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Ohne Konkurrenz war's gemütlicher

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Unruhe bei den Ludwigsburger Grünen. Vor der Nominierung für die Kandidatenliste zur Landtagswahl 2021 reagieren alle Beteiligten nervös. Und Grünen-Urgestein Jürgen Walter spürt erstmals seit fast drei Jahrzehnten Gegenwind.

Es ist noch gar nicht lange her, dass die Grünen eine große Geburtstagsfeier veranstaltet haben. Das war Anfang des Jahres. Da konnten sich die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck des Gefühls nicht erwehren, von steigenden Zustimmungswerten bei der kommenden Wahl förmlich in die Regierungsverantwortung getragen zu werden.

Tatsächlich hat die Partei durch die immer drängendere Klimaschutzdebatte und die erstarkende Fridays for Future-Bewegung enormen Zulauf bekommen. Die Mitgliederzahlen sind förmlich explodiert. In diesem Jahr wurde die 100.000er-Marke geknackt. Doch mit den Erfolgen und den neuen Mitgliedern verändern sich auch die Kräfteverhältnisse in der Partei. Die Jüngeren drängen an die Macht. Öffentlich wie in den Anfangsjahren werden parteiinterne Konflikte längst nicht mehr ausgetragen. Doch die Ansprüche der Jüngeren sind nicht zu überhören.

Als Beispiel dafür kann der Wahlkreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg gelten. Wie unter einem Brennglas zeigt sich dort, wie schwierig der Weg in die Zukunft für eine Partei ist, die sich in der politischen Mitte etabliert hat und seit neun Jahren als stärkste politische Kraft im Land den Ministerpräsidenten stellt. Auf der aber auch wegen ihrer ökologischen Grundausrichtung immer noch die Hoffnungen auf eine konsequente Politik im Sinne des Klimaschutzes ruhen.

Ein Platzhirsch und zwei GegenkandidatInnen

Interessant macht den Wahlkreis Ludwigsburg nicht zuletzt, dass es hier der mit 28 Jahren im Landtag dienstälteste Abgeordnete nochmals wissen will. Aber für Jürgen Walter ist das nicht wie in den vergangenen Jahren ein Selbstläufer. Gleich zwei GegenkandidatInnen machen dem 63-Jährigen die Position streitig. Die Grünen stehen im Wahlkreis vor einer Zereißprobe. Wer nachforscht und sich umhört, merkt, im Untergrund brodelt es. "Es rumort schon lange", bestätigen Mitglieder des Kreisverbands. Offen reden will niemand. Vordergründig herrsche zwar ein gutes Klima, heißt es. Es wird jedoch vergiftet durch Machtinteressen, Seilschaften, Animositäten und interne Konflikte.

Es ist schon eigenartig, wenn sich diejenigen im Wahlkreis, die die Gegenkandidatin Silke Gericke unterstützen, nicht aus der Deckung wagen. Wenn es schiefgeht, müsse man ja weiter mit dem Amtsinhaber zurechtkommen, heißt es. Im Umkehrschluss kann das nur bedeuten, dass dies nicht so einfach wäre, wenn sich die Personen geoutet hätten. In den Gesprächen ist zu spüren, dass hinter den Sachthemen Emotionen lauern.

Jürgen Walter ist ein altgedienter Grüner. Seit er sich 1992 gegen zwei Mitbewerber bei der Nominierung zur Landtagswahl durchgesetzt hat, ist er unumstrittener Platzhirsch und hat 2016 sogar das Direktmandat geholt.

In der Landespolitik hat er es bis zum Staatssekretär im Wissenschaftsministerium gebracht. Wenn er auch medial nicht sonderlich in Erscheinung getreten ist, hat er doch im Bereich von Kleinkunst, Privattheatern und Jazz viele Freunde gewonnen, weil es ihm gelungen ist, neue Fördertöpfe zu erschließen. Auf diesem Feld hat er sich ohne Zweifel wohlgefühlt und dabei anderes eher vernachlässigt.

