Der Mann ist ein Tausendsassa. Im Staatsministerium hat er fünf Abteilungen und 25 Referate unter sich, er koordiniert unablässig und mittlerweile noch die gesamte Corona-Politik, wobei er den "Regierungschef in Verwaltungsangelegenheiten" vertritt, wie es in seiner Stellenbeschreibung heißt. Jetzt hat er sich auch noch erheblichen Einfluss auf den neuen Koalitionsvertrag gesichert – als Chefkoch, der in nahezu allen Töpfen rührt.
Slim-fit-Anzüge mit Einstecktüchern, Schnallenschuhe, extravagante Hemden und ein Ruf wie Donnerhall: Einerseits macht der 50-jährige Verwaltungsjurist den Eindruck, als sei er scharf darauf, aufzufallen. Anderseits meidet er konsequent die Öffentlichkeit, er lehnt Interviewanfragen immer wieder ab ("kein Interesse"), ist nicht ohne Dünkel und will sich offenkundig nicht in die Karten schauen lassen. Und er wird dünnhäutig, wenn sich das nicht mehr vermeiden lässt, so wie im Dezember im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, in dem das famose Baden-Württemberg-Haus in Dubai behandelt wurde.
Kurzfristig waren die Strategen in der Villa Reitzenstein höchstinteressiert am Prestige-Projekt im Wüstenstaat, was sich änderte, als immer neue Schwierigkeiten auftauchten, mit denen sich dann das Wirtschaftsministerium herumschlagen durfte. Als Zeuge vor dem U-Ausschuss lässt sich Stegmann reichlich spitz aus und legt erkennbar Wert auf seine Bedeutung. Selbstverständlich sei er als Vertreter der Landesregierung zu den Expo-Verantwortlichen gereist, stellt er klar: "Ich werde mich vor Ort doch nicht vorstellen als Vertretung einer Kollegin." Gemeint war Katrin Schütz. Die ist zwar Staatssekretärin wie er, aber natürlich lange nicht so wichtig und einflussreich. Stegmann ist nämlich CdS, also "Chef der Staatskanzlei".
Ausgerechnet die Grünen haben dieses Amt in den vergangenen Jahren mit der Aura des ganz Besonderen ausgestattet, in Anlehnung an die Geheimen Räte in Fürsten-, Königs- und Kaiserhäusern, als "geheim" mit "vertraut" zu übersetzen war und die Nähe zum Regenten betont werden sollte.
Auch in den langen Jahren unionsgeführter baden-württembergischer Landesregierungen waren die Amtschefs wichtig: als Kopf des zentralen Ministeriums, als zuständig fürs Personal, als wichtige Vorbereiter, Berater im Austausch mit den Kollegen aus den anderen Häusern und anderen Ländern. Unvorstellbar wäre es jedoch früher gewesen, dass die CDU und die Öffentlichkeit es akzeptiert hätten, dass bei Koalitionsverhandlungen mit SPD oder FDP einer dieser hochrangigen Zuarbeiter die Fäden so dominant in die Hand genommen hätte, wie Stegmann es jetzt vormacht.
Der Amtschef schafft das Wunder der Bilokation
Winfried Kretschmann kennt da aber keine Scheu. Der Ministerpräsident vertraut nicht nur seinem CdS, sondern auch darauf, dass niemand Anstoß daran nimmt, wie Stegmann die Rolle eines allgegenwärtigen Chefunterhändlers okkupiert. Der Spitzenbeamte sitzt jedenfalls in der Finanz-Check-Gruppe, die allen anderen auf die Finger schauen soll, und außerdem in den grünen Teams für die Themenfelder "Inneres, Justiz, Verfassung, Kommunen", "Wirtschaft, Arbeit, Innovation", "Haushalt. Finanzen und öffentlicher Dienst" sowie "Mobilität". Als "Aufpasser", schimpfen die einen, und andere mokieren sich über Stegmanns "Bilokation", also die Gabe der Präsenz an zwei Orten zur selben Zeit.
Wer von dem gebürtigen Frankfurter als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptiert wird, der erlebt einen zwar spröden, aber kompetenten, faktensicheren Lenker. Er steuert den auf sieben Jahre angelegten Strategiedialog Automobilwirtschaft, ihm untersteht das bundesweit einmalige "Innovationslabor" der Landesregierung, er ist "Koordinator für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung", und er stimmt die Corona-Politik ab.
