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Mit Puppen hatte sie es nie

Mit Puppen hatte sie es nie
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Kerstin Krieglstein ist die erste Rektorin der Universität Konstanz. Besuch bei einer Frau, die lieber erklärt als durchregiert. Den Umgang mit der Zivilklausel, die Forschung zu Rüstungszwecken verbietet, will sie grundsätzlich klären.

Der Blick von hier oben ist atemberaubend. Die Stadt liegt einem zu Füßen, das Schweizer Bodenseeufer streckt sich sehr lang und wenn man Glück hat, sieht man bis zum Säntis. Man kann hier leicht ins Schwärmen geraten. Kerstin Krieglstein eher nicht. An einem dieser wenigen Wintertage mit Sonne und ohne Hochnebel in Konstanz, sind die Jalousien vor den Fenstern ihres Büros unten. Sie wird ja schließlich nicht fürs Aus-dem-Fenster-Gucken bezahlt, sondern dafür, die immer noch junge Universität Konstanz in die Zukunft zu führen.

Seit 1. August ist die 55-jährige Neurowissenschaftlerin Rektorin der Hochschule. Mehr als 50 Jahre nach der Gründung als Reformuniversität steht erstmals eine Frau an der Spitze. Sie ist derzeit die einzige Rektorin in Baden-Württemberg! Ob Kerstin Krieglstein das etwas bedeutet? "Och", sagt die Forscherin und Wissenschaftsmanagerin, "nicht so viel. Ich sehe mich nicht als etwas Besonderes." Das ganze Geschlechterthema interessiert sie nur so mittel. Die Erste, die das merken musste, war ihre Mutter. Mit Puppen hatte sie es als Kind nicht besonders, sie wollte lieber eine Eisenbahn. "Am Ende habe ich mich durchgesetzt", erzählt Krieglstein. Eine Geschichte, die viel über Kerstin Krieglstein aussagt.

Während andere viel reden und lamentieren, macht sie lieber. Das Theoretisieren zählt nicht zu ihren Vorlieben, sie will "konkrete Probleme konkret lösen". In ihrer Karriere hat sie auch nicht lange nach Posten gefragt, sondern genommen, was sie wollte, wenn sich die Chance dafür ergab. Krieglstein hat Pharmazie, Chemie und Pharmakologie in Marburg, München und Gießen studiert. Ihre Promotion legte sie in Marburg, ihre Habilitation 1997 in Heidelberg ab. Danach folgte sie verschiedenen Rufen auf Professuren in Saarbrücken, Göttingen und Freiburg. Als Hirnforscherin galt ihr größtes Interesse der Frage, wie der sich im Mutterleib entwickelnde Körper des Babys die Ausbildung des Gehirns und seiner Nervenzellen steuert.

Konstanz' Antrag als Exzellenz-Uni ist schon raus

Neben der reinen Forschung hat sie sich auch für die Rahmenbedingungen von Wissenschaft interessiert. "Es gab immer wieder Situationen, die einem nicht passten und dann überlegt man, was kann ich tun? Dann kommt man schnell zu zwei Möglichkeiten: Reg dich nicht auf und geh zur Forschung ins Labor oder nimm das Problem in die Hand und bring es an die richtige Stelle, um eine Lösung zu finden." Kerstin Krieglstein entschied sich dafür, die Dinge in die Hand zu nehmen und stieg von der Fakultätsrätin an der Universität Göttingen bis zur Dekanin der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg auf. Das war ihre letzte Station vor ihrer Berufung nach Konstanz.

Je mehr Zeit sie in die Administration steckte, um so mehr Zeit fehlte ihr für die Forschung. Für sie war das ein Grund, sich zu entscheiden: "Man verliert den Anschluss an die pulsierende Forschung und wird dann schnell nicht nur zweit- sondern drittklassig. Deswegen war für mich klar: So hobbymäßig sollte Forschung nicht gemacht werden, dann lieber eine Zäsur." Der Wechsel auf den Rektorenposten in Konstanz erschien ihr als der nächste logische Schritt. Und dort ist sie nun seit knapp fünf Monaten. Sie leitet jetzt einen Betrieb mit einem jährlichen Budget von fast 190 Millionen Euro und ist Chefin von 11 400 Studenten sowie 2300 Mitarbeitern. Ihre erste Bilanz: "Ich fühle mich hier in Konstanz sehr angekommen und ausgesprochen freundlich aufgenommen." Dass sie als Medizinerin nun eine Hochschule ohne medizinische Fakultät leitet, findet sie nicht problematisch: "So habe ich den nötigen Abstand, um gute Entscheidungen für alle Bereiche fällen zu können."

