Es ist schon eigenartig, wenn sich diejenigen im Wahlkreis, die die Gegenkandidatin Silke Gericke unterstützen, nicht aus der Deckung wagen. Wenn es schiefgeht, müsse man ja weiter mit dem Amtsinhaber zurechtkommen, heißt es. Im Umkehrschluss kann das nur bedeuten, dass dies nicht so einfach wäre, wenn sich die Personen geoutet hätten. In den Gesprächen ist zu spüren, dass hinter den Sachthemen Emotionen lauern.
Jürgen Walter ist ein altgedienter Grüner. Seit er sich 1992 gegen zwei Mitbewerber bei der Nominierung zur Landtagswahl durchgesetzt hat, ist er unumstrittener Platzhirsch und hat 2016 sogar das Direktmandat geholt.
In der Landespolitik hat er es bis zum Staatssekretär im Wissenschaftsministerium gebracht. Wenn er auch medial nicht sonderlich in Erscheinung getreten ist, hat er doch im Bereich von Kleinkunst, Privattheatern und Jazz viele Freunde gewonnen, weil es ihm gelungen ist, neue Fördertöpfe zu erschließen. Auf diesem Feld hat er sich ohne Zweifel wohlgefühlt und dabei anderes eher vernachlässigt.
Unschön war es am Ende aber doch, wie ihn Ministerin Theresia Bauer (Grüne) ohne Vorwarnung kurz vor der Bildung des neuen Kabinetts abservierte, eine Vorgehensweise, die auch bei Parteifreunden auf Unverständnis stieß. Sie bestätigen, dass die Chemie zwischen beiden nicht stimmte. Da seien zwei völlig unterschiedliche Arbeitsweisen aufeinandergeprallt, beschreibt ein Mitstreiter aus dem Landtag den Konflikt. Hier die an Effizienz orientierte Ministerin, da der eher lässige Staatssekretär, der sich thematisch gern seinen Steckenpferden widmete. Der Eklat war programmiert, sagt ein Parteifreund.
In den darauf folgenden Jahren ist Walter mehr oder weniger frustriert abgetaucht. Deutlich hat auch seine Freundschaft zu Ministerpräsident Winfried Kretschmann darunter gelitten. Dass auch Walter nicht immer den feinen Umgang pflegt, ist unter seinen Parteifreunden bekannt und gefürchtet. Sie wissen, dass er anderen schon manchmal barsch über den Mund fahren kann. Walter gilt als launige Diva.
Drei Jahrzehnte ohne politische Konkurrenz
Wenn Walter auch betont, dass eine Gegenkandidatur etwas ganz Normales sei, wird im Gespräch schnell offensichtlich, wie sehr es ihn ärgert. "Ich habe es in den vergangenen drei Jahrzehnten ganz gut ohne Mitbewerber ausgehalten", sagt Walter. Er hält sich zugute, dass seine langjährige Erfahrung in der Fraktion für Kontinuität bürgt und er als Sprecher des Umweltausschusses etwas bewegt im Hinblick auf den Klimaschutz im Land. Sein Telefon stehe nicht mehr still, die Menschen suchen in der Coronakrise Rat, vom Gastronomen bis zum Kulturschaffenden. "Natürlich muss die Politik da helfen", so Walter.
Erfahrung als Argument, lässt Fraktionskollege Thomas Marwein nicht gelten. Der Offenburger Abgeordnete hat sich öffentlich hinter die Kandidatur von Silke Gericke gestellt. Jeder könne sich einarbeiten, dafür habe man auch parlamentarische Berater zu Seite betont der 61-Jährige. Er beteuert, dass es ihm nicht um Kritik an Walter gehe, sondern dass es an der Zeit sei, dass Jüngere nachrücken.
"Es ist Zeit für einen Generationswechsel", sagt er. Außerdem unterstützt der Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung die Kandidatur einer Frau, weil nur aufgrund des guten Wahlergebnisses die grüne Fraktion eine so gute Frauenquote aufweise.
Hinter dem Kampf um die Nominierung zeichnet sich eine grundlegende Veränderung in der Parteistruktur ab. Nach offiziellen Angaben des Ludwigsburger Kreisverbands ist die Zahl der Mitglieder in den vergangenen Jahren von 400 auf rund 600 angestiegen. Unter den Neuzugängen waren viele unter 30. Als Motive wurden oft die Sorge um das Erstarken rechten Gedankenguts genannt und der Wunsch, sich für eine starke Demokratie einzusetzen. Sie zählen sich zu keiner der bisherigen innerparteilichen Gruppen. Wem sie ihre Stimme geben, ist offen. Die Bewerber müssen mehr tun, als ihre Gefolgschaft zu mobilisieren.
Deutlich sei der Wille zur Gestaltung bei den Neuen, heißt es beim Kreisverband. Außerdem stünden Sachthemen pragmatisch im Vordergrund. Die Neuen hätten sich schnell in Ortsverbänden und Gemeinderäten engagiert. Kein Wunder, dass auch auf landespolitischer Ebene die Ungeduld wächst. Diese Dynamik durch die zahlreichen Neuzugänge bestätigt auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Daniel Renkonen aus dem benachbarten Wahlkreis Bietigheim-Bissingen. Auch er hat einen Gegenkandidaten, worüber er "not amused" ist.
Zeit für einen Wechsel
Wenn auch Jürgen Walter beteuert, dass er sich noch jung genug fühle für eine neue Amtszeit, könnte es sein, dass er die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Auf jeden Fall stemmt er sich energisch gegen eine mögliche Niederlage, wie seine rege Aktivität in den sozialen Medien belegt: sei es mit Corona-Briefen oder einem virtuellen After Home Office Apero, bei dem die Teilnehmer mit Prominenten aus Kultur und Politik, wie der Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ins Gespräch kommen. Ob es ihm so gelingt, wie in den vergangenen Jahren mit einem fulminanten Schlussspurt erfolgreich zu sein, bleibt offen.
Sein Zögern – erst zum Jahreswechsel hat sich Walter für eine erneute Kandidatur entschieden – hat für zusätzliche Verwirrung gesorgt. Seine bisherige Zweitkandidatin, die im Wahlkreis als Walters Nachfolgerin galt, ist deshalb in den Rems-Murr-Kreis ausgewichen und bewirbt sich dort als Landtagskandidatin. Außerdem habe sie nicht gegen Walter kandidieren wollen, sagt Swantje Sperling. Die 36-Jährige ist weiterhin Sprecherin der Grünen im Kreisvorstand Ludwigsburg und hat im Wahlkreis somit auch noch ein Wörtchen mitzureden.
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Ruby Tuesday
am 19.05.2020