Es war gleich zum Auftakt der Arbeit dieses zweiten NSU-Ausschusses, der herausfinden soll, wie tief die Spuren sind, die Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Baden-Württemberg hinterlassen haben. Jan Raabe kam im November 2016 als Sachverständiger. Der Sozialpädagoge und Rechtsrock-Experte stellte ein Zitat von Ian Stuart Donaldson an den Beginn seiner Ausführungen: "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen. Besser, als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden."
Stuart Donaldson, der 1993 verstorbene Gründer des Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour", begann seine Laufbahn in Nordengland als Fan der Rolling Stones. Er zögerte, sich nationalistischen Strömungen anzuschließen, weil er dies für karrierehinderlich hielt. Und bekannte sich dann doch zur eigenen Radikalisierung. Bis heute gilt er als einer der wichtigsten Führer der internationalen extremen Rechten. "Er hat erkannt", so Raabe vor dem NSU-Ausschuss, "dass die jungen Leute der Musik und den Liedtexten zuhören, während sie Flugblätter oder Parteiprogramme nicht lesen." Gerade das NSU-Trio sei "eben nicht durch klassische neonazistische Parteien sozialisiert worden, sondern in einer jugendkulturellen Szene (...), in einer politisierten Lebenswelt, die den entscheidenden Faktor bildete".
Bis heute finden nach den Zahlen aus dem Landesamt für Verfassungsschutz regelmäßig einschlägige Konzerte statt in Baden-Württemberg. "Generell sind rechtsextremistische Skinheads nicht allein auf das Veranstaltungsangebot im eigenen Bundesland angewiesen", heißt es im aktuellen LfV-Jahresbericht. Seit vielen Jahren würden "zum Teil weite Wegstrecken zurückgelegt, um Konzerte zu besuchen". Im Oktober 2016 kamen beispielsweise in der Schweiz rund 5.000 ZuhörerInnen zusammen, überwiegend aus Deutschland. "Bemerkenswert ist diese Zahl vor allem, weil im Vorfeld nur sehr vage bekannt war, in welcher Region das Konzert stattfindet", schreiben die Fahnder. Auch einzelne regionale Schwerpunkte sind bekannt: Der Raum Stuttgart, der Enzkreis, Mannheim, Heilbronn, Ulm oder Bad Wildbad. "Wir werden uns", kündigt der CDU-Obmann im Ausschuss Arnulf von Eyb an, "in unserem Abschlussbericht der Frage widmen müssen, dass die Musik eine elementar große Rolle spielt."
Rechtsrock – beliebt bei der Böblinger Bereitschaftspolizei
Im ersten baden-württembergischen NSU-Ausschuss war bekannt geworden, dass in der Bereitschaftspolizei in Böblingen rechte Songs gehört werden. Im zweiten, dass in Gefängnissen des Landes rechte CDs die Runde machen. Die SPD-Landtagsfraktion wollte vom zuständigen Minister Guido Wolf (CDU) vor gut einem Jahr wissen, wie Zeugenaussagen zu bewerten sind, wonach Beschäftigte in Ravensburg oder Schwäbisch Hall Häftlingen die Tonträger zukommen ließen. "Weitere Anhaltspunkte, die auf eine Unterstützung rechtsextremer Ideologien durch Vollzugsbedienstete der genannten Anstalten hindeuten könnten, lagen nicht vor", schrieb der Justizminister in seiner Antwort.
Doch vieles deutet auf wieder wachsende Gruppen hin. Nach der offiziellen Statistik waren bis 2012 in Deutschland rund 180 Rechtsrockbands aktiv. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Für Baden-Württemberg war Mitte des vergangenen Jahrzehnts – von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – der Höhepunkt mit 19 Bands erreicht. Manche davon, wie "Tonstörung" aus Mannheim, gehören zu den Pionieren. Laut Bundesinnenministerium fanden im vergangenen Jahr bundesweit fast 300 Konzerte oder Liederabende statt. Hochburgen sind Sachsen und Thüringen und – zeitlich betrachtet – die zweite Aprilhälfte rund um den Geburtstag von Adolf Hitler. Auf den Veranstaltungen "vermischen sich Alkohol, Aggression und Kultur", weiß Raabe, "und das ist ausdrücklich erwünscht".
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Klaus Zerkowski
am 21.04.2018