Langsam ins neue Amt zu wachsen, war ihr nicht vergönnt. Mit der Vorbereitung der Bewerbung in der millionenschweren Exzellenzinitiative des Bundes hatte sie gleich ein großes Arbeitspaket auf ihrem Schreibtisch. Die erste Etappe des Prozesses ist gelungen: Die Anträge, die der Hochschule im Idealfall rund 15 Millionen Euro bringen können, sind eingereicht. Entschieden ist aber noch nichts. Im März 2019 kommt eine Gruppe internationaler Gutachter für zwei Tage nach Konstanz und schaut sich vor Ort um. Die endgültige Entscheidung über den Antrag als Exzellenzuniversität fällt dann am 19. Juli. Neben diesem großen Brocken sei es ihr auch ein Anliegen gewesen in den ersten Wochen, möglichst viele Menschen an der Uni kennenzulernen. Der direkte Draht ist ihr wichtig, sie will sich selbst ein Bild machen können.

Fragt man sie, wohin sie mit der Universität will, dann sagt sie erstmal das: "Es gibt hier eine wahnsinnige Leistungsfähigkeit, ein extrem gutes Miteinander und eher wenig Einzelkämpfer – das ist die Erfolgsstrategie der Universität. Diese Dynamik bleibt nicht von alleine erhalten, sie muss gepflegt werden. Ich möchte diese Dynamik der Universität weiterführen. Zum Beispiel auch über die Entwicklung neuer Forschungsschwerpunkte." Welche genau das sein könnten, das sei noch offen, das wolle man gemeinsam entwickeln. Wenn man so will, ist die Leitfrage für die nächsten Jahre: Wie gießt und düngt man die wachsende Pflanze Universität Konstanz am besten?

Drittmittel streuen, um Abhängigkeiten zu verringern

Direkt nach ihrer Wahl hat Kerstin Krieglstein erste Antworten auf diese Frage gegeben: Themen wie Gleichstellung, Umsetzung von Vielfalt, Bausanierung, Digitalisierung und Datenwissenschaften sowie die Hochschulfinanzierung wolle sie in den Vordergrund stellen. Vor allem Letzteres ist ein Thema, das Kerstin Krieglstein umtreibt – genauso wie alle anderen Rektoren in Deutschland auch. "Nicht mal mehr die Lehre ist durch die Grundfinanzierung der Hochschulen gesichert. Das sind untragbare Zustände. Wir müssen versuchen, die Ministerien und die Politik zu läutern, dass dieser Proporz von 50:50 zwischen Drittmitteln und Grundfinanzierung nicht mehr angemessen ist. Wir müssen eine verlässlichere Finanzierung bekommen, die Drittmittel dürfen nicht existenziell werden." Für die Universität Konstanz sieht sie ihre Hausaufgaben vor allem darin, "die Drittmittelquellen besser zu streuen", um die Abhängigkeit von einzelnen Geldgebern zu verringern. Aktuell kommen mehr als die Hälfte der rund 64 Millionen Euro Drittmitteleinnahmen der Universität aus Programmen der Deutschen Forschungs Gemeinschaft (DFG).

Dass Kerstin Krieglstein nun Rektorin in Konstanz ist, hat übrigens auch mit einem Gefühl zu tun. Sie habe schnell das Gefühl gehabt, sagt sie, dass die Uni und sie gut zusammen passten. Damit meint sie vor allem die Kommunikationsweise in Konstanz und ihren eigenen Führungsstil. Sie wolle nicht im Basta-Stil die Uni leiten, sondern mit Konzepten überzeugen: "Ich versuche die Probleme, die an mich heran getragen werden, zu allgemein gültigen Lösungen zu bringen, unabhängig von Personen. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass Entscheidungen vergleichbar und verlässlich ausfallen. Willkür mag ich gar nicht." Das ist dann der Punkt, an dem man dann doch nochmal die Frage stellen muss, ob das jetzt ein anderer, ein weiblicher Führungsstil sei. Aber Kriegelstein winkt ab, auf die Frauenrolle will sie sich nicht reduzieren lassen. Sie jedenfalls fühle sich mit sich und ihrer Arbeit im Reinen, "wenn sich Themen von einer Kraftauseinandersetzung zu einer rationalen Auseinandersetzung bewegen lassen".

