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Investitionsstau und Korruption bei der Bahn

Auf Biegen und Brechen

Investitionsstau und Korruption bei der Bahn: Auf Biegen und Brechen
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"Das Schienennetz ist marode", sagt Michael Theurer, Bahnbeauftragter der Bundesregierung. Dabei ist der Sanierungsstau nicht das einzige Problem: Nach dem Verdacht auf Betrug bei dem Neubau der Filstalbrücke will sich der Liberale die Bauprojekte der Deutschen Bahn "sehr genau" anschauen.

Gleisanlagen werden erneuert, Brücken, Übergänge oder Unterführungen neu gebaut, ganze Strecken der Deutschen Bahn müssen saniert werden. Umleitungen, Ausfälle, Verspätungen und Ärger bei den Fahrgästen sind die Folge, und allenthalben herrschen Zeit- und Kostendruck. Angesichts des Investitionsstaus, den die Ampelregierung von der Großen Koalition und den Vorgängerregierungen geerbt hatte, wird sich daran in den nächsten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten nichts ändern.

"Marode" nennt das Schienennetz auch ganz unverblümt derjenige, der für die Bundesregierung dafür zuständig ist: Michael Theurer, FDP-Landeschef im Südwesten und seit gut einem Jahr Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Er gibt sich keinen Illusionen hin mit Blick auf die Zahlen, die vom neuen DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber vorgelegt wurden: 80 Milliarden Euro müssen in die Instandsetzung fließen, pro Jahr sind aber nur vier bis fünf vorgesehen. "Gleichzeitig schiebt der Bund vordringliche Maßnahmen mit einem Volumen von 140 Milliarden vor sich her, vom Rheintal bis über den Brenner-Tunnel-Nordzulauf bis zur Strecke Mannheim-Frankfurt", sagt Theurer. Sein Zusatzjob als Schienenverkehrsbeauftragter gleicht einem Danaergeschenk seines Bundesvorsitzende Christian Lindner – die beiden sollen sich dem Vernehmen nach nicht wirklich gut verstehen. Trotzdem will Theurer jetzt, nachdem die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Betrug beim Neubau der Filstalbrücke aufgenommen hat,  "sehr genau" hinschauen bei Großprojekten der Deutschen Bahn. 

Großprojekte sind immer korruptionsanfällig

Wie schwierig es sich gestaltet, Aufklärung oder überhaupt erst einmal Transparenz in die Gänge zu bringen, zeigen Vorwürfe vom November 2021, als die "Financial Times" einen möglichen Betrug bei Stuttgart 21 öffentlich machte. Dabei ging es um einen Missbrauch von Unternehmensgeldern, konkret: rund um die Verlegung der Stadtbahnhaltestelle "Staatsgalerie" in Stuttgart (Kontext berichtete). Auch eine Summe wurde genannt: 600 Millionen Euro. Die DB dementierte, wollte allen Hinweisen bereits nachgegangen sein. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verlangte – wieder einmal – nach Transparenz. Er habe "die DB aufgefordert, dies aufzuklären und uns umfassend zu informieren", sagte er damals im Kontext-Interview. Und erklärte zugleich, die Korruptionsvorwürfe hätten ihn "konkret überrascht, aber nicht grundsätzlich". Auch Matthias Lieb, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), legte den Finger in die Wunde: "Bei großen Baumaßnahmen ist natürlich immer die Gefahr von Korruption." Bei Stuttgart 21 sei so vieles sehr chaotisch gelaufen, "dass es mit einer gewissen kriminellen Energie bestimmt leichter möglich gewesen wäre als anderswo, Dinge zu drehen". Die Sache verlief nach Angaben des Landesverkehrsministeriums ein gutes Jahr später allerdings im Sande.

Nun gibt es den Verdacht auf einen weiteren Korruptionsfall, diesmal bei der Filstalbrücke, Teil der jüngst eröffneten Neubaustrecke Wendlingen-Ulm (NBS). Und wieder werden Wochen vergehen, ehe der mögliche Filz im Filstal und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen überhaupt nur unter den Projektpartner:innen zur Sprache kommen. Wenn irgendwann im Frühjahr der S-21-Lenkungskreis zusammentritt, könnte das Thema auf die Tagesordnung rutschen. Hermanns Ministerium weiß schon aus jahrelangen Erfahrungen mit der Bahn, dass kaum Aussicht auf einen Einblick im eigentlich notwendigen Umfang besteht. Dabei geht es bei der Neubaustrecke, wie der Minister nach der Berichterstattung der "Financial Times" sagte, auch um Geld der baden-württembergischen Steuerzahler:innen: "Wir zahlen fast eine Milliarde Euro für Stuttgart 21 und fast eine weitere für die Neubaustrecke. Da haben wir schon das Interesse zu wissen, wo das Geld hinkommt und ob alles rechtmäßig ausgegeben wurde", betont Hermann. Ohne die beiden Milliarden wäre das Gesamtprojekt mit größter Wahrscheinlichkeit gar nicht zu Stande gekommen.

