Seit Jahren schwebt Christoph Sonntag als Bruder Christophorus von seiner Wolke, um hohen Herren und Damen einzuschenken – erst verbal und dann mit Starkbier, in Anlehnung ans bayerische Derblecken. Gern Gast beim Fassanstich ist der weltweit einzige grüne Regierungschef. Es ist noch nicht so lange her, da wurde ihm in der Alten Kelter zu Fellbach starker Tobak vorgesetzt: Der Kabarettist in der Mönchskutte diagnostizierte Altersstarrsinn und "betreutes Regieren" im Staatsministerium. Aber auf Schwäbisch eben, da klingts nicht so derb. Und ohnehin war die Welt trotz allem in Ordnung, denn der Hausmeier noch im Amt.
Damit ist jetzt Schluss. Der 68-Jährige hat die Reißleine gezogen. Wegen einer chronischen Erkrankung, die ihn seit vielen Jahren plagt, am Aufstieg allerdings nicht gehindert hat. Schon zu Beginn der Legislaturperiode wollte er eigentlich nicht mehr. Als dann aber klar war, dass der neue Koalitionspartner CDU – anders als die SPD – keine eigene ministerielle Verankerung in der Regierungszentrale anstrebte, reizte die Machtfülle. Ganz oben in der Sammlung der legendären Sätze Murawskis steht: "Jetzt passt kein Blatt Papier mehr zwischen mich und meinen Chef." Das was im Frühjahr 2016 zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Der neue alte Amtschef strahlte wie ein Honigkuchenpferd und verkündete, frühestens 2020 entscheiden zu wollen, was aus ihm wird.
Murawski war nie ein Gegner von Stuttgart 21
Dass er jetzt dennoch geht, hat auch mit dem Skandal am Katharinenhospital zu tun. Seine seitenlange Erklärung fachte alle Mutmaßungen, er müsse doch irgendwie wissen von dem betrügerischen Netzwerk – die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen Murawski, aber gegen 21 gegenwärtige und frühere Beschäftigte –, eher an statt sie auszuräumen. Als zuständiger Bürgermeister unter CDU-OB Wolfgang Schuster habe er "das Klinikwesen in der Landeshauptstadt auf neue Beine gestellt", heißt es bis heute in seinem offiziellen Lebenslauf, der, ebenso wie die Erklärung, nach wie vor auf der Homepage des Staatsministeriums steht. Einen möglichen Prozess rund um die millionenschwere Anwerbung von Patienten, vor allem aus dem arabischen Raum, wird er jetzt aus dem fernen Nürnberg verfolgen. Die fränkische Metropole hat er ohnehin nie verlassen, "um dort meine familiären Wurzeln zu behalten", wie er selbst gern sagt.
Die beiden Köpfe, der eine mit der markanten, schütter werdenden Bürste, der andere wuschelig mit hoher Stirn, sind zum Sinnbild für Kretschmanns Regentschaft geworden. Beide kannten sich kaum, als der Ministerpräsident den gelernten Kaufmann 2011 aus den Diensten der Landeshauptstadt zu sich in die Villa Reitzenstein holte. Beide sind Außenseiter bei den Grünen, aber erfolgreiche. Der eine kommt von der FDP, der andere hat die berühmten, aber parteiintern über fast drei Jahrzehnte nie durchschlagskräftigen Ökolibertären mitbegründet. Schon bald machte Letzterer keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Murawskis Machtinstinkt und seine Strippenzieherkünste: Angela Merkel kenne sonst keinen anderen der Amtschefs in den Regierungszentralen der 16 Bundesländer mit Namen. Kretschmanns "erdrückende Traurigkeit" beschrieb die "Stuttgarter Zeitung" zum Abgang und das "symbiotische Verhältnis, das die beiden pflegten".
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 03.08.2018Ebenso bei seinem Vorgänger Stefan Mappus, der von Tanja Gönner und besonders von Dirk Notheis per E-Mail und auch per SMS angewiesen ward – und wer weiß von wem noch alles!
Also angewiesen auf Anweisungen von jenen, die im Hintergrund bleibend, zumindest solange sie…