Vielleicht hilft ihr das auch bei einem Thema, das in den vergangenen Jahren in Konstanz immer mal wieder für Konflikte sorgte. 1991 hatte sich die Universität eine so genannte Zivilklausel gegeben. Darin wurde – im Blick auf den Golf-Krieg – festgelegt, "dass Forschung für Rüstungszwecke, insbesondere zur Erzeugung von Massenvernichtungswaffen an der Universität Konstanz keinen Platz" haben soll. Das hatte die Universität jedoch in den vergangenen Jahren nicht davon abgehalten, Kooperationen mit Rüstungsunternehmen wie EADS einzugehen (diese ist aber inzwischen beendet) oder Forschungsgelder vom Verteidigungsministerium anzunehmen. Wie nun künftig damit umgehen?

Forschung zu Senfgas und die Zivilklausel

Kerstin Krieglstein findet die Zivilklausel gut: "Konstanz hat da für sich Leitplanken gesetzt und der gesamte Prozess wird seither sehr gut betreut." Es habe bislang keine Verstöße gegen die Zivilklausel an der Universität gegeben. Dennoch wünsche sie sich, dass das gesamte Verfahren "mal im Grundsatz niedergeschrieben" werde. Damit will sie vor allem nachvollziehbar festhalten, wer, was und wann zu dem Thema sagen kann. Auch den Einsatz der bereits an der Uni existierenden Ethikkommission zur Klärung von Streitfällen hält sie für möglich.

Ganz so einfach, wie es oft klingt, sind die Bewertungen von Forschungsaufträgen im militärischen Bereich ohnehin nicht. Das zeigt auch ein Projekt, das in diesem Jahr an der Universität diskutiert wurde. Rund 356 000 Euro hatte ein Toxikologe der Uni von der Bundeswehr für ein Forschungsprojekt erhalten. Entwickelt wurde in diesem Rahmen ein Verfahren, mit dem nachgewiesen werden kann, ob Menschen in Kriegsgebieten dem international verbotenen Kampfstoff Senfgas ausgesetzt waren. Zu wissen, ob Verletzungen von Opfern auf das verbotene Senfgas zurückzuführen sind, sei im Rahmen des Opferschutzes wichtig, erklärte die Uni in einer Pressemitteilung zu dem Fall. Es helfe den Opfern beispielsweise, juristische Ansprüche durchzusetzen. In diesem Feld zu forschen, sei nicht nur legitim, findet Kerstin Krieglstein, sondern es sei gerade Auftrag der Hochschule, Opfer und Betroffene zu unterstützen.

Fast ein halbes Jahr ist Kerstin Krieglstein jetzt im Amt. Sie wusste, dass ihre neue Aufgabe nicht einfach werden würde. Der Veränderungsdruck an den Hochschulen ist immens, die Erwartungen in Konstanz sind groß. Vor allem auch, weil ihre beiden Vorgänger Gerhart von Graevenitz und Ulrich Rüdiger herausragende Arbeit in Konstanz geleistet haben. Am Ende wird es wohl so sein, wie oft im Leben von Kerstin Krieglstein: Sie wird nicht groß lamentieren. Sie wird einfach machen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Kornelia .
    am 19.12.2018
    Antworten
    Es gibt noch (und wieder) viel zu tun! Seufz!
    Hätte der Autor auch nach der klassisch männlichen Führungsrolle gefragt?
    Und ob sich Mann auf seine Männerrolle festlegen lassen will? (Mann: HERRscher und Despot, Frau: sorgend und 'mütterlich'?)

    Und eins wird deutlich: der Frauenbewegung ist von den…
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