Es gibt keine Proteste, keine Beleidigungen. Die Polizei fährt ein paar Mal vorbei an diesem Samstagvormittag am Stand der Frauen-Union in der Stuttgarter Innenstadt. Das Werbematerial am Stehtisch wird kaum weniger, das Interesse Vorbeikommender ist überschaubar.
Ein Passant verwickelt Elisabeth Schick-Ebert, die CDU-Direktkandidatin im Wahlkreis Stuttgart I, in eine Diskussion über das am Vortag im Bundestag gescheiterte Zustrombegrenzungsgesetz. Der junge Mann hält wenig vom Plan, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte zu stoppen, also für Menschen ohne Bleiberecht, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zurück können in ihre erste Heimat und zum Teil schon seit Jahren in Deutschland leben. Er argumentiert mit der geringen Zahl an Flüchtlingen, um die es gehe. Damit, dass nicht zum christlichen Menschenbild passe, Väter, Mütter und Kinder nicht zusammenzuführen. Schick-Ebert weicht ins Grundsätzliche aus, verlangt, sich dem Thema Migration zu stellen wegen der großen Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung und weil "vom Wegschauen" nur die AfD profitiere.
In der Tat lohnt es, sich die entsprechende Passage in diesem Gesetz genau anzuschauen, das im Parlament durchgefallen ist wegen der Dissidenten aus den Reihen von CDU und FDP. Im Sommer 2018, noch von der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU), war beschlossen worden, aus humanitären Gründen tausend Personen pro Monat den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten in Deutschland zu ermöglichen. Laut dem Gesetzestext wurden 2023 durch das Bundesverwaltungsamt insgesamt nur 11.630 Zustimmungen zur Ausgabe von Visa erteilt. Erklärt wird der Stopp mit den "absehbarerweise erschöpften Integrationskapazitäten". Als wären alleinstehende Männer in Sorge um und Sehnsucht nach Frau und Kindern nicht schwieriger zu integrieren als vereinte Familien.
Es geht im neuen CDU-Plan von vergangener Woche aber nicht um eine Aussetzung oder eine zeitliche Befristung. Es geht um die Nicht-Gewährung. Apodiktisch heißt es: "Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und dem Völkerrecht, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention, vereinbar." Schon in der Ausschussberatung am 6. November hatten Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken dem widersprochen. Durch derartige verfassungswidrige Vorschläge begebe sich die Union "in den vorpolitischen Raum der AfD, statt zur nötigen Versachlichung und Lösung beizutragen".
Stützen können sich die Kritiker:innen der Unions-Idee auch auf den Europäischen Gerichtshof, der 2021 ausführlich darlegte, dass aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) keine generelle Verpflichtung eines Staates abgeleitet werden könne, eine Familienzusammenführung zu gewähren. Aber er erklärte auch, dass eine komplette Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nicht erlaubt ist: Staaten dürfen demnach den Familiennachzug für zwei Jahre ausschließen, müssen danach aber den Einzelfall prüfen.
In den Argumentationshilfen, die aktuell unter CDU-Wahlkämpfer:innen kursieren, fehlen solche Einzelheiten. Holzschnittartig wird stattdessen beteuert, dass für die Union ausgeschlossen sei, "mit der AfD zusammenzuarbeiten oder gar zu koalieren". Im persönlichen Gespräch am Stand in der Stuttgarter Innenstadt betont Elisabeth Schick-Ebert immer wieder den Unterschied zwischen gemeinsamer Abstimmung und dem Vorgehen, die Rechtsaußen-Opposition als Mehrheitsbeschafferin zu nutzen.
"Ich würde die AfD verbieten"
Nein, das war keine Zusammenarbeit – davon ist auch Sabine Kutteroff überzeugt. Seit 20 Jahren sitzt sie für die CDU im Backnanger Gemeinderat und an diesem kalten Vormittag wirbt sie am Info-Stand an der Sulzbacher Brücke für ihre Partei. Die Aktion ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz vorige Woche im Bundestag, um Mehrheiten mit der AfD für schärfere Flüchtlingspolitik zu suchen, findet sie richtig. "Wir kennen doch hier vor Ort das Problem. Wir nehmen Flüchtlinge auf, natürlich. Aber wir haben ja viel zu wenig Wohnungen." Weil man sich in den vergangenen 20 Jahren nicht um ausreichend neuen Wohnraum gekümmert hat? Kutteroff schüttelt energisch den Kopf. So sei das nicht, Wohnungsknappheit gebe es erst seit 2015, als viele Syrer:innen vor dem Bürgerkrieg aus ihrem Land flohen. "Und dann kamen aus der Ukraine ja auch nochmal viele." Kutteroff will auf keinen Fall als fremdenfeindlich rüberkommen. "Wir haben einen tollen Arbeitskreis Asyl, wir haben auch kein besonderes Problem mit den geflüchteten Menschen." Gibt es denn Probleme mit Gewalt, wie Friedrich Merz gerne erzählt? "Nein." Aber all die Menschen müssten ja nicht nur untergebracht werden, es brauche auch Schul- und Kita-Plätze, Ärzte – alles nicht ausreichend vorhanden. Man brauche einfach eine Pause. Außerdem käme von Bund und Land zu wenig Unterstützung für all die kommunalen Aufgaben.
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