Einer stark übergewichtigen Frau im Anorak, zu sehen von hinten, wird der Weg zu McDonalds versperrt. Der Spruch auf dem Demo-Plakat: "Traktorfahrer blockieren Ricarda Lang". Einer ganzen Riege von Grünen – deren Köpfe sind auf Grünzeug montiert, darunter Ministerpräsident Winfried Kretschmann – wird auf einem Transparent angekündigt, "das Übel an der Wurzel zu packen". Trecker sind gekommen, um auf Plakaten Hass und Hetze zu verbreiten. Viele Sprüche werden gebrüllt, unter Applaus auch: "Wie Ratten schleichen Politiker durch einen Seiteneingang in die Halle."
Sogar bis Brüssel reichen die Debatten über die Ereignisse in Biberach rund um den Politischen Aschermittwoch der Grünen. Erst kürzlich brannten vor dem Europaparlament Heu und Holzpaletten. Auch beim dortigen Neujahrsempfang der baden-württembergischen Landesregierung ist die Wut der Bäuer:innen ein Thema. Kretschmann appellierte in seiner Begrüßungsrede indirekt sogar an den Koalitionspartner CDU: "Egal, wen es im Einzelfall trifft, wenn das passiert, haben wir als freie Gesellschaft im Ganzen verloren." Alle demokratischen Kräfte seien aufgefordert zu Mäßigung, Verständigung und Ausgleich. Er erwarte Klarheit und Haltung von allen Seiten, gerade mit Blick auf die Kommunal- und Europawahlen in diesem Jahr.
Nicht nur viele seiner Parteifreund:innen, das wird in den anschließenden Diskussionen bei Maultaschen und Schwarzwälder Kirschtorte ebenfalls deutlich, wollen allerdings mehr: "Die Art, wie die Proteste laufen, geht gar nicht", sagt sogar eine frühere CDU-Europaabgeordnete. Da müsse nicht mehr geredet, sondern gehandelt werden. Im Netz wie in der realen Welt wird intensiv debattiert über die diversen Stellschrauben, an denen zu drehen sei – etwa darüber, was eigentlich noch gedeckt ist von der Meinungsfreiheit. Die Galgen, bestückt mit Ampeln, beschäftigen inzwischen Ermittlungsbehörden. Bayerische Grüne haben bereits Strafanzeige gestellt gegen einen Unternehmer, der Schmähplakate an einen Zaun hängte.
Auf anwalt.de, einer Rechtsberatungsplattform, wird der Galgen jedoch "als überspitzte, aber noch sachliche Auseinandersetzung lediglich mit der Politik der Regierung, der ein Ende bereitet werden soll", interpretiert. Es handele sich "offenkundig nicht um einen unzweifelhaften Aufruf zur Begehung eines Mordes oder Totschlages", denn im Vordergrund stehe die Meinungsäußerung. Dafür allerdings, dass Verhetzung unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu Radikalisierung und in extremen, keineswegs seltenen Einzelfällen zur Tat führen kann, haben bereits die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum "Nationalsozialistischen Untergrund" vielfach Belege erbracht.
Treckerverbot auf Demonstrationen?
Schon vor einigen Wochen sind bei einer Kabinettssitzung in Stuttgart Stimmen laut geworden, die Trecker-Demonstrationen gesondert zu betrachten. Die Geräte sind so schwer, dass blockierte Straßen oder Autobahnauffahrten von der Polizei – anders als im Fall der Klimakleber:innen – nicht ohne Weiteres wieder zu räumen sind. Die Idee wurde erst einmal nicht weiterverfolgt. Jetzt verlangt die Gewerkschaft der Polizei, ein Verbot bei Protesten zu überdenken und Versammlungsbehörden entsprechend anzuweisen, weil die Zugmaschinen gefährlich seien.
Zudem werden sich Innen- und Agrarpolitiker:innen mit der Zukunft der grünen Kennzeichen befassen müssen, die eine Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer indizieren. Zehntausende Kilometer legen Traktoren in diesen Protestwochen auf Straßen zurück, für die sie gar nicht zugelassen sind. Seit mehr als einem halben Jahrhundert gibt es allerdings Ausnahmen für die Anfahrt zu Protestaktionen. "Wir wollen deeskalieren und nicht eskalieren", heißt es selbst in der SPD-Landtagsfraktion auf die Frage, ob die aktuellen Demonstrationen wirklich gedeckt sind von der bisherigen Auslegung der Regeln. Immerhin steht darin: "Steuerbefreite land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge dürfen nicht zu privaten oder anderen nicht land- und forstwirtschaftlichen Zwecken verwendet werden." Andere Nutznießer:innen grüner Kennzeichen, darunter Pferdebesitzer:innen mit Anhänger, dürfen diesen ausdrücklich nicht für Umzüge oder den Transport von Gegenständen nutzen.
3 Kommentare verfügbar
Ernst-Friedrich Harmsen
am 23.02.2024