausgeschlossen sei, "mit der AfD zusammenzuarbeiten oder gar zu koalieren". Im persönlichen Gespräch am Stand in der Stuttgarter Innenstadt betont Elisabeth Schick-Ebert immer wieder den Unterschied zwischen gemeinsamer Abstimmung und dem Vorgehen, die Rechtsaußen-Opposition als Mehrheitsbeschafferin zu nutzen.

"Ich würde die AfD verbieten"

Nein, das war keine Zusammenarbeit – davon ist auch Sabine Kutteroff überzeugt. Seit 20 Jahren sitzt sie für die CDU im Backnanger Gemeinderat und an diesem kalten Vormittag wirbt sie am Info-Stand an der Sulzbacher Brücke für ihre Partei. Die Aktion ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz vorige Woche im Bundestag, um Mehrheiten mit der AfD für schärfere Flüchtlingspolitik zu suchen, findet sie richtig. "Wir kennen doch hier vor Ort das Problem. Wir nehmen Flüchtlinge auf, natürlich. Aber wir haben ja viel zu wenig Wohnungen." Weil man sich in den vergangenen 20 Jahren nicht um ausreichend neuen Wohnraum gekümmert hat? Kutteroff schüttelt energisch den Kopf. So sei das nicht, Wohnungsknappheit gebe es erst seit 2015, als viele Syrer:innen vor dem Bürgerkrieg aus ihrem Land flohen. "Und dann kamen aus der Ukraine ja auch nochmal viele." Kutteroff will auf keinen Fall als fremdenfeindlich rüberkommen. "Wir haben einen tollen Arbeitskreis Asyl, wir haben auch kein besonderes Problem mit den geflüchteten Menschen." Gibt es denn Probleme mit Gewalt, wie Friedrich Merz gerne erzählt? "Nein." Aber all die Menschen müssten ja nicht nur untergebracht werden, es brauche auch Schul- und Kita-Plätze, Ärzte – alles nicht ausreichend vorhanden. Man brauche einfach eine Pause. Außerdem käme von Bund und Land zu wenig Unterstützung für all die kommunalen Aufgaben.

Wie gerufen kommt die örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete und nun wieder Direktkandidatin Inge Gräßle an den Stand. Sie hat vorigen Mittwoch im Bundestag für den 5-Punkte-Plan und am Freitag für das Zustrombegrenzungsgesetz gestimmt, steht also klar hinter Merz. Bei ihrem Gang über den Wochenmarkt gerade eben habe es zwar auch Kritik daran gegeben, erzählt sie, aber die meisten hätten es gut gefunden. Wie sieht sie als Bundestagsabgeordnete denn die finanzielle Ausstattung der Kommunen? Für die Unterkunft der Geflüchteten zahle der Bund 75 Prozent der Kosten, sagt sie. Und wenn das nicht reicht? Gräßle verweist auf die schlechte Finanzlage im Bund. Also gäbe es bei einer CDU-geführten Bundesregierung auch nicht mehr Geld für die Kommunen? "Das sage ich so nicht", sagt Gräßle. Es käme auf die Wirtschaft an, die müsse wieder anspringen.

Eher ein Denkzettel für die SPD

Kutteroff hat sich zwischendurch kurz mit einer älteren Passantin auseinandergesetzt, die der Handvoll CDU-Wahlkämpfer:innen am Info-Stand mitteilt: "Ich bin entsetzt über euch im Bundestag! Wenn der Merz nach der Wahl mit der AfD koaliert …" Kutteroff: "Das werden die nie tun." Frau: "Ha ha! Der Merz hat ja kürzlich auch noch was anderes versprochen." Kutteroff wendet sich ab. Da müsse sie nun keine Energie verschwenden, die Frau werde ja sowieso nicht CDU wählen. "Und missionieren will ich niemanden."

