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Auf nach Bodenmais

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Seit mehr als 20 Jahren wird das Umweltbewusstsein der Deutschen ermittelt. In dieser Zeit ist der Wunsch, den Klimawandel stärker in den Fokus zu rücken, kontinuierlich gewachsen. Die neuesten Zahlen liefern eine Erkenntnis frei Haus: Der Höhenflug der Grünen versteht sich von selbst.

Von einem "wertvollen Datenschatz" spricht Maria Krautzberger, die Präsidentin des Umweltbundesamts (UBA) in der vergangenen Woche bei der Präsentation der Studie zum "Umweltbewusstsein in Deutschland 2018". Und davon, wie sehr sich "die Menschen bewusst sind, dass wir dringend und umfassend handeln müssen, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen".

Vor allem zwischen 2016 und 2018 ist die Einsicht in die notwendigen Veränderungen sprunghaft gestiegen: Inzwischen verlangen zwei Drittel der Deutschen (und damit elf Punkte mehr als vor zwei Jahren), "dass dem Umwelt- und Klimaschutz in der Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik weit mehr Priorität eingeräumt wird als bisher".

Auf knapp hundert Seiten sind die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage zusammengefasst. "Der extrem trockene Sommer 2018 hat die Folgen des globalen Klimawandels in Deutschland erfahrbar gemacht", sagt Krautzberger, "und das Insektensterben, die Diskussion um die Luftqualität in den Städten oder der Plastikmüll in den Meeren führen auch uns in Deutschland vor Augen, wie sehr unsere natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet sind." Politisch besonders Brisantes steht im Kapitel zum Alltagsbewusstsein. Denn: Der Bundesregierung attestieren inzwischen 86 Prozent der Bundesbürger, dafür nicht genug zu tun.

Fast alle Parteien haben geschlafen

Ein Blick in die Reihenuntersuchung zeigt, wie alle Parteien außer den Grünen die Entwicklung verschlafen haben. Denn vor zehn Jahren war bereits die Hälfte der Deutschen unzufrieden mit der Umweltpolitik. Und dennoch stellt sich die neue FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg vor die Kameras, um die Welt als Reaktion der Liberalen auf die Europawahl wissen zu lassen, dass sie den Grünen zwar "herzlich" zu ihrem Ergebnis gratuliere – dass das aber ebenso zeige, wie sich achtzig Prozent der Menschen für andere Parteien und damit andere Themen entschieden hätten. Ein leicht zu durchschauender Kurzschluss, der den Vorsprung womöglich noch vergrößern hilft.

Durch die Wirklichkeit längst widerlegt ist eine weitere Argumentation, in die sich die politische Konkurrenz allzu gern flüchtete: Führungsspitze und inhaltliche Schwerpunkte würden zügig entzaubert, wenn die Grünen erst einmal in die berühmte "Regierungsverantwortung" kämen. Das passt über Jahre zur PR-Strategie vor allem von Union und FDP, aber auch von futterneidischen Sozialdemokraten, wonach es sich bei den Grünen um verträumte RomantikerInnen handelt, deren Weltfremdheit sich aufs schönste illustrieren lasse durch höhnische Hinweise wie, Krötenschutz sei ihnen mindestens so wichtig wie Arbeitsplätze. 

Allerdings saßen und sitzen mittlerweile grüne MinisterInnen in nicht weniger als drei Dutzend Landesregierungen und haben in zwei Bundesregierungen gesessen. Dass sie dort aufgefallen wären als unprofessionelle Phantasten, ist nicht überliefert. Eher im Gegenteil: Ein manchmal erstaunliches Maß an Beweglichkeit und eine spezielle Form von Pragmatismus zählen durchweg zu den Elementen grüner Regierungspraxis. 

Neben allgemeinen Einstellungen wird für die Umfrage die Haltung der Deutschen zu einzelnen Politikbereichen abgefragt, wie Energie, Landwirtschaft oder Mobilität. Und wieder spielen viele Antworten den Grünen in die Hand, etwa, wenn nur drei (!) Prozent der Befragten der Aussage voll und ganz zustimmen, die Verkehrspolitik in Deutschland orientiere sich vor allem an den Bedürfnissen der BürgerInnen, aber 50 Prozent der Meinung sind, dass Klimaschutz von größter Bedeutung für die Fortentwicklung der Mobilität ist. Die Realität grüßt Stuttgarts Fahrverbots-VerächterInnen.