Kritik daran, heißt es nicht nur in der nach der reinen Leseart für die Koalitionsverhandlungen allein zuständigen Partei, werde "nicht angenommen". Wer dem Status, den Stegmann sich selber zuschreibt, nicht entspreche, "ist chancenlos" und müsse sich auch im Staatsministerium mit den Schwächen des Herrn CdS herumschlagen. Als einst Günther Oettinger dort residierte, war ihm wichtig, dass jeder mit jedem reden konnte, ohne auf Titel, Ränge oder hierarchische Ebenen zu achten. Solche Lockerheit bei Kretschmanns Vorvorgänger speiste sich nicht nur aus Souveränität, sondern durchaus auch aus dem Bestreben, möglichst zügig zu den richtigen Arbeitsergebnissen zu kommen.
Jedenfalls scheinen manche der heute üblichen Umgangsformen eher aus der Zeit des Carl Sigmund Felix von Reitzenstein, des Kammerherrn und Oberhofmeisters von König Karl von Württemberg, zu stammen, der in Öl und überlebensgroß die Szenerie ohnehin überblickt. Niemals, sagen Beamte, die auch Oettinger und seine beiden CdS Rudolf Böhmler und Hubert Wicker kannten, hätten sie solche eine Entwicklung möglich gehalten, "vom aufgeblähten Mitarbeiterstab ganz zu schweigen". Nicht einmal als mit dem Einzug von Klaus-Peter Murawski die neue grüne Ära im Staatsministerium begann. Von 2011 bis 2018 zog er als Kretschmanns wichtigster Mitarbeiter mit Hingabe die Strippen, vergaß aber nie, einen jovialen Umgangston nach innen und außen zu pflegen. Unter Abgeordneten, Kabinettsmitgliedern oder andere SpitzenbeamtInnen beginnen viele einschlägige Gespräche mit diesem Satz: "Dass ausgerechnet ich Murawski noch mal nachtrauere."
Dessen Abgang vor bald drei Jahren wird beklagt. Nach dem Lob für die eine Hälfte seiner Nachfolge, die Ministerin im Staatsministerium Theresa Schopper, wegen ihrer Herzlichkeit, folgt das je nach Temperament mal mehr und mal weniger heftige Lästern über die andere. Unter anderem wird dem "Herrn CdS" angekreidet, dass die Villa in der Richard-Wagner-Straße inzwischen einer wahren Trutzburg gleicht – mit Eingangsschleusen und Sicherheitsvorkehrungen, die selbst in den 1970er- und 1980er-Jahren, also zu den Hochzeiten der "Roten Armee Fraktion", undenkbar gewesen wären. So kann es passieren, dass sogar Mitarbeiter langjähriger Lieferanten nach einem polizeilichen Führungszeugnis gefragt werden, wenn sie nichts anderes wollen als ihrem Tagwerk nachgehen.
Ohne Führungszeugnis kam Stegmann am Montagnachmittag ins Finanzministerium. Da hatte er zwei Koalitionsverhandlungsrunden schon hinter sich, aber weil das mit der Bilokation doch nicht funktioniert, den zuständigen Abteilungsleiter in die Arbeitsgruppe "Mobilität" geschickt, damit er selber dem Gang der Dinge in Sachen "Wirtschaft, Arbeit, Innovationen" folgen konnte. Der Vertreter ließ sich also vertreten, Stirnrunzeln allenthalben, aber keine offene Kritik, die von den Schwarzen am Tisch als Schwäche ausgelegt werden könnte. Immerhin wurde die Rolle deutlicher, als es um Haushalt, Finanzen und den öffentlichen Dienst ging. Denn der Herr CdS schwieg – also doch Aufpasser im Dienste des Ministerpräsidenten. Der müsse sich eben um die Pandemie-Bekämpfung kümmern, hieß es unter Grünen entschuldigend. Ist es auch Tollheit, so hat es doch Methode, denn für die ist ja eigentlich und ganz und gar – siehe oben – der Chef der Staatskanzlei zuständig.
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