Es ist ein seltsam verklausulierter Brief, den seit einigen Wochen Pflegekräfte in Baden -Württemberg bekommen. Sie sollen jetzt als Pflichtmitglied der noch zu gründenden Pflegekammer Baden-Württemberg registriert werden. Und nur wenn sie das nicht wollen, müssen sie sich melden und Widerspruch einlegen. Reagieren sie nicht, heißt das, sie sind dafür und irgendwann dabei. Auf fünf Seiten wird erzählt, warum die Pflegekammer angeblich unbedingt notwendig ist. Es fallen Schlagwörter wie "selbstbestimmt", die Kammer sei die "einzige Möglichkeit, als Profession an politischen Entscheidungen beteiligt zu werden", es geht um "Starke Gemeinschaft", "aktive Gestaltungsmöglichkeiten" für den Einzelnen. Ach ja, und der Mitgliedsbeitrag werde "voraussichtlich" 5 bis 9 Euro pro Monat betragen. Aber nur wer sich durch diese Mischung aus Werbung und Amtssprache durcharbeitet, erfährt noch, wie Einwendungen erhoben werden können. Bis zum 23. Februar sei dafür Zeit, ansonsten seien die Angeschriebenen "automatisch bei der Landespflegekammer Baden-Württemberg" registriert.
Im Vorfeld hatten die Arbeitgeber, also vor allem Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, ihr Pflegepersonal melden müssen. Gemeint waren alle, die eine dreijährige Pflegeausbildung haben und in der Pflege arbeiten. Doch offenbar haben manche Personalabteilungen nicht so genau hingeschaut. So berichtet Christiane Piontek, stellvertretende Personalratsvorsitzende vom Klinikum Stuttgart: "Manche bei uns wurden doppelt angeschrieben, auch Azubis haben den Brief bekommen, aber der größte Posten sind die, die gar keine Post bekommen haben." Die aktive Verdianerin hat sich zudem die Mühe gemacht, drei Pflegeheime zu besuchen, erzählt sie. "Da haben viele den Brief weggeworfen, auch weil sie ihn gar nicht verstanden haben." Auch deswegen wird die Pflegekammer wohl kommen, meint Piontek. Ein demokratisches Verfahren sei das nicht gerade, vielmehr zeige sich, dass hier ein Weg gewählt wurde, um die Kammer auf Biegen und Brechen ins Leben rufen zu können.
Nicht zuletzt deshalb lehnt Verdi die Pflegekammer ab. Man halte sie für unnütz, der Vorgang sei extrem intransparent. Bei der Gewerkschaft sei "eine Vielzahl von Hinweisen" eingegangen, die darauf schließen lassen, dass das Verfahren nicht zuverlässig ist – keine Post, Doppelpost, keine Pflegekraft, falsche Personaldaten, der digitale Einwand funktionierte nicht. Die Fehlermeldungen bei Verdi bewegten sich im dreistelligen Bereich, sagt der zuständige Gewerkschaftssekretär Simon Wiese.
Verdi hat's wohl nicht verstanden
Nun könnte man sagen: Ist doch egal, ob bei mehr als hunderttausend Angeschriebenen 500 oder 2.000 mehr oder weniger dabei sind. Aber so einfach ist es nicht, denn die Pflegekammer wird nur eingerichtet, wenn 60 Prozent der Angeschriebenen keinen Einwand abschicken. So verlangt es das Pflegekammergesetz, das Lucha (Grüne), der die Kammer unbedingt will, durch den Landtag gebracht hat. "Insofern ist schon wichtig, ob die Grundgesamtheit stimmt", sagt Wiese. Verdi hat wegen der konstatierten Unklarheiten Minister Lucha aufgefordert, das Verfahren zu stoppen. Der sieht dafür aber überhaupt keinen Grund, auch der Gründungsausschuss für die Landespflegekammer nimmt die Verdi-Kritik gelassen.
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Irene Waller
am 13.02.2024