Unschön war es am Ende aber doch, wie ihn Ministerin Theresia Bauer (Grüne) ohne Vorwarnung kurz vor der Bildung des neuen Kabinetts abservierte, eine Vorgehensweise, die auch bei Parteifreunden auf Unverständnis stieß. Sie bestätigen, dass die Chemie zwischen beiden nicht stimmte. Da seien zwei völlig unterschiedliche Arbeitsweisen aufeinandergeprallt, beschreibt ein Mitstreiter aus dem Landtag den Konflikt. Hier die an Effizienz orientierte Ministerin, da der eher lässige Staatssekretär, der sich thematisch gern seinen Steckenpferden widmete. Der Eklat war programmiert, sagt ein Parteifreund.

In den darauf folgenden Jahren ist Walter mehr oder weniger frustriert abgetaucht. Deutlich hat auch seine Freundschaft zu Ministerpräsident Winfried Kretschmann darunter gelitten. Dass auch Walter nicht immer den feinen Umgang pflegt, ist unter seinen Parteifreunden bekannt und gefürchtet. Sie wissen, dass er anderen schon manchmal barsch über den Mund fahren kann. Walter gilt als launige Diva.

Drei Jahrzehnte ohne politische Konkurrenz

Wenn Walter auch betont, dass eine Gegenkandidatur etwas ganz Normales sei, wird im Gespräch schnell offensichtlich, wie sehr es ihn ärgert. "Ich habe es in den vergangenen drei Jahrzehnten ganz gut ohne Mitbewerber ausgehalten", sagt Walter. Er hält sich zugute, dass seine langjährige Erfahrung in der Fraktion für Kontinuität bürgt und er als Sprecher des Umweltausschusses etwas bewegt im Hinblick auf den Klimaschutz im Land. Sein Telefon stehe nicht mehr still, die Menschen suchen in der Coronakrise Rat, vom Gastronomen bis zum Kulturschaffenden. "Natürlich muss die Politik da helfen", so Walter.

Erfahrung als Argument, lässt Fraktionskollege Thomas Marwein nicht gelten. Der Offenburger Abgeordnete hat sich öffentlich hinter die Kandidatur von Silke Gericke gestellt. Jeder könne sich einarbeiten, dafür habe man auch parlamentarische Berater zu Seite betont der 61-Jährige. Er beteuert, dass es ihm nicht um Kritik an Walter gehe, sondern dass es an der Zeit sei, dass Jüngere nachrücken.

"Es ist Zeit für einen Generationswechsel", sagt er. Außerdem unterstützt der Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung die Kandidatur einer Frau, weil nur aufgrund des guten Wahlergebnisses die grüne Fraktion eine so gute Frauenquote aufweise.

Hinter dem Kampf um die Nominierung zeichnet sich eine grundlegende Veränderung in der Parteistruktur ab. Nach offiziellen Angaben des Ludwigsburger Kreisverbands ist die Zahl der Mitglieder in den vergangenen Jahren von 400 auf rund 600 angestiegen. Unter den Neuzugängen waren viele unter 30. Als Motive wurden oft die Sorge um das Erstarken rechten Gedankenguts genannt und der Wunsch, sich für eine starke Demokratie einzusetzen. Sie zählen sich zu keiner der bisherigen innerparteilichen Gruppen. Wem sie ihre Stimme geben, ist offen. Die Bewerber müssen mehr tun, als ihre Gefolgschaft zu mobilisieren.

Deutlich sei der Wille zur Gestaltung bei den Neuen, heißt es beim Kreisverband. Außerdem stünden Sachthemen pragmatisch im Vordergrund. Die Neuen hätten sich schnell in Ortsverbänden und Gemeinderäten engagiert. Kein Wunder, dass auch auf landespolitischer Ebene die Ungeduld wächst. Diese Dynamik durch die zahlreichen Neuzugänge bestätigt auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Daniel Renkonen aus dem benachbarten Wahlkreis Bietigheim-Bissingen. Auch er hat einen Gegenkandidaten, worüber er "not amused" ist.

Zeit für einen Wechsel

Wenn auch Jürgen Walter beteuert, dass er sich noch jung genug fühle für eine neue Amtszeit, könnte es sein, dass er die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Auf jeden Fall stemmt er sich energisch gegen eine mögliche Niederlage, wie seine rege Aktivität in den sozialen Medien belegt: sei es mit Corona-Briefen oder einem virtuellen After Home Office Apero, bei dem die Teilnehmer mit Prominenten aus Kultur und Politik, wie der Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ins Gespräch kommen. Ob es ihm so gelingt, wie in den vergangenen Jahren mit einem fulminanten Schlussspurt erfolgreich zu sein, bleibt offen.

