Der Zufall wollte es, dass wir beide Spaichinger sind: Winfried Kretschmann und ich. Doch ist Kretschmann, der deutlich Jüngere von uns beiden, der ältere Spaichinger. Denn er kam am 17. Mai 1948 in Spaichingen zur Welt – während ich erst seit September 1964, seit meiner Wahl zum Bürgermeister von Spaichingen, der größten Stadt des Landkreises Tuttlingen, hier lebe. Die Eltern von Winfried Kretschmann wohnten in Egesheim, einer Gemeinde des Heubergs, die zum alten Oberamt Spaichingen gehörte.
Kretschmanns Eltern stammten aus dem katholischen Ermland. Heute ist es Teil Polens. Ich liebe das Ermland, das über Jahrhunderte zu Preußen und Deutschland gehörte. Es brachte viele bedeutende Persönlichkeiten hervor, auch nahe Verwandte und Freunde von mir stammen von dort. Sie alle wurden, wie auch Kretschmanns Eltern, 1945 vertrieben. Viele von ihnen haben in Baden-Württemberg eine neue Heimat gefunden und sich in unseren Gemeinden und im Land engagiert.
Winfried Kretschmann besuchte das katholische Internat in Riedlingen, das Abitur machte er am Hohenzollern-Gymnasium in Sigmaringen. Das Elternhaus und der christliche Glaube prägten ihn. Der Vater kam 1969 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seit 1970 studierte Kretschmann an der Hochschule Hohenheim Chemie und Biologie für das Lehramt an Gymnasien. Dort wurde er erstmals politisch aktiv: Er schloss sich der "Kommunistischen Studentengruppe/Marxisten-Leninisten" an, er kandidierte für sie. Die Folge: Ihm drohte ein Berufsverbot. Obendrein trat er auch noch aus der Kirche aus – linker konnte man damals kaum sein.
Freilich dauerte es nicht lange und Winfried Kretschmann kehrte wieder ins demokratische und rechtsstaatliche Lager sowie zur Kirche zurück. Ich wusste von seiner Vergangenheit, habe sie ihm aber nie nachgetragen. Bei Lukas 15,7 heißt es: "Im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen". Schon bald engagierte sich Kretschmann sogar in der Kirche: Er wurde in den Diözesanrat von Freiburg gewählt und war, auch mit meiner Unterstützung, Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Bis heute stellt Winfried Kretschmann seinen Glauben nicht ins Schaufenster, aber er lebt ihn. Und was er macht, das macht er mit ganzer Kraft.
Kretschmann – der Erwin Teufel der Grünen
1980 kam er erstmals in den Landtag von Baden-Württemberg, heute gehört er zu dessen dienstältesten Abgeordneten. Mehrfach war er Vorsitzender seiner Fraktion. Wir haben uns in vielen Debatten mitunter heftig gestritten, es kam aber auch vor, dass wir einer Meinung waren. Immer aber haben wir uns gegenseitig respektiert. So entstand im Laufe der Zeit ein Verhältnis des Vertrauens zwischen uns. Als die Landtagsfraktion der Grünen vor zehn Jahren einen Empfang zum 60. Geburtstag von Winfried Kretschmann ausrichtete, bat man mich, die Laudatio zu halten. Ich tat das gerne. Die "Heilbronner Stimme" wählte vor einigen Jahren für ein Porträt Kretschmanns diesen Titel: "Der Erwin Teufel der Grünen". Kretschmann ist ganz ein Mann der Mitte.
2 Kommentare verfügbar
Heinz Greiner
am 16.05.2018Positiv , daß die beiden Frommen wenigstens keine schwäbischen Wurzeln haben .
Das muntert auf . Wie der K. am Radikalenerlaß vorbeikam…