Gerade um die Strecke Stuttgart-Ulm war das Gefeilsche zwischen Bund und Land erheblich. Im Sommer 2007 wurde die "Memorandum of Understanding" genannte Finanzierungsvereinbarung verhandelt, und als diese unter Dach und Fach war, erklärte der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), er habe Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) "stark gefordert", damit der dem Landeszuschuss in Höhe von 950 Millionen Euro für die Neubaustrecke zustimmt. An der – eigentlich untersagten – Mischfinanzierung eines Projekts des Bundesverkehrswegeplans mochte sich Tiefensee nicht stoßen. Denn der Vorgang sei "singulär" und allein der Tatsache geschuldet, dass ein derart hohes Interesse des Landes an der vorzeitigen Realisierung der Strecke besteht – "und damit an der Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21". Boris Palmer, einer der kenntnisreichsten Chronisten des Projekts, schäumte damals über diese "Plünderung der Landeskasse". Oettinger habe für die "fatale Verknüpfung" der Neubautrasse und des Bahnhofsprojekts einen viel zu hohen Preis bezahlt, denn dessen Vorgänger Erwin Teufel habe noch dieselbe Summe in D-Mark angeboten.

Filstalbrücke: Hinweise auf Probleme schon vor Jahren

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 erinnert aktuell rund um die Vorwürfe zur Filstalbrücke ebenfalls an die verfassungswidrige Mitfinanzierung durch das Land und zudem an "die eingerechneten Einnahmen durch erfundene Güterzüge", so Bündnissprecher Dieter Reicherter. Nur durch diese Phantasiezahlen erreichte die Neubaustrecke seinerzeit eine positive Nutzen-Kosten-Bilanz, sie hätte also mangels Wirtschaftlichkeit nie gebaut werden dürfen.

Die jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe deckten sich außerdem, so Reicherter, mit den Hinweisen eines Insiders, die dem Aktionsbündnis schon vor vier Jahren zugingen. Danach waren "komplizierte Nacharbeiten" nötig für den Fall eines starken Bremsmanövers auf der Filstalbrücke. Ohnehin ist Reicherter sicher, dass, falls tatsächlich betrogen wurde, dies nur möglich war, "weil Politiker und Bahnvorstände, die keine anderen Erfolge vorzuweisen hatten, auf Biegen und Brechen und unter Inkaufnahme hoher Sicherheitsrisiken den vorgesehenen Eröffnungstermin der Neubaustrecke einhalten wollten".

Wenn Bahnbeauftragter Theurer ernst macht mit seiner Ankündigung des genauen Hinschauens, wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben als derartige Ecken auszuleuchten. Immerhin kann er für sich in Anspruch nehmen, dass die Bahn seiner Forderung nach "schonungsloser Bestandsaufnahme" in finanziellen Fragen schon mal nachgekommen ist: Sie hat den immensen Finanzierungsrückstau publik gemacht.

Ganz FDP-like ("Digital first, Bedenken second") setzt der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium große Hoffnungen in den technischen Fortschritt, um neue Kapazitäten zu schaffen oder, trotz der vielen seit Jahren bestehenden Großbaustellen, zumindest vorhandene erhalten zu können. Konkret hat die DB zugesagt, weitere 83 Millionen Euro in den digitalen Knoten Stuttgart zu stecken und ab 2030 den gesamten Zugbetrieb auch im Umland über Endpunkte der S-Bahn-Linien hinaus zu steuern. Allerdings: Wen die damit verbundenen vollmundigen Versprechungen von Kapazitätszuwächsen angesichts der so unrühmlichen Geschichte des Gesamtprojekts nicht stutzig machen, dem ist nicht mehr zu helfen. Denn Stuttgart soll nach den Vorstellungen der Deutschen Bahn "eine weltweite Vorreiterrolle einnehmen". Jede Waschmittelwerbung ist dagegen ein Ausbund an Seriosität.


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2 Kommentare verfügbar

  • bedellus
    am 11.01.2023
    Antworten
    mal ehrlich: gaubt im zusammenhang mit s21 irgendjemand noch irgendwas?
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