Sein Zögern – erst zum Jahreswechsel hat sich Walter für eine erneute Kandidatur entschieden – hat für zusätzliche Verwirrung gesorgt. Seine bisherige Zweitkandidatin, die im Wahlkreis als Walters Nachfolgerin galt, ist deshalb in den Rems-Murr-Kreis ausgewichen und bewirbt sich dort als Landtagskandidatin. Außerdem habe sie nicht gegen Walter kandidieren wollen, sagt Swantje Sperling. Die 36-Jährige ist weiterhin Sprecherin der Grünen im Kreisvorstand Ludwigsburg und hat im Wahlkreis somit auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Zur Gegenkandidatur hat sich unterdessen Silke Gericke entschlossen. Sie sagt – wie übrigens auch Walter –, dass sie zu dem Schritt ermuntert worden sei aus den Reihen der Ludwigsburger Grünen. Doch sie erfährt nicht so viel offene Unterstützung im Wahlkreis, wie sie sich wünschen würde. Eine ganze Reihe ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer halten sich angesichts des ungewissen Wahlausgangs lieber bedeckt. Außerdem ist sie naturgemäß weniger in den lokalen Medien präsent als der Landtagsabgeordnete Walter.

"Ich bin kein No-Name", sagt Gericke selbstbewusst. Sie arbeitet im Landtagsbüro der Abgeordneten Elke Zimmer aus Mannheim, sitzt seit 2019 im Ludwigsburger Gemeinderat und ist Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität.

Sachpolitik für die Bürger, lautet ihr Credo. Die 45-Jährige setzt auf Teamgeist, will keine leeren Versprechungen machen. "Ich bin keine Mogelpackung", betont sie nüchtern. Gute Ansätze in der Industrie zum Klimaschutz will sie mit Nachdruck vorantreiben. "Bisher habe ich kein Mandat dazu", bedauert sie und sagt: "Ich glaube, es ist Zeit für einen Wechsel".

Diese Einschätzung hat offenbar ihren Parteifreund Uwe Stoll zur Verblüffung Gerickes dazu bewegt, auch seinen Hut in den Ring zu werfen. Der 57-jährige Oberarzt ist Mitglied des Kreistags und erst 2017 zu den Grünen gestoßen. "Die Coronakrise hat für mich das Fass zum Überlaufen gebracht", begründet er seinen Schritt. Er will den Pflegenotstand bekämpfen und das Gesundheitssystem von wirtschaftlichen Zwängen befreien.

Mobilität und Verkehr sind Gerickes Schwerpunktthemen. "Ich habe viel einzubringen", sagt sie. Nicht nur bei ihr ist auch eine gewisse Ungeduld mit der landesväterlichen Art von Winfried Kretschmann zu spüren, dessen Vorstoß für eine Kaufprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor bei vielen Grünen für Kopfschütteln gesorgt hat.

Doch offene Kritik errege den Argwohn des Staatsministeriums, wird von manchem an der Basis im Wahlkreis hinter vorgehaltener Hand moniert. Bei aller Kritik halten Beobachter Jürgen Walter zugute, dass er einer der wenigen ist in der Fraktion, der auch parteiintern offen äußert, dass ihm Kretschmanns Vorstoß zur Kaufprämie auch für Benziner nicht passte.

Die neue Unübersichtlichkeit vor der wegen Corona auf einen späteren Zeitpunkt verschobenen Nominierung könnte ein Vorteil für Walter sein. Er will mit Leidenschaft und Erfahrung bei der Nominierung punkten. Gericke bringt dagegen Teamgeist und Sachverstand ins Spiel. Stoll rechnet sich offenbar mit seiner Agenda ebenfalls Chancen aus. Es ist zu spüren, wie angespannt alle Beteiligten sind. Im Gegensatz zu früher will niemand eine Prognose wagen, wie die Nominierung ausgeht.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 19.05.2020
    Antworten
    Wenn in wenigen Jahren die Enkel fragen warum habt ihr so eine bescheuerte Politik gemacht, dann hat Jürgen Walter vermutlich ein Problem. Es hatte nicht lange gedauert bis die Aufbruchsstimmung, das frische Grün, in der Gerhard Schröder Koalition (SPD) verloren ging. Mit dem Garderobenwechsel…
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