Die Zukunft wird teuer

Unter die Lupe genommen wird im Zwei-Jahres-Rhythmus zugleich das Verhältnis einzelner Milieus zu Fragen des Klimaschutzes. Schwarze und Rote, aber auch die FDP müssen sich nicht wundern, dass sie in vielen Kommunen nur noch zweite, dritte oder vierte SiegerInnen sind. Denn selbst in der Altersgruppe von 14 bis 30 Jahren aus städtischen Milieus finden 78 Prozent, dass die bisher Regierenden umweltpolitisch zu wenig tun und getan haben in der Republik. Selbst unter GeringverdienerInnen meinen 46 Prozent, dass mehr Klimaschutz "Bedingung für die Sicherung sozialen Wohlstands" ist. Nach der sich immer weiter bewahrheitenden Erkenntnis, nur Reiche könnten sich einen armen Staat leisten, leiden sie zudem am meisten unter den Versäumnissen: Denn die Folgekosten für künftige Generationen sind schon jetzt immens, und dieses Geld wird für andere Bereiche fehlen.

In der Kategorie der engagierten IdealistInnen ebenfalls zwischen 14 und 30, die "nachhaltig leben und die Welt zu einem besseren Ort machen wollen" sind 97 Prozent unzufrieden mit der bisherigen Politik. Kein Wunder, dass manche Fridays-for-Future-VertreterInnen den Unterschied zwischen CO2-Steuer und Emissionshandel in Talkshows flüssiger und verständlicher erklären können als frühere Bundesumweltminister, wie kürzlich Norbert Röttgen (CDU).

Schwerhörig im Politik-Betrieb

Gerade im Zusammenhang mit dem seit Jahren verpuffenden Emissionshandel und der heftig diskutierten CO2-Steuer nutzen GegnerInnen die zweifellos komplexe Materie, um unangenehme Fakten zu verschleiern. Zum Beispiel dass je nach Modell NormalverbraucherInnen durch die neue Umweltsteuer gar nicht zusätzlich be-, sondern sogar entlastet würden. Wenn aber die Grundeinstellung stimmt, können Nebelkerzen nicht mehr so recht zünden. Oder Umorientierung wird mit einem Mal geradezu sexy: "Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen", heißt es in dem Forderungskatalog, den die Schulstreikenden im April vorgelegt hatten und der vehement für die CO2-Steuer plädiert. Das Umweltbundesamt geht von einem Preis von rund 180 Euro pro Tonne Kohlendioxid aus. "Einen Wanderurlaub im Bayerischen Wald und einen in Neuseeland trennen satte 2000 Euro", falls eine CO2-Steuer käme, warnt die "Welt", und ein Kommentator im Netz kommentiert zum Thema: "Auf nach Bodenmais."

2020 werden die nächsten Daten zum Umweltbewusstsein ermittelt. Bisher so Krautzberger sei "nicht nur die Sorge um den Zustand der Umwelt gewachsen, sondern ebenso die Unzufriedenheit mit den Anstrengungen, die bisher zu ihrem Schutz unternommen werden". Auch deshalb sei der aktuelle Bericht als ein "Aufruf an alle Akteure unserer Gesellschaft zu verstehen – sei es in Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft – ihr Handeln stärker auf das Wohl von Mensch und Umwelt auszurichten, damit nachfolgende Generationen eine gesunde, intakte und lebenswerte Umwelt vorfinden". Wenn die Schwerhörigen im Politik-Betrieb genau dies weiter nicht hören wollen, dürften sie an der Urne immer neue Quittungen ausgestellt bekommen.

Das vorläufige amtliche Endergebnis der Kommunalwahl in Baden-Württemberg unterstreicht die Folgen des gewachsenen Umweltbewusstseins für das Parteienranking. Die CDU kommt in den 1101 Gemeinden zwischen Main und Bodensee nur noch auf 22,3 Prozent der Stimmen, bei einem Minus von sechs Punkten, die SPD fällt weiter auf 14,2 Prozent (minus 3,5 Punkte). Große Gewinner sind, wie bei der Kreistagswahl, die Grünen, mit einem Plus von fünf Punkten auf gut 17 Prozent. Die Meldung macht zeitgleich die Runde mit einer Warnung auf Höchststufe vor Waldbränden in Brandenburg wegen anhaltender Trockenheit.


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