Kutteroff will nochmal ihre Einstellung zur AfD deutlich machen. Die kann sie überhaupt nicht leiden, die sei menschenverachtend und frauenfeindlich. Aber was könne denn die CDU im Bundestag dafür, wenn SPD und Grüne nicht mitmachten? "Wenn wir im Gemeinderat einen Antrag stellen und die AfD stimmt zu, dann ist das eben so." Und überhaupt: Im Gemeinderat hätten die Grünen ja auch schon mal für einen AfD-Antrag gestimmt. "Das haben wir noch nie gemacht."

Naja. Die Christdemokratin spielt auf eine Abstimmung im November 2022 an. Damals ging es im Gemeinderat um einen Zuschuss für ein örtliches Theater. Laut Medienberichten wollten mehrere Fraktionen dem Theater mehr Geld geben als die Verwaltung geplant hatte. Den entsprechenden Änderungsantrag stellte dann die AfD – und dem stimmten bis auf eine:n alle Stadträte zu, also auch die CDU.

Kutteroff sagt, wenn sie könnte, würde sie die AfD verbieten. Und wenn die CDU mit der AfD koalieren oder Merz sich mit Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen würde, "dann trete ich aus". Aber das sieht sie nicht kommen und nochmal: Das vorige Woche sei richtig gewesen. Denn sollte es zu einer Koalition mit der SPD kommen, wüsste die nun: "Dann müssen die springen."

Und Hagel macht Selfies

Auch beim Bundesparteitag der CDU vorigen Montag in der Berliner Messehalle City Cube: keine Spur von Kritik am Parteichef. Nur hinter vorgehaltener Hand sollen laut Medienberichten so manche überlegt haben, warum der Merz so ein Vabanquespiel unbedingt noch vor der Wahl durchgezogen hat. Aber nach außen: demonstrative Geschlossenheit, wie es gute Tradition ist.

Manuel Hagel, der CDU-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, vergleicht die Bundesparteitage seiner Union mit Familienfesten. Er erfreute sich denn auch am Hauptstadt-Flair, postete Sequenzen seiner Stadtrundfahrt, vom Joggen, von der Burger-Runde mit seinem engsten Team nach getaner Arbeit, vom TV-Interview. "Das hat richtig Bock gemacht (…) So geht Führung, so geht klare Haltung, so geht es für Deutschland wieder nach vorne", lautet sein euphorisches Resümee, immer nach der Devise: So tun, als wäre nichts gewesen. 

Was speziell der Südwest-CDU nicht schwer fällt. Denn anders als in früheren Jahrzehnten spielt der Landesverband nahezu keine Rolle mehr. Seine einflussreichsten Vertreter in der Bundespolitik sind zum einen der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei, omnipräsent im TV, vom Morgenmagazin bis in die Late-Night-shows, aber praktisch ohne Bezug zu Baden-Württemberg. Als Zweite im Bunde agiert die stellvertretende Generalsekretärin Christina Stumpp aus Backnang. Ihr Bekanntheitsgrad allerdings liegt nahe Null, für markante Aussagen oder Taten ist sie unzuständig, erst recht in heiklen Situationen wie dieser. Der Dritte ist Andreas Jung, einer von fünf Vizes des Vorsitzenden. Im City Cube Berlin an der alten Avus ging der Mann aus Konstanz nicht ans Rednerpult, wo ein Promi nach dem anderen Friedrich Merz und seinen hochumstrittenen Umgang mit der AfD stützte.

Und Manuel Hagel? Dem 36-Jährigen hat der zweitgrößte CDU-Landesverband nach NRW die größte Machtfülle ever übertragen. Er ist Landes- und Fraktionsvorsitzender, zwei Ämter, die noch nie in einer Hand lagen, weil ihre Ministerpräsidenten immer zugleich auch die Partei führten. Die Doppelrolle tatkräftig nutzen, aus dem Schatten treten als neue, junge Spitzenkraft und womöglich künftiger Regierungschef Baden-Württembergs, möchte Hagel allerdings noch nicht. Dabei könnte er als Chef der sogenannten Großen Fraktionsvorsitzendenkonferenz von CDU und CSU eine tragende Rolle im Innenleben der Union spielen. Will er aber noch nicht. Sondern warten, was die Zukunft so bringt. Und die Zukunft der CDU beginnt am 24